Calderons 170 fromme Stücke

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Vor 400 Jahren wurde in Madrid der Dramatiker, Soldat und Hofkaplan Pedro Calderon de la Barca geboren.

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Vor 400 Jahren wurde in Madrid der Dramatiker, Soldat und Hofkaplan Pedro Calderon de la Barca geboren.

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William Shakespeare stand im 36. Lebensjahr und auf der Höhe seiner Schaffenskraft, als einer alten Madrider Adelsfamilie am 17. Jänner 1600 ein Söhnchen geboren und auf den Namen Pedro getauft wurde. Shakespeare lebte auch noch, als sich Pedro, mittlerweile ein Halbwüchsiger, als ziemlich geniales Früchtchen erwies. Gehört hat der größte Dramatiker aller Zeiten, oder zumindest seit Sophokles & Co., von dem vor genau 400 Jahren geborenen iberischen Konkurrenten wohl nichts, obwohl dieser sein erstes Theaterstück mit 13 Jahren geschrieben haben soll. Er war erst 16, als Shakespeare starb.

Trotzdem könnte man meinen, er habe ein Jahrhundert früher gelebt, so fern scheint er uns heute, so altväterlich fremd. Zumindest, wenn man sich seine Texte in voller Länge zu Gemüte führt. Woran dies liegt, wo doch Calderon ein so immenser Theaterpraktiker war, ein Dichter mit soviel Gespür für dramatische Wirkungen und große Effekte? Abgesehen von Shakespeares singulärer Größe liegt es wohl daran, daß er genau das nicht war, wofür Karl Kraus ihn hielt: Ein Sucher. Calderon war ein Verkünder ewiger Wahrheiten, ein Propagandist des katholischen Glaubens. Der Besuch eines Jesuitenkollegs - die Societas Jesu war damals ein junger, dynamischer Orden - mag ihn stark geprägt haben. Er schrieb missionarische katholische Stücke - genau das, was unsere Zeit nicht besonders schätzt. Dies bedingt auch die Charaktere von Calderons Personen: Sie sind Träger erhabener Botschaften. Beobachtung des Menschen, wie er ist, tritt bei ihm stets zurück hinter der Darstellung des Menschen, wie er sein soll. Was so wesentlich zu Shakespeares Unsterblichkeit beiträgt, Menschenkenntnis, Psychologie, Charakterzeichnung, war Calderons Sache nicht - trotz der großzügigen Ausstattung seines Personals mit theaterwirksamen Zügen.

Die Theater spielen ihn heute gerne dann und wann. Freilich spielen sie selten genau das, was er geschrieben hat. Die Bearbeiter machen sich gern über ihn her, die Genialen benützten ihn als Steinbruch für Ideen, aus denen sie neue Stücke machten. Hugo von Hofmannsthal bearbeitete "Das Große Welttheater", Karl Kraus dichtete bei dieser Gelegenheit: "Von Calderon ein mystischer Hauch; man verspricht sich von diesem Genre, speziell jedoch von Hofmannsthal auch, eine Zugkraft für Amerikaner.

Sich läutern lassen ist ihnen noch neu, aber gut für die spätere Reise. Man steht ihnen bei, damit Ehre sei, Gott in der Höhe der Preise."

Hofmannsthals Salzburger Welttheater-Projekt von 1922 kann uns daran erinnern, daß Calderon, wie immer ihn das Theater heute behandelt, zu jenen Großen zählt, die immer wieder ihre Zeit haben - und dann wieder Latenzperioden. Sein Regisseur Max Reinhardt hatte die Sehnsüchte eines verelendeten Bürgertums scharfsichtig erkannt und bediente den Wunsch, den Karl Kraus auf die Schaufel nahm: "Herr, gib uns unser täglich Barock!" Lang vorher hatte Franz Grillparzer zugeschlagen, sein "Der Traum, ein Leben" basiert auf Calderons "Das Leben ist Traum". Calderons Fassung wurde im September vom Theater in der Josefstadt bearbeitet und revitalisiert. Regisseur Janusz Kica konnte dem Stück sogar Spuren von Aktualität entlocken. Während aber bei Calderon das Leben als Traum erscheint, als nichtig angesichts der Ewigkeit wie alles Irdische, erlebt Grillparzers Rustan seine Konflikte im Traum überhöht und fast schon psychoanalytisch entschlüsselt und kehrt reifer in die Wachheit, in die irdische Wirklichkeit, zurück. Das Stück war übrigens 1834 Grillparzers letzter großer Bühnenerfolg. Calderons "Das Leben ist Traum" war hingegen 1816 bei der Berliner Erstaufführung durchgefallen.

Pedro Calderon de la Barca Henao y Riano ging schon mit 18 Jahren von der Universität Salamanca ab. Zwar wurde man bei Hofe bald auf ihn aufmerksam, doch Pedro Calderon war auch ein militärisches Talent und war zehn Jahre Soldat in Mailand und in den Niederlanden, bis ihn Philipp IV. zurückbeorderte und zum Ritter des Heiligen Jago machte. Mit 51 Jahren trat Calderon mit Erlaubnis des Königs in den geistlichen Stand über, wurde Hofkaplan, schrieb aber unentwegt weiter und wurde dabei immer mystischer. Der König war ein Freund des Theaters und gab dafür Unsummen aus, mehr als irgendeiner seiner Vorgänger. Beim Pomp der Aufführungen wurde nicht gespart, und es muß ununterbrochen Calderon-Uraufführungen gegeben haben: Er schrieb, ausgestattet mit verschiedenen einträglichen geistlichen Pfründen, aber auch mit lohnenden Aufträgen spanischer Städte, die seine Fronleichnamsspiele zu schätzen wußten, in Windeseile Werk auf Werk: 110 Comedias (weltliche Schauspiele) und über 70 Autos sacramentales (geistliche Stücke). Er schrieb heroische Stücke und historische Schauspiele, Zarzuelas und philosophische Dramen.

Dabei sparte er nicht mit Effekten. Während es in den geistlichen Stücken um die Eitelkeit des Daseins, ums Seelenheil und die Bedeutung der Sakramente geht, sind die Comedias ein Musterbuch der Sünden und der Konsequenzen, mit denen der Sünder zu rechnen hat. Die werden anhand möglichst krasser Fälle dargestellt. In "El Alcalde de Zalamea" (1642) mißbraucht zum Beispiel ein Hauptmann die Gastfreundschaft des an diesem Tag zum Bürgermeister ernannten Bauern Crespo, indem er dessen Tochter vergewaltigt. Auf den Knien bittet er den Offizier, die Ehre seiner Tochter durch Heirat wiederherzustellen, wird aber nur ausgelacht. Drauf läßt er den Hauptmann ins Gefängnis werfen und, da ihn der General befreien will, kurzerhand aufhängen. Zufällig erscheint der König. Nach kurzer Überlegung erklärt er Crespos Vorgehen für richtig und verlängert sein Amt auf Lebenszeit.

Calderon starb mit 86 Jahren und hinterließ sein beträchtliches Vermögen der Congregation von San Pedro. Seine vielen Lieder, Gedichte und Sonette sind vergessen.

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