Aufregende und stürmische Kirchenzeiten

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Ein Sammelband der Eugen-Biser-Stiftung und eine Veranstaltung in Wien setzen sich mit "Kirche - Idee und Wirklichkeit" auseinander. Paul Zulehner beleuchtet dies in "Auslaufmodell" für dieses Pontifikat, und der Vatikanist Marco Politi sieht Franziskus gar "unter Wölfen".

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Ein Sammelband der Eugen-Biser-Stiftung und eine Veranstaltung in Wien setzen sich mit "Kirche - Idee und Wirklichkeit" auseinander. Paul Zulehner beleuchtet dies in "Auslaufmodell" für dieses Pontifikat, und der Vatikanist Marco Politi sieht Franziskus gar "unter Wölfen".

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Den Begriff "vertikales Schisma" prägte Eugen Biser im Jahr 1989, als die Ernennung des konservativen Pfarrers Georg Eder zum Salzburger Erzbischof damals -wieder einmal - die kirchlichen Wogen losgehen ließ. Die da offenkundige Entfremdung zwischen Kirchenleitung und Basis hatte der langjährige Inhaber des Roman-Guardini-Lehrstuhls in München mit obigem Ausdruck beschrieben. Der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner erinnert im Sammelband "Kirche - Idee und Wirklichkeit", das die Eugen-Biser-Stiftung kurz nach dem Tod ihres Namensgebers im Vorjahr herausgebracht hat, an diese innere Spaltung der katholischen Kirche, die ja nicht nur Eugen Biser diagnostiziert hat. Zulehner weist in seinen Ausführungen auch darauf hin, dass die Spannungen und Spaltungen im Lauf der Kirchengeschichte durchaus produktiv sein konnten - wenn es gelang, darüber hinweg wirklich Brücken zu bauen.

Notwendigkeit, Brücken zu bauen

Der von prominenten Autorinnen und Autoren gestaltete Sammelband verdankt sich einer Vortragsreihe, die die Eugen-Biser-Stiftung nach dem Aufbrechen der kirchlichen Missbrauchskrise in Deutschland 2010 veranstaltete. Der als katholischer Theologe an der Evangelischen Fakultät Hamburg lehrende Otto Hermann Pesch, der ebenfalls 2014 verstorben ist, bricht da ebenso eine Lanze für innerkirchliche Reformen wie Hermann Häring, emeritierter Dogmatiker in Nijmegen, der die Kirchenkrise als Chance begreift.

Der Moraltheologe Eberhard Schockenhoff setzt sich im Band mit dem nicht zuletzt von Henry Newman begründeten Vorrang des Gewissens vor starrem Glaubensgehorsam auseinander. Und die Kirchenrechtlerin Sabine Demel stellt Veränderungen des kirchlichen Gesetzbuchs durchs Zweite Vatikanum da -auch anhand von Konfliktfällen wie der kirchenrechtlichen Bewertung des Vereins "Donum vitae", der das in Deutschland vorgeschriebene Beratungsgespräch vor einer Abtreibung anbietet, welches jedoch auf ausdrückliche Intervention des damaligen Papstes Johannes Paul II. und seines Glaubenshüters Joseph Ratzinger den deutschen Bischöfen verboten wurde.

Eine notwendige Diagnose sollen die Beiträge in "Kirche -Idee und Wirklichkeit" leisten, führt Herausgeber Richard Heinzmann, em. Professor für christliche Philosophie und Ehrenpräsident der Eugen-Biser-Stiftung im letzten Beitrag an, in dem er auch auf das Engagement Eugen Bisers verweist: Der Religionsphilosoph habe, so Heinzmann, immer wieder dazu aufgefordert "sich auf die Mitte des Christentums zu besinnen und vom theologischen Lehrsystem zur christlichen Lebenwirklichkeit zurückzukehren".

Wohin steuert das Kirchenschiff?

Der Sammelband ist auch thematische Grundlage des Vortragsund Diskussionsabends, den die Eugen-Biser-Stiftung in Wien am 15. September veranstaltet (vgl. Hinweis am Ende dieses Beitrags). Richard Heinzmann referiert an diesem Abend zu "Eugen Bisers Neuansatz der Theologie und die Zukunft des Christentums", Paul Zulehner stellt bei der Veranstaltung Überlegungen über "Christliche Kirchen in epochalem Umbau" an. Anschließend diskutieren die Referenten mit der Präsidentin der Katholischen Aktion, Gerda Schaffelhofer, sowie dem Dogmatiker und Theologischen Sekretär von Kardinal Schönborn, Hubert Philipp Weber (Moderation: Otto Friedrich, DIE FURCHE).

Einen Beitrag des Bandes "Kirche - Idee und Wirklichkeit" widmet schließlich Andreas Batlogg SJ, Chefredakteur der Stimmen der Zeit, München, unter dem Titel "Ein neuer Frühling?" dem Pontifikat von Papst Franziskus.

Eine ähnliche Auseinandersetzung legt Paul Zulehner auch in seinem eben erschienenen Buch "Auslaufmodell. Wohin steuert Franziskus die Kirche?" vor. In gewohnt kurzweiliger Sprache nähert sich der Wiener Pastoraltheologe Franziskus in Form eines Essays, der die Stationen der Papstwerdung ebenso einschließt wie die kirchlichen und kirchenpolitischen Implikationen der viele Konservative verstörenden Ära Bergoglio in Rom. Dass Zulehner über den Band Papst-Karikaturen verteilt, erleichtert die Lektüre, ohne deren Gehalt zu mindern.

Der Doyen der Pastoraltheologie bietet neben seinen Analysen auch "Vertiefungen" an, darunter ein Gespräch mit Wolfgang Schüssel, der Franziskus durchaus differenziert, aber nicht unkritisch gegenübertritt, in dem der Altbundeskanzler aber vehement die Qualifizierung von Franziskus' als "Marxist" , wie es rechte Kreise tun, bestreitet. Aus aktuellem Anlass -demnächst beginnt ja in Rom die Bischofssynode -endet der Band mit dem Familienthema - und zwar mit Zulehners eigenen Reflexionen und einem Gespräch mit dem Wiener Sozialrechtler Wolfgang Mazal.

Das Buch ist ein leidenschaftliches Plädoyer für eine Annahme von Franziskus' Herausforderungen, ein Auslaufmodell Kirche in dem Sinn, dass das Kirchenschiff unter diesem Papst wirklich zu neuen Ufern auslaufen möge.

Die Analyse des Vatikankenners

Dieser Tage ist auch das Buch des Vatikanisten Marco Politi, "Franziskus unter Wölfen", auf Deutsch erschienen. Der mit dem etwas reißerischen Untertitel "Der Papst und seine Feinde" versehene Band ist eine erhellende Analyse der römischen Zustände und Gefühlslagen: Franziskus hat dort viel, für die Kurie offenbar allzu viel herumgewirbelt.

Nüchtern, aber klar analysiert Politi die Widerstände gegen die päpstliche Politik und die Gefahren, denen sich Franziskus gegenübersieht: Dass seine "Revolution" auch tatsächlich Erfolg hat, ist für Politi längst nicht ausgemacht. Aber wo es weiter geht, und wo es sich arg spießt, das erschließt sich konzise aus dieser Pflichtlektüre für katholische Zeitgenossen.

"Auf geheimnisvolle Weise gelingt es der Kirche oft, an epochalen Wendepunkten die richtigen Päpste zu wählen." Politi zählt dazu Johannes XXIII., Paul VI. oder Johannes Paul II. Und er lässt keine Zweifel daran, dass er auch Jorge Bergoglio als goldrichtige Wahl für diese Zeitläufte ansieht.

Kirche - Idee und Wirklichkeit

Vortragsabend & Podiumsdiskussion Di, 15.9., 19 Uhr, Schottenstift, Prälatensaal, 1010 Wien, Freyung 6/1 Infos: www.eugen-biser-stiftung.de

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