DARWINS NIGHTMARE - © Filmladen

"Darwin's Nightmare": Grausame Logik der Evolution

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Täglich 500 Tonnen Barsch werden aus dem Viktoriasee gefischt. Die Filets kommen nach Europa, zurück bleiben Hunger und Bomben. Der Film "Darwin's Nightmare" dokumentiert diese Spielart der Globalisierung.

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Täglich 500 Tonnen Barsch werden aus dem Viktoriasee gefischt. Die Filets kommen nach Europa, zurück bleiben Hunger und Bomben. Der Film "Darwin's Nightmare" dokumentiert diese Spielart der Globalisierung.

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Neun Euro vierzig kostet ein Viktoria-Barsch mit Petersilienkartoffeln und Salat in Wien. Er ist etwa gleich teuer wie ein Zander, der sozusagen gleich ums Eck aus dem Wasser gefischt wird. Die Barschfilets kommen hingegen aus dem tausende Kilometer entfernten Tansania. Dort ist der Fisch, der in den 1960er Jahren in den Viktoriasee eingesetzt wurde, mittlerweile zur wichtigsten Einnahmequelle der Region geworden. Täglich 500 Tonnen davon werden in den Fischfabriken am Ufer des Sees verarbeitet und in die nördlichen Industrieländer geflogen. Zurück bleibt der Rest, nämlich die Fischköpfe, von denen sich die Einheimischen ernähren. Eine globale Geschäftsbeziehung mit schwer wiegenden Folgen für die Region. Aufgezeigt hat sie der österreichische Regisseur Hubert Sauper in seinem neuen Dokumentarfilm "Darwin's Nightmare".

Drogen, Mord und Aids

Die Bilder, die er liefert, dürften kaum jemanden unberührt lassen. Straßenkinder, die leere Fischpackungen schmelzen, um sich mit den Dämpfen der klebrigen Masse high zu schnüffeln. Der Pfarrer eines kleinen Fischerdorfes, der zehn bis 15 Tote im Monat beklagt, dahingerafft durch Hunger und Krankheiten, vor allem durch Aids. Die Prostituierte Eliza, die vor der Kamera noch tansanische Lieder anstimmt, und später von einem westlichen Freier erstochen wird. Es sind Bilder aus einer Welt, die mit der unseren gar nichts gemeinsam zu haben scheint. Und doch schaffen die über den Köpfen der Fischer abhebenden und landenden Transportmaschinen eine ständige imaginäre Präsenz Europas. Flugzeuge als Symbole jener vielen Entscheidungen, die über den Köpfen der Einheimischen hinweg getroffen werden. Am Ende des Films gibt einer der russischen Piloten zu, dass die Flieger beim Hinflug nicht leer sind. Bevor sie den Fisch nach Europa bringen, beliefern sie Afrika mit Waffen. Ein Geschäft, das den Flugverkehr zwischen Europa und Afrika erst so richtig rentabel macht.

"Die Geschichte von Darwin's Nightmare' könnte man genauso in Sierra Leone erzählen, nur wäre der Fisch ein Diamant, in Honduras eine Banane, und in Angola schwarzes Öl", schreibt Regisseur Hubert Sauper. Die Umstände seien immer die Gleichen: Ein wertvoller Rohstoff wird in einer relativ armen Gegend der Welt entdeckt und lässt die Menschen im direkten Umfeld des neuen Reichtums zugrunde gehen. Den Profit kassieren einige wenige. Neben den sozialen und ökonomischen Folgen gefährdet die Konzentration auf einen Rohstoff auch die Umwelt. Im Viktoriasee droht durch den "Erfolgsfisch" eine ökologische Katastrophe. Er wurde erst im Rahmen eines wissenschaftlichen Experiments in den sechziger Jahren ausgesetzt und hat seitdem fast den gesamten Bestand von 400 Fischarten ausgerottet.

Globale Deals mit Folgen

Die Mitverantwortung der Industrieländer für derartige Entwicklungen liegt auf der Hand. "Wir konsumieren die Produkte, die in der Dritten Welt hergestellt werden, und schieben damit das ökologische Risiko in diese Gebiete ab", sagt Alexander Baur, Sprecher der Umweltschutzorganisation Global 2000. Die Bedrohung der Mangrovenwälder durch Shrimps-Farmen oder die Abholzung der Tropenwälder zur Möbelproduktion seien weitere Beispiele globaler Deals mit folgenschweren Konsequenzen für die betroffenen Regionen. Mögliche Lösungsansätze sieht Baur auf politischer Ebene. "Die einzige Chance ist eine weltweite Vereinheitlichung der umwelt- und sozialrechtlichen Standards", meint Baur. Da bis jetzt ein einheitliches Regelwerk fehle, habe auch die eu zu wenige Einflussmöglichkeiten auf die jeweiligen Verhältnisse in diesen Ländern.

Hubert Sauper selbst will keine Lösungsvorschlägen liefern. Der Film enthält keine wörtlichen Kommentare des Regisseurs. Seine Anschuldigungen an das ausbeuterische System der Globalisierung sind trotzdem klar. Obwohl er in einer Szene die Delegation der eu in Tansania begleitet, gibt es keine Gegendarstellungen afrikanischer oder europäischer Politiker. Eine mögliche Relativierung seiner Aussage lässt er bewusst nicht zu, sicherlich ein Manko des Films.

Sauper liefert seine Botschaften mit filmischen Mitteln. Er rückt den Leuten mit der Kamera ganz nahe und wird damit sehr eindringlich. In anderen Szenen lässt er die Bilder des afrikanischen Alltags für sich selbst sprechen. Die Aussagen sind offensichtlich: Kinder streiten sich am Strand um eine Hand voll Reis, die sie aus einer Gemeinschaftsschüssel essen wollen. Plötzlich gerät die Situation außer Kontrolle. Ein Tumult entsteht, bei dem alle gierig versuchen, eine Hand voll Reis zu ergattern. Einige von ihnen gehen leer aus. Es sind die Schwächeren. Darwins Logik.

Der Artikel erschien in der Printausgabe unter dem Titel "Darwins grausame Logik"

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