Tuppy - © APA

Hans Tuppy über Karl Strobl: "Für viele Lebenswege bahnweisend"

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Er zählt zu den bekanntesten Wissenschaftern Österreichs: Im Juli konnte der Biochemiker Hans Tuppy den 90. Geburtstag feiern. Der ehemalige Rektor der Universität Wien (1983-85) und Wissenschaftsminister (1987-89) erinnert sich im Gespräch an Werden und Bedeutung der Katholischen Hochschulgemeinde Wien, die Tuppy geprägt hat -und an deren Gründer Karl Strobl.

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Er zählt zu den bekanntesten Wissenschaftern Österreichs: Im Juli konnte der Biochemiker Hans Tuppy den 90. Geburtstag feiern. Der ehemalige Rektor der Universität Wien (1983-85) und Wissenschaftsminister (1987-89) erinnert sich im Gespräch an Werden und Bedeutung der Katholischen Hochschulgemeinde Wien, die Tuppy geprägt hat -und an deren Gründer Karl Strobl.

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DIE FURCHE: Prälat Strobls Todestag jährt sich zum 30. Mal. Was war - aus heutiger Sicht -sein Beitrag für Kirche und Gesellschaft?

Hans Tuppy: Als erstes war da die Hochschulgemeinde, wie er sie im Krieg etabliert hat -eine sehr geschlossene, halb im Untergrund arbeitende Gemeinde, die aber schon stark der Vorstellung einer christlichen Gemeinde entspricht. Wir haben bei Strobl das gelernt, was später beim II. Vatikanum promulgiert wurde: Christ sein in der Welt von heute. Das war für uns vorweggenommen durch Strobl, Otto Mauer, Prälat Rudolf und andere Vordenker. Das erwies sich für meinen und vieler anderer Lebensweg als bahnweisend. Strobl hat vieles aufgebaut, einiges lebt heute noch: die Katholische Hochschuljugend existiert weiter, wenn auch nicht überall mit gleichem Erfolg, die Stiftung "Pro Scientia" und anderes gibt es immer noch.

DIE FURCHE: Viele, die Nachkriegsösterreich geprägt haben, waren mit Karl Strobl verbunden - neben Ihnen wären da Namen vom Kulturphilosophen Friedrich Heer bis zum Politiker Erhard Busek zu nennen, von der Zeithistorikerin Erika Weinzierl bis zum Begründer der Judaistik, Kurt Schubert: Was hat diese Menschen in ihre prägende Rolle gebracht?

Tuppy: Strobl war Hochschulseelsorger -und hat die Universität sehr ernst genommen. Dort sollten sich die jungen Christen verwirklichen. Strobl selbst hatte eine klare theologische Linie, doch es hat ihn nicht nur die Theologie interessiert. Er hat vor allem die Wissenschaft geschätzt: Und das war im katholischen Raum nicht selbstverständlich. Ich sage das als Naturwissenschaftler: Die Vorbehalte der Kirche gegen naturwissenschaftliche Entwicklungen waren bedrückend. Ich frage mich heute, wie man da im 19. Jahrhundert mit gutem Gewissen überhaupt katholischer Christ sein konnte. Hier war eine Befreiung absolut notwendig -und diese Freiheit war uns in unserer Gemeinschaft gegeben -auf ganz verschiedenen Gebieten: In der Hochschulgemeinde waren Leute von der Philosophie bis zu den Technikern. Das war das eine. Das zweite, das wir gelernt haben, war sehr viel Selbstständigkeit: Strobl war kein Seelsorger, der Direktiven ausgegeben hat. Er war ein hervorragender Pädagoge, seine Gespräche bestanden immer aus Fragen. Dadurch hat er aus den Leuten viel herausgeholt. Auch das Verhältnis zum Staat war neu: Eine freie Kirche in einem freien Staat ...

DIE FURCHE: ... so formulierte es 1952 das Mariazeller Manifest, das als "politische" Grundlage der österreichischen Nachkriegskirche gilt ...

Tuppy: ... und das meint auch die Trennung von Kirche und Staat. Die Kirche durchdringt den Staat, aber es gibt keine gegenseitige Abhängigkeit.

DIE FURCHE: Man wollte die Erfahrungen der Ersten Republik und des Ständestaats überwinden ...

Tuppy: ... und natürlich auch des Nationalsozialismus. Man darf nicht vergessen, dass die Hochschulgemeinde im NS-Staat entstanden ist.

DIE FURCHE: Sie selber haben diese Zeit im Krieg auch selbst miterlebt?

Tuppy: Ich bin seit 1942 dabeigewesen. Durch eine Verletzung beim Arbeitsdienst war ich nicht kriegsverwendungsfähig und konnte daher studieren.

DIE FURCHE: War diese Situation wichtig für die Entwicklung der Katholischen Hochschulgemeinde nach dem Krieg?

Tuppy: Ich glaube, sie hat vor allem Strobl die Gelegenheit gegeben, wirksam zu werden. Er war kein großer Redner -im Gegensatz zu Otto Mauer, dem Prediger. Für uns war es Gemeindebildung in einer geschlossenen Gemeinschaft. Was eine christliche Gemeinde bedeutet, haben wir da erfahren. Ich glaube auch heute: Großgemeinden bringen das einfach nicht. Es ist eher die kleine Gemeinde, in der sich die Gegenwart Christi merkbar verwirklicht.

DIE FURCHE: Diese Kombination von einerseits Gemeinde und anderseits Intellektualität, das Nachdenken war schon einmalig?

Tuppy: Es gab sicher auch andere Stellen, wo es so war.

DIE FURCHE: Aber gerade im katholischen Milieu war diese Kombination nicht häufig.

Tuppy: Es war ein Stilbruch gegenüber vielem von vorher. Es war schon ein Neubeginn.

DIE FURCHE: Dass Freiheit des Denkens und die wissenschaftliche Methode kein Gegensatz zum Glauben sind, gilt ja nicht nur für die Naturwissenschaft.

Tuppy: Das Verhältnis zur Rationalität ist in der katholischen Kirche nach wie vor ein schwieriges.

DIE FURCHE: Am Beispiel der Evolutionsfrage, die in den letzten zehn Jahren immer wieder aufgebrochen ist, sieht man ja, dass die Kirche mit der Naturwissenschaft bei weitem nicht im Reinen ist ...

Tuppy: ... obwohl sich da doch vieles wieder entspannt hat.

DIE FURCHE: Warum hat es in der katholischen Kirche so lang gedauert, bis das aufgebrochen ist?

Tuppy: Ich glaube, dass sich die katholische Kirche als Bollwerk verstanden hat, im Wesentlichen mit Verteidigungspositionen -gegen die Ungläubigen etc. Auch die Dogmen waren ja Verteidigungsdogmen und nicht eigentlich lebensweisende Überzeugungen. Das verträgt sich nicht mit dem Stil einer Wissenschaft, die versucht, das Ergründbare zu ergründen. Wenn man gemeint hat, der Wissenschaft Grenzen setzen zu müssen, damit Glaubenswahrheiten nicht gefährdet werden, dann war das die falsche Einstellung. Es gibt prinzipiell Dinge, die der Naturwissenschaft nicht zugänglich sind. Es wäre viel schöner gewesen, das herauszuarbeiten, was die Fragen sind, die die Wissenschaft nicht "noch nicht", sondern prinzipiell nicht bewältigen kann. Es gab kluge Positivisten, die das genau gewusst haben.

DIE FURCHE: Aber gerade in den letzten Jahren meldet sich eine positivistische Gegenbewegung zu Wort, die behauptet, es gebe nichts, was die Wissenschaft nicht beantworten könnte, schlechtestenfalls sei man mit der Erkenntnis nicht so weit. Aus diesen Gründen sei die Religion obsolet.

Tuppy: Wenn man auf dem Standpunkt beharrt, dass das, was nicht verifizierbar oder falsifizierbar ist, nicht ist, dann kann man so argumentieren. Aber das Leben geht anders vor sich. Auch derer, die diese Meinung vertreten. Hier wird ideell ein Bereich verabsolutiert, obwohl der existenziell auch bei den Betroffenen gar nicht das Alleinige ist: Auch Richard Dawkins lebt nicht nach diesem Prinzip.

DIE FURCHE: Nach seinem Weggang als Hochschulseelsorger 1969 war Karl Strobl bis zu seinem Tod in der Kirche präsent - etwa bei den Katholikentagen oder auch beim Papstbesuch 1983. Aber seither ist vom Aufbruch wenig übrig geblieben. Es gibt sogar Leute, die sagen: Weil die Katholiken damals so in die Welt hineingegangen sind und das "Bollwerk" Kirche aufgegeben haben, sind sie jetzt eine marginalisierte Gruppe geworden.

Tuppy: Das musste man in Kauf nehmen. Wenn der Sauerteig wirken soll, dann muss er in den Teig kommen. Man kann nicht nur den Sauerteig als solchen vermehren.

DIE FURCHE: Auch ist ja nicht bewiesen, dass es anders gekommen wäre, wäre das Bollwerk geblieben ...

Tuppy: ... und das, was früher Bollwerke waren, das katholische Verbandswesen, erfüllt diese Aufgaben auch nicht!

DIE FURCHE: Wie sollte heute ein Christ in der Gesellschaft wirken?

Tuppy: Das II. Vatikanum hat uns sehr bestärkt, dass die Christen mit anderen in der Welt arbeiten, dass das Wohlergehen, als Christ würde man sagen: das Heilsgeschehen fortgesetzt wird. Heute geschieht das in einer anonymen, unspektakulären Weise. Aber wenn ich sehe, welchen Widerhall ein neuer Papst mit seiner aus der europäischen Enge ausbrechenden Art findet, da ist doch einiges da.

DIE FURCHE: Heißt das, dass Leitfiguren nötig sind?

Tuppy: Ja - das gilt, nebenbei gesagt, auch für die österreichische Politik.

DIE FURCHE: Aber wie kommt man zu solchen? Strobl hat ja versucht, Menschen, die etwas bewegen können, zu entdecken und zu fördern. Die Zeiten einer Regierung mit Mitgliedern, die aus der Hochschulgemeinde kamen -wie Erhard Busek, Franz Fischler oder Sie selber - sind aber vorbei. War es Strobls Bestreben, daran zu arbeiten, Sauerteig in der Gesellschaft zu sein?

Tuppy: Ja. Strobl hatte eine überzeugende Art, vom Reich Gottes zu sprechen. Auch das Konzil spricht davon, dass das Reich Gottes schon in diesem unseren Leben angelegt ist. Er hatte eine sehr überzeugende Art, das, was wir tun, sub specie aeternitatis zu betrachten. Und das ist etwas durchaus Tragfähiges.

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