350 Jahre Westfälischer Friede - © Foto: Ralf Ennerich/Presseamt Stadt Münster  -  Staatsoberhäupter, 1998 in Münster versammelt

Ich in der Entourage

19451960198020002020

Erlebnisbericht eines Unnötigen auf einer unnötigen Reise.

19451960198020002020

Erlebnisbericht eines Unnötigen auf einer unnötigen Reise.

Werbung
Werbung
Werbung

Das Staatsoberhaupt auf einer offiziellen Reise begleiten. Wer möchte das nicht? Es gibt Journalisten, gar nicht so wenige, die tun das ständig. Manche schreiben dann sogar so, als wären sie zur Rechten des Herrn Bundespräsidenten gesessen. Am Tag, an dem das Staatsoberhaupt nach Münster flog, um mit zwanzig anderen Staatsoberhäuptern feierlich der Unterzeichnung des Westfälischen Friedens vor 350 Jahren zu gedenken, nahm in den Redaktionen das EU-Treffen in Pörtschach alles in Beschlag. Unter solchen Umständen kommt es vor, daß das Ansinnen, den Herrn Bundespräsidenten auf einer Staatsvisite zu begleiten, auch einmal an einen Journalisten vom Feuilleton herantritt und er unversehens in die sogenannte Entourage des Staatsoberhauptes gerät.

Der Anlaß war vielversprechend. Der Westfälische Friede, eine europäische Zäsur. Wiewohl das Ende des Dreißigjährigen Krieges 350 Jahre zurückliegt, gibt er seine Bedeutung erst heute im vollen Ausmaß preis. Vielleicht müßte es heißen: wieder preis. Heute hat der Westfälische Friede ja auch in deutschen Landen wieder einen guten Ruf. Das war nicht immer so. Die gewaltige Ausstellung, für die nicht nur historische Objekte, sondern auch eine große Zahl bedeutender Kunstwerke nach Münster gebracht worden waren, ward bereits vor der Eröffnung in den höchsten Tönen gepriesen. Sie würde die Reise lohnen, auch wenn ich nicht hoffen durfte, zur Rechten des Herrn Bundespräsidenten zu sitzen.

Im kleinen Managerflugzeug mit dem Herrn Bundespräsidenten

Auf dem Flughafen kein Knäuel wieselnder Sekretäre aller Klassen. Auch keine an den Leinen zerrende Journalistenmeute, wie sich der kleine Max vom Feuilleton das so vorstellt. Eine winzige Gruppe von Herren. Alles ganz leise und angenehm informell. Im kleinen Managerflugzeug saßen dann elf Passagiere. Der Herr Bundespräsident schon mitgezählt. Sieben Journalisten, der Bundespräsident, der für dessen Pressekontakte Zuständige und noch zwei Begleiter.

Als ehrlicher Selbstbeobachter muß ich es leider gestehen: In einer Kolonne von Blaulichtfahrzeugen über alle Kreuzungen zu jagen, unter auf Rot geschalteten Ampeln hindurch, selbstverständlich ohne indiskrete Polizeihörner, weil sowieso die gesamte Strecke von wachsamen Beamten und fröhlichen, viele bunte Fähnchen schwingenden Menschen gesäumt, das läßt schon ein Gefühl von Wichtigkeit durch den Körper strömen. Die Stammgäste solcher Reisen mögen ja schon etwas blasiert sein, aber der Zaungast fühlt sich selbst dann übers gewöhnliche Volk erhoben, wenn er in keiner gepanzerten Limousine sitzt, sondern als Journalist der Kolonne in einem häßlichen blauen Kleinbus hinterherjagt.

Signalisierte Wichtigkeit

Auch das Namensschild mit dem Wort "Delegation", das man mir in die Hand gedrückt hatte, um es ans Revers zu heften, signalisierte Wichtigkeit. Umso tiefer der Sturz, als ich hörte, welche Sperren und Kontrollen man damit passieren durfte. Nämlich eigentlich keine. Es gab dem Träger bloß das Recht, die Straße 50 Meter entlangzugehen, einen zur Universität gehörenden Bau zu betreten und dort zu bleiben. Auf einer großen Leinwand in einem Hörsaal konnte man, fast so schön wie zuhause im Fernsehen, die Staatsoberhäupter beobachten, wie sie sich in ein Buch eintrugen und aßen, um dann, Höhepunkt des Tages, die Rede des deutschen Bundespräsidenten mit dem fotokopierten Text zu vergleichen. Eine Möglichkeit, die Ausstellung über den Westfälischen Frieden zu besichtigen, war damit keineswegs verbunden. Sie war an dem Tag den Staatsoberhäuptern vorbehalten, die darin allerdings nur wenige Minuten verweilten.

Schade, denn der Westfälische Friede wirkt tatsächlich noch in unsere Zeit herein. Einerseits als historischer Beispielfall. In einem fast vierjährigen Gerangel gelangten die europäischen Staaten zum ersten Mal zu einer rechtlich abgesicherten, für alle verbindlichen Ordnung, die ihr Zusammenleben auf eine neue Basis stellte. Dadurch ist der Westfälische Friede gerade jetzt wieder einmal aktuell. Andererseits wurde er aber nicht immer und überall so positiv gesehen wie am Ende des Dreißigjährigen Krieges, dieses großen Mordens, das ganze Landstriche entvölkert und Europa verarmt hatte - oder nach dem Zweiten Weltkrieg. 1648 bedeutete das Ende der Gegenreformation. In Deutschland war der Westfälische Friede vom Beginn der nationalen Bewegung bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs für viele ein Symbol der Unterjochung Deutschlands und für die Nazis ein Kristallisationspunkt nationaler Wehleidigkeit.

Schade. Nix mit der Ausstellung. Auch das Recht, etwa ans Fenster des Pressegefängnisses, pardon, des Hörsaalbaues - wo noch Platz gewesen wäre - zu treten und die Staatsoberhäupter live vorbeigehen zu sehen oder gar zu fotografieren, gab dem "Delegationsmitglied" sein Gepäckanhänger noch lange nicht. Dafür hätte man sich am Vortag anmelden und einen speziellen Ausweis lösen müssen. In schwierigen Sonderverhandlungen mit der Polizei konnten vier Journalisten aus der Begleitung des Herrn Bundespräsidenten immerhin den besonderen Vorzug erwirken, die Sperren passieren, einen kleinen Rundgang durch den nicht abgesperrten Rest von Münster unternehmen, einen Kaffee trinken und zurückzukehren zu dürfen, ohne aufgehalten zu werden.

Um sodann den Weg vom Türl des Hörsaalbaues zum wartenden Kleinbus zurückzulegen, mußte das Delegationsschild abgegeben, in einer Liste abgehakt und gegen ein anders aussehendes - das dann allerdings niemand mehr sehen wollte - eingetauscht werden, und auch der Pressebetreuer des Herrn Bundespräsidenten wurde nun wieder erblickt. Dann jagte die Autokolonne des Herrn Bundespräsidenten zurück zum Flughafen.

In der Dämmerung kamen nicht nur die blauen Lichter, sondern auch die - von wegen Hauptverkehrszeit - angehaltenen Kolonnen gewöhnlicher Autofahrer besonders zur Geltung. Das prickelnde Gefühl der Wichtigkeit im Polizeikonvoi wollte sich nicht mehr so recht einstellen. Möglicherweise muß man ja überhaupt ein bißchen kindlich sein, um es genießen zu können. Vielleicht verhält es sich damit so ähnlich wie mit dem sogenannten Kindchenschema, der wohlbekannten, untrüglichen Anziehungskraft praller Babybäckchen, die sich leider um so mehr abschwächt, je flächendeckender sie von der Werbung ausgenützt wird.

Journalisten und Staatsoberhäupter - nur Gefangene ...

Als Unabgebrühter vom Feuilleton hätte man an diesem Tag klaustrophobische Anfälle bekommen können. Andersrum betrachtet waren aber bei diesem Treffen der Staatsoberhäupter auch sie selbst Gefangene, alle waren irgendwie Gefangene eines immer lückenloseren Sicherheitsdenkens: Die Staatsoberhäupter auf der einen Seite der Absperrung, die fähnchenschwingende Bevölkerung auf der anderen, Polizei und Journalisten dazwischen. Auf die 15.000 Einwohner Münsters kamen dem Vernehmen nach 1.200 uniformierte Polizistinnen und Polizisten und 2.500 in Zivil. Jeder, der in Münster irgendwo auf dem Weg der Staatsoberhäupter an einem Fenster stand, war schon Tage vorher polizeilich überprüft worden.

Die Regie hat dabei bestens geklappt. Sich vor dem Start zum Heimflug auf seinem Sitz im Flugzeug niederlassend, sprach der Herr Bundespräsident von der besonderen Volksnähe, die man an diesem Tage erlebt habe. Wer überhaupt auf die Idee gekommen war, die Staatsoberhäupter der Signatarmächte des Westfälischen Friedens zusammenzutrommeln, auf daß sie sich ins Goldene Buch der Stadt Münster einschrieben - wahrlich eine Idee von monumentaler Nutzlosigkeit - war nicht eruierbar. Man kam ja niemandem, den man das hätte fragen können, auch nur in die Nähe. Immerhin war es protokollarisch der höchstrangige Event in der fünfzigjährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Die Königinnen beziehungsweise Könige Belgiens, Dänemarks, Hollands, Norwegens, Schwedens und Spaniens sowie Liechtensteins Fürst, Luxemburgs Großherzog und Roms Kardinalstaatssekretär waren da, die Präsidenten Deutschlands, Estlands, Italiens, Lettlands, Litauens, Österreichs, Polens, der Schweiz und Tschechiens und ein ehemaliger Präsident Finnland waren da, aus Frankreich allerdings nur ein Senatspräsident: Sonst muß ein Kaiser oder ein König sterben, damit soviel Wichtigkeit antanzt.

Der Autor war lange Zeit Theaterkritiker, Leiter des Buch-Ressorts und Autor politischer Kommentare der FURCHE.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung