Die Freiheit des Denkens im Vatikan

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Von Mafia-Gerüchten bis zu Dokumenten vom Schreibtisch des Papstes: Dem Vatikan wird zurzeit kaum eine peinliche Enthüllung erspart.

Dutzende Menschen skandierten am Pfingstsonntag während der päpstlichen Angelus-Ansprache auf dem Petersplatz "Schande! Schande!“ Die Wütenden hatten ein Wort Benedikts XVI. zu Emanuela Orlandi, der vor 19 Jahren verschwundenen Tochter eines Vatikan-Angestellten, erwartet. Erst Tage zuvor war in der römischen Basilika Santa Apollinare alle Terme der Sarg eines Mafia-Bosses geöffnet worden, um Gerüchten nachzugehen, im Gangster-Grab fänden sich auch die Gebeine von Emanuela Orlandi. Man entdeckte, so erste Berichte, keine Anhaltspunkte, dass das verschwundene Mädchen darin gelegen sei.

Mag sein, dass Dan Brown mit seinen Vatikan-Thrillern keine große Literatur produziert hatte. Aber mitunter scheint die Realität doch näher an solcher Fiktion zu sein, als manchem im Vatikan lieb sein kann. Die Vorstellung, dass die Mafia hier ihre Hände im Spiel hat, ist alles andere als eine frohe Kunde. Jedenfalls bleibt der Fall Orlandi weiter ungeklärt; das bereitet den Boden für krude wie plausible Verschwörungstheorien.

Vor diesem Hintergrund bietet auch die "Vatileaks“-Affäre Stoff in Hülle und Fülle. Anfang 2012 waren vatikanische Interna in der Öffentlichkeit aufgetaucht, darunter die Versuche des Erzbischofs Carlo Maria Viganò, in der Verwaltung des Vatikans Seilschaften aufzubrechen und finanzielle Ordnung in die päpstliche Verwaltung zu bringen. Der Kurienprälat wurde weggelobt: Er sitzt heute als Apostolischer Nuntius in Washington - weit weg von Rom.

Suche nach den Hintermännern

Ende April beauftragte Benedikt XVI. drei pensionierte Kardinäle unter Leitung des Spaniers Julián Herranz Casado (82) mit Ermittlungen in der Causa. Opus-Dei-Mann Herranz war bis 2007 der vatikanische "Justizminister“ und leitet nun die Suche nach den undichten Stellen. Neben Enthüllungen um ein angebliches Mordkomplett gegen den Papst und diverse Auseinandersetzungen zwischen Kurie und italienischen Bischöfen war es zuletzt das Buch "Sua Santitá“ ("Seine Heiligkeit“), in dem der Journalist Gianluigi Nuzzi extensiv aus internen Papieren auch vom Schreibtisch des Papstes zitierte. Kurz vor Pfingsten wurde daraufhin Paolo Gabriele, der als Majordomus in der unmittelbaren Umgebung des Papstes tätig war, verhaftet, weil bei ihm eine Menge von internen Dokumenten gefunden worden waren.

Seitdem wird fieberhaft nach den Hintermännern dieser Vorgänge gesucht, aber auch einmal mehr die Intransparenz des Systems an der Spitze der katholischen Kirche kritisiert. Buchautor Nuzzi meinte, in Italien dürfe niemand länger als 72 Stunden lang inhaftiert werden, ohne dass die Vorwürfe offizielle bekannt gegeben würden: "Wenn man in einem westlichen Land eine Person verhaften würde, weil sie den Medien wahre Information vermittelt hat, würden sofort Unterschriftensammlungen für ihre Befreiung beginnen. Das geschieht leider nicht im Vatikan.“

Ein Schlüssel zur Beurteilung der Vorgänge dürfte bei Kardinal-Staatssekretär Tarcisio Bertone liegen. Dem langjährigen Vertrauten von Benedikt XVI. wird von Vatikankennern, aber auch Bischöfen, im Hintergrundgespräch unglückliches Agieren vorgeworfen. Die Vatileaks-Enthüllungen stützen das: So beschwerte sich etwa der mittlerweile emeritierte Kardinal von Mailand, Dionigi Tettamanzi, beim Papst persönlich über Bertone. Benedikt XVI. hat jedoch an seiner Nummer zwei festgehalten. Bertone hat zwar schon vor zwei Jahren die Altersgrenze von 75 Jahren erreicht, er wurde aber bis heute im Amt belassen.

Auch die Vorgänge an der Spitze der Vatikanbank IOR können mit der Personalie Bertone zu tun haben. Deren Chef Ettore Gotto Tedeschi trat kurz vor Pfingsten zurück, weil ihm der Aufsichtsrat das Misstrauen ausgesprochen hatte. Gotti Tedeschi war 2009 an die Spitze des geheimnisumwitterten Geldinstituts berufen worden, um Transparenz zu bringen. Der Bankmanager habe den "grundlegenden Anforderungen seines Amtes“ nicht genügt, so die Pressemitteilung zur Causa.

Intrigenopfer oder Unfähigkeit?

Zurzeit werden in Italien mehrere Hintergründe dazu diskutiert. Einer davon ist eben, dass Gotti Tedeschi die Interessen von Kardinal-Staatsekretär Bertone gestört habe, der etwa die katholischen Spitäler Italiens direkt unter seine Kontrolle habe bringen wollen; dagegen habe Gotti Tedeschi opponier. Auch sei Bertone mit dem Agieren des Bankchefs in Sachen Transparenz gegenüber Geldwäsche nicht einverstanden gewesen. Der Manager hätte da viel weiter gehen wollen als der Kardinal. Eine andere Theorie sieht Gotti Tedeschi als einen der Hintermänner der Vatileaks-Enthüllungen. Eine dritte Erklärung wiederum beschuldigt Gotti Tedeschi genau des Gegenteils, nämlich kaum anwesend zu sein und echte Transparenz hintangehalten zu haben.

Der Geschasste schweigt, verlangte zuletzt aber, die Vorwürfe gegen ihn sollten von einer Kardinalskommission untersucht werden, die aus dem Mailänder Erzbischof Angelo Scola, dem früheren Kardinalvikar der Diözese Rom, Camillo Ruini, und Kardinaldekan Angelo Sodano, dem Vorgänger Bertones, besteht. Diese von Gotti Tedeschi Genannten sind nicht dem Bertone-Lager zuzuordnen …

Der Papst sei von Vatileaks "schmerzlich betroffen“, so Pressesprecher Federico Lombardi. Und die Vatikanzeitung L’Osservatore Romano interviewte Erzbischof Giovanni Anglo Becciu, die Nummer zwei im Staatsekretariat: "Viele Dokumente enthüllen keine Machtkämpf und Racheakte, sondern eine Freiheit des Denkens.“

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