Ein großer sprach-und bildmächtiger Wurf

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Jette Steckel (Jahrgang 1982) gelingt mit Sophokles "Antigone" (vermutlich 442 v. Chr.) ein großer sprach-und bildmächtiger Wurf, der mittels einer Art Überwältigungsstrategie dem Stück in seiner mytho-poetischen Dimension gerecht zu werden versucht. Die Geschichte der ungehorsamen von Aenne Schwarz gespielten Antigone (Tochter von Ödipus, der einst unwissentlich seinen Vater erschlug und seine Mutter heiratete), die wider das Verbot ihres Onkels Kreon (Joachim Meyerhoff), des Königs von Theben, ihren Bruder beerdigt und dafür zu sterben bereit ist, gilt gemeinhin als das tragische Paradigma schlechthin. Denn es verzahnt nicht nur intime und öffentliche, individuelle und politische Existenz, sondern lässt zwei gleichberechtigte, für sich absolute Gültigkeit beanspruchende ethische Normen kollidieren. Die Attribute der Antigone, ziviler Ungehorsam, individuelle Selbstbestimmung, Autonomie und Einsamkeit, haben diese Figur wie kaum eine andere der Weltliteratur zur Projektionsfläche moderner Identifikation werden lassen.

Die Leistung von Steckels anspruchsvoller Inszenierung besteht darin, den Konflikt weder zu psychologisieren, noch ihn auf das starrsinnige, heroische Motiv des Selbst-sein-Wollens hier und der mit Gewalt durchgesetzten rational-normativen Staatsethik dort zu verkürzen. Sie betont vielmehr den archaischen, mythische Gehalt des Stückes, das durch Ödipus herrührende Leid, das in das Leben der Antigone hineinreicht, ihr religiöses Bewusstsein begründet und ihr Begehren nach dem Unmöglichen wie ihre Todesbereitschaft erst motiviert. Das Gegenwärtige bleibt im immer schon Dagewesenen verankert und bestimmt das individuelle Geschick. Damit ist eine Auseinandersetzung mit Individualität als einer unbekannte Größe angezeigt, die in Steckels Inszenierung in einem der großartigen Chorlieder mit den berühmten Zeilen angesprochen wird: "Viel Ungeheures ist, doch nichts /So ungeheures wie der Mensch". Damit ist aber weniger die Tatsache gemeint, dass der Mensch die von der Natur gesetzten Grenzen überwindet und stets Neues erfindet, als vielmehr die Fähigkeit des menschlichen Ich, 'außerhalb' seines Selbst und 'gegen' sich zu denken, sich in einem Modus der Gegensätzlichkeit wahrzunehmen. Kant hat das das "exilhafte Gefühl" und Heidegger das "Fremde im Hause des Seins" genannt. Wer bereit ist, sich den gewiss fremden mythologischen Kontexten zu stellen, sei diese großartige Inszenierung sehr empfohlen!

Antigone Burgtheater 21., 23., 27. Juni

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