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Die Erde soll alle nähren

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Trotz großer Bevölkerungsverluste durch die Kriege der letzten hundert Jahre hat die Weltbevölkerung überraschend stark zugenommen.

Wenn die Berechnungen der Statistiker zutreffen, dann werden um das Jahr 2000 etwa 5 Milliarden Menschen unseren Planeten bevölkern. Eine Entwicklung, die Pessimisten Anlaß gibt, gespenstische Perspektiven zu zeichnen. Wenn wir von Prophezeiungen über die Auflösung der bäuerlichen Lebensgemeinschaft hören, von der biologischen Eiweiß-Synthese durch Mikroorganismen, wie Bakterien, Algen und Hefen; wenn wir von Spekulationen hören, über den Ersatz des Brotes — seit Jahrtausenden vom Menschen im Schweiße seines Angesichtes erarbeitet — durch konzentrierte Pillennahrung, dann erhebt sich selbst bei nüchtern denkenden Menschen die bange Frage: Ist die Erde tatsächlich auf dem Höhepunkt ihrer nahrungschaffenden Kraft angelangt?

Die Antwort lesen wir aus den Generalreferaten, in denen namhafte Wissenschaftler aus aller Welt am III. Weltkongreß für Düngungsfragen in Heidelberg über den gegenwärtigen Stand der Agrarchemie berichteten.

Uebereinstimmend kam in allen Referaten die Meinung zum Ausdruck, daß die Landwirtschaft innerhalb der modernen Wirtschaft nach wie vor eine erstrangige Stellung einnimmt. In unserer stark industrialisierten Welt ist die Landwirtschaft immer noch der Grunderwerb, von dem das Leben der Menschheit abhängt. Wenn die Nahrung fehlt, wird jegliche andere Produktion bedeutungslos. Die Landwirtschaft, die heute gesunde und vollwertige Nahrungsmittel für einen ständig wachsenden Markt erzeugen muß, kann ihrer verantwortungsvollen Aufgabe nur in engster Zusammenarbeit mit der Ernährungsforschung und durch verstärkten Einsatz mineralischer Düngemittel gerecht werden (Nobelpreisträger Prof. Virtanen, Helsinki). Diese forcierte Verwendung mineralischer Düngemittel gibt vielfach Anlaß zu Befürchtungen: Der Humusgehalt des Bodens würde durch eine derart intensive Bewirtschaftung in kürzester Zeit slhkeÄV'‘Wenin 'hidht durch regelmäßige Zufuhr vöh' Stallmist," Kompost oder' anderer' organischer Substanz ein Ausgleich geschaffen würde. Exakte Versuche Bewiesen das Gegenteil. Mineraldünger regen das Wachstuman. Sie erhöhen aber nicht nur den Fruchtertrag, sondern auch die Wurzelmasse. Dadurch wird der Anteil der zu Humus zersetzbaren organischen Substanz im Boden erhöht (Prof. Barbier, Versailles). In einem Lande mit einem überdurchschnittlich hohen Mineraldüngerverbrauch, wie etwa Holland, konnte keine Verringerung der zu Humus zersetzbaren organischen Substanz im Boden nachgewiesen werden. Mineraldünger sind aber nicht nur zur Steigerung der Humusbildung unentbehrlich (die wirtschaftseigenen Dünger: Mist, Jauche, Kompost usw. genügen schon lange nicht mehr, den Humushaushalt des Bodens auch nur einigermaßen im Gleichgewicht zu halten), Mineraldünger geben uns darüber hinaus die Möglichkeit, Naturböden in Kulturböden umzuwandeln. Sie verbessern die Bodenstruktur durch Regulierung der Stickstoffversorgung, d. h. durch den Abbau von Rohhumus, im positiven Sinne. Diese Steigerung des verwertbaren Humusgehaltes ermöglicht es dem System Boden—Pflanze wiederum, mehr zu erzeugen.

Die Notwendigkeit der mineralischen Düngung ist heute unbestritten, wie steht es aber mit der Rentabilität ihrer Anwendung? Sind der Landwirtschaft, die vielfach auch heute noch nicht kostendeckend arbeitet, die Ausgaben für Düngemittel überhaupt zuzumuten? Betriebswirtschaftliche Untersuchungen beantworten diese Frage eindeutig positiv (Prof. Blohm, Kiel). Ja die Mineraldünger geben dem Landwirt erst die Möglichkeit, überhaupt kostendeckend zu arbeiten, denn eine ausreichende Arbeitsproduktivität kann nur erzielt werden, wenn die Flächenerträge steigen.

Während in allen Betriebssystemen der westeuropäischen Landwirtschaft das Streben nach möglichst hohen Erträgen in der Feldwirtschaft, nicht zuletzt durch verstärkte Anwen-

Der Aufsatz ist eine Zusammenfassung der anläßlich des III. Weltkongresses für Düngungsfragen in Heidelberg vom 9. bis 12. September 1957 erstatteten Generalreferate. Die Unterlagen hierfür wurden freundlicherweise vom Biologischen Laboratorium der Stickstoffwerke Linz, Leiter Privatdozent Dr. H. Linser, zur Verfügung gestellt.

dung von Mineraldüngern, weitgehend zur Selbstverständlichkeit geworden ist, zeigt die Bewirtschaftung des Dauergrünlandes dagegen nach eine erstaunliche Rückständigkeit. (Dies gilt leider auch in mancher Hinsicht für Oesterreich; Anm. d. Verf.) Die intensive Nutzung der Futterflächen ist hier offenbar die oberste Stufe der Entwicklung zur hochleistungsfähigen Landwirtschaft. Leider treffen wir sie nur in Holland und Dänemark an.

Die Möglichkeiten der Handelsdüngeranwendung sind somit noch lange nicht erschöpft und die Frage nach den Grenzwerten optimaler Nährstoffzufuhr wenigstens vorläufig noch von rein theoretischem Interesse.

Eine Betrachtung des Weltverbrauches an Handelsdüngern, der 1955 56 zirka 96 Millionen Tonnen betrug, das sind zirka 22 Millionen Tonnen Reinnährstoff, wird dies verständlich machen und zugleich aufzeigen, welch enorme Steigerungen des Bodenertrages besonders in den außereuropäischen Ländern noch möglich sind.

Der Schwerpunkt der Handelsdüngeranwen-

dung und -erzeugung liegt in Europa und Nordamerika, wobei zur Zeit nur Europa und die USA größere Mengen Düngemittel in andere Länder exportieren können. Dieser Zustand wird sich auch in Zukunft nicht wesentlich ändern, da Lagerstätten von Phosphaten und Kalisalzen nur wenige Länder besitzen.

Da der Bedarf an Handelsdünger ständig wächst, erhebt sich die Frage, ob es künftig möglich sein wird, die dazu nötigen enormen Mengen an Mineralstoffen herbeizuschaffen. Dazu wäre zu sagen, daß nach dem heutigen Stande der Wissenschaft die Versorgung mit Stickstoff, Kali und Kalk auf unbegrenzte Zeit gesichert ist. Lediglich Phosphor könnte vielleicht einmal der limitierende Faktor für die Weiterentwicklung der Menschheit werden (Prof. Bondorff, Kopenhagen, Lyngby).

Es ist überaus erfreulich, daß der Verbrauch von Handelsdünger in den letzten Jahrzehnten so sprunghaft angestiegen 1st. Leider gibt es heute aber noch immer genug Landwirte, die in der irrigen Meinung: „Mist ist Mist“, irg-nd- einen Handelsdünger auf den Acker streuen und sich wundern, wenn der erwartete Erfolg ausbleibt. Die Wirkung eines. Pflanzennährstoffes hängt bekanntlich nicht nur von der Menge ab, in der er selbst geboten wird, sondern auch von den anderen entweder im Boden vorhandenen oder gleichzeitig gebotenen Nährstoffen. Das heißt, die Pflanze kann bei einer im Minimum vorhan denen Menge eines Nährstoffes die übrigen Nährstoffe nur in beschränktem Maße ausnützen; der Rest führt dann zu abnormem Stoffwechselgeschehen.

Es kommt also darauf an, ein bestimmtes Nährstoffverhältnis einzuhalten, d. h. harmonisch zu düngen. Die einzelnen Nährstoffe erfüllen bei den Wachstums- und Stoffbildungsvorgängen recht unterschiedliche Aufgaben:

Stickstoff ist vor allem als Baustein der Eiweißstoffe bekannt. Gute Stickstoffversorgung wirkt günstig auf das gesamte Wachstum. Einseitige Stickstoffdüngung kann bei Mangel an anderen Nährstoffen schaden und bewirkt, etwa bei Getreide, Lagerung.

Phosphorsäure dient zum Aufbau des Kerns der Pflanzenzelle und ist an der Energieübertragung entscheidend beteiligt.

Kalium ist selbst kein pflanzenstoffaufbauendes Element. Es steuert jedoch den Stoffwechsel, hält den Wasserhaushalt der Pflanze im Gleichgewicht und setzt die Welkeneigung herab.

Kalzium ist ein notwendiger Baustein für einige Fermente und fördert nach neuesten Forschungen die Phosphataufnahme.

M a g n e s i u m ist ein unersetzlicher Bestand teil des Blattgrüns und wirkt bei der Regulation des Stoffumsatzes mit.

Nährstoffgaben, die dazu führen, das Gleichgewicht der Stoffe in den Pflanzenzellen zu verbessern und das natürliche Wachstum zu fördern, wirken günstig, Gaben, die dieses Gleichgewicht nachteilig verändern, schaden.

Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse aufbauend, versucht die Agrarchemie heute, festzustellen, welche Pflanzenzusammensetzung für das Ertragsziel die günstigste ist und welche Nährstoffgaben uns diesem Ziele näher bringen. So ist es beispielsweise gelungen, durch erhöhte, geteilte Stickstoffgaben, die Backqualität von Tassilo-Winterweizen so weit zu verbessern, daß er gütemäßig besten ausländischen Sorten nahekommt. (Privatdozent Linser, Linz).

Wir wissen heute, daß die Pflanzen neben Stickstoff, Phosphorsäure, Kali und Kalk auch noch verschiedene Mikronährstoffe brauchen. Sie sind für ein gesundes Wachstum unentbehrlich und vielfach auch für den Menschen lebensnotwendig.

Da sich bei intensiver Bodennutzung Mangel-

erscheinungen gezeigt haben, die auf das Fehlen einzelner Mikronährstoffe zurückzuführen sind, hat die Forschung sich eingehend mit der Klärung dieser Fragen beschäftigt und Rezepturen gegeben, die es ermöglichen, diesem liebel beizukommen (Prof. Scharrer, Gießen; übrigens gebürtiger Linzer und Ehrendoktor der Hochschule für Bodenkultur in Wien).

Bormangel ist die Ursache der Herz- und Trockenfäule der Betarübe. Fehlendes Kupfer führt zu niedrigem Chlorophyllgehalt der Blätter. Besonders anfällig sind dafür verschiedene Haferarten, Gerste und Weizen. Mangan fördert die Erzeugung von Askorbinsäure (Vitamin C). Molybdän wirkt günstig auf das Wachstum der im Boden lebenden stickstoffsammelnden Bakterien. Zinkmangel wurde bei Citrusfrüchten, Weinreben, Aprikosen- und Pfirsichbäumen beobachtet. Kobalt ist für höhere Pflanzen nicht lebensnotwendig, aber für die tierische Ernährung wichtig.

Wir haben festgestellt, daß bei Berücksichtigung der qualitätgebenden Faktoren pflanzlicher Erzeugnisse durch die Düngung Qualitätsverbesserungen zu erzielen sind. Wir denken dabei nicht nur an Gewicht und Aussehen der Produkte, sondern auch'an den-biologischen Wert, die Bekömmlichkeit und an den Gehalt bestimmter Bestandteile, etwa Vitamine, Mineralstoffe und gewisse Eiweißverbindungen. Die Stickstoffdüngung erhöht den Proteingehalt und vermindert den Rohfaseranteil der Pflanzen, was eine wesentliche Verbesserung der Verdaulichkeit mit sich bringt.

Diese Erkenntnisse sind auch für die Viehzucht bedeutungsvoll. Die tierische Leistung wird, abgesehen von der Futtergabe, durch die Zusammensetzung des Futters bestimmt. Dies gilt für den Gehalt an organischen Massennährstoffen wie an anorganischen und organischen Wirkstoffen. Von besonderer Wichtigkeit erscheinen hier der Proteingehalt und der Gehalt an Mineralstoffen, insbesondere Kalzium und Phosphor. Heuuntersuchungen haben gezeigt, daß nur in wenigen Fällen die erforderlichen Mengen Kalzium und Phosphor nachgewiesen werden konnten. Dies unterstreicht besonders die Notwendigkeit einer Düngung des Dauergrünlandes. Die noch tiefer eingreifende Wirkung betriebswirtschaftlicher Faktoren wie Schnittzeit, Werbungsart, Zusammensetzung der Futterration darf jedoch nicht übersehen werden. Gesundheits- und Fruchtbarkeitszustand der Tiere stehen wiederum im engsten Zusammenhang mit dem Mineralstoffgehalt des Futters, der von der Düngung abhängig ist (Prof. Nehring, Rostock).

Dem Menschen sind also im Bereich der Ernährung noch, lange keine Grenzen gesetzt. Die Mineraldüngung führte im Verlaufe der letzten hundert Jahre zur heutigen Fruchtbarkeit unserer Böden und damit zum hohen Stand unserer Landwirtschaft. Sie hat aber nicht etwa unsere Böden ausgelaugt und aufgepeitscht, um auf Kosten der „alten Kraft“ das Letzte herauszuholen. Nein! Erst die im letzen Jahrhundert vollzogene Synthese zwischen Humuslehre und Mineralstofflehre schloß den „Kreislauf" der Bodenfruchtbarkeit:

Durch Mineraldünger — mehr und bessere Erträge, mehr Futter und Stroh - dadurch mehr Vieh und Stallmist, mehr Wurzel- und Stoppelmasse — insgesamt stärkere organische Düngung, Anwachsen des Humus- und Nährstoffvorrates im Boden und somit als Endergebnis der neuzeitlichen Düngungsmaßnahmen: Erhaltung und Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit (Prof. Schmitt, Darmstadt).

Die Erde ist also noch lange nicht auf dem Höhepunkt ihrer nahrungschaffenden Kraft angelangt. -

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