dschihadisten demo - © APA / AFP

Alte Säcke und Dschihadisten von morgen: Wie pointiert darf journalistische Kritik sein?

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Pauschale Verunglimpfungen von gesellschaftlichen Gruppen können zumeist vor den Gerichten nicht geltend gemacht werden. Dafür gibt es Presseräte, die Selbstkontrollorgane der Medienbranche.

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Pauschale Verunglimpfungen von gesellschaftlichen Gruppen können zumeist vor den Gerichten nicht geltend gemacht werden. Dafür gibt es Presseräte, die Selbstkontrollorgane der Medienbranche.

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Ein Bild des damaligen Papstes Benedikt XVI. mit den Armen zum Gruß erhoben. Seine Soutane ist in Schritthöhe gelb gefärbt. Die Überschrift dazu: "Halleluja im Vatikan - Die undichte Stelle ist gefunden!" Auf der Rückseite ein weiteres Bild des Papstes, diesmal von hinten; auf Gesäßhöhe hat seine Soutane einen braunen Fleck. Der beigefügte Text: "Noch eine undichte Stelle gefunden!" Der Heftumschlag der deutschen Satirezeitschrift Titanic von Juli 2012 spielte darauf an, dass interne vertrauliche Dokumente des Vatikans über Korruption und Günstlingswirtschaft an die Öffentlichkeit gelangt waren.

Was können Presseräte?

Der deutsche Presserat bewertete die Veröffentlichung als herabwürdigend. In der Entscheidung wurde betont, dass Satire zwar Kritik an gesellschaftlichen Vorgängen mit den ihr eigenen Stilmitteln wie Übertreibung und Ironie in Wort und Bild üben darf. Dieser Ansatz gelte jedoch nicht uneingeschränkt -das Fazit: Obwohl der Papst eine Person der Öffentlichkeit ist, hat er Anspruch auf Schutz seiner Menschenwürde.

Auch der österreichische Presserat ist eine ethische Selbstkontrolleinrichtung der Zeitungen und Zeitschriften und beschäftigt sich oftmals mit religiösen Themen. Der Presserat kann von Lesern und Institutionen angerufen werden. Seine Entscheidungen werden unter www.presserat.at publiziert.

Im letzten Jahr haben sich die drei Senate des Presserats mit 320 Fällen befasst, 2016 stellten sie in 34 von 307 Fällen medienethische Verstöße fest. Die Entscheidungen der Ethikwächter haben in erster Linie Mahn-und Appellfunktion. Die damit verbundene Prangerwirkung sollte jedoch nicht unterschätzt werden. Journalisten trifft es durchaus empfindlich, wenn anerkannte Berufskollegen anhand des "Ehrenkodex für die österreichische Presse", eines Katalogs von zwölf medienethischen Prinzipien, Verfehlungen feststellen. Die kostenlosen Verfahren vor dem Presserat sind eine Alternative zum Rechtsweg. Ziel ist es, einen medienethischen Diskurs mit der Branche, aber auch mit der Allgemeinheit in Gang zu setzen. Im Gegensatz zu den Gerichten kann der Presserat allerdings weder Strafen aussprechen noch Schadenersatzansprüche zuerkennen.

Nicht immer sind die von der Berichterstattung Betroffenen Prominente. 2017 wandte sich etwa die Familie eines Mordopfers an den Presserat, die sich in ihrer Religionsausübung gestört sah. In einem Bericht in den NÖN über das Begräbnis des Ermordeten wurden Fotos gezeigt, die die Angehörigen und den Sarg in Großaufnahme zeigen. Der Presserat fand es aus medienethischer Sicht bedenklich, dass der Reporter durch sein aufdringliches Fotografieren die Trauerfeier störte. Die Veröffentlichung der Bilder verletze die Privatsphäre der Angehörigen und beeinträchtige deren Trauerarbeit. Der Umstand, dass der Verstorbene Opfer eines Verbrechens wurde, mache das Begräbnis nicht zu einem öffentlichen Ereignis, so der Presseratssenat abschließend.

Zahlreiche Beschwerden, die beim Presserat einlangen, betreffen die Verunglimpfung, Herabwürdigung und Diskriminierung von religiösen Gruppen (vor allem jene der Muslime). Derartige Konstellationen sind ein Beispiel dafür, dass Medienethik weiter reicht als Medienrecht: Pauschale Verunglimpfungen von gesellschaftlichen Gruppen können zumeist vor den Gerichten nicht geltend gemacht werden.

Ein Beispiel für einen gravierenden Fall einer Diskriminierung ist ein Artikel der Kronen Zeitung aus 2014. "Früh übt sich der Dschihadist von morgen", lautete die Überschrift. Daneben war ein Bild veröffentlicht, das einen Buben im Alter von ca. zehn Jahren mit einem traditionellen Dolch in der Hand zeigt. Der Autor des Berichts hielt fest, dass der Tanz beim muslimischen Opferfest im Jemen "angeblich nur ein folkloristisches Ritual" sei, "aber man kann dennoch nie wissen ". Der Presserat stufte diese Art der Berichterstattung als eine Diskriminierung aus religiösen Gründen ein, das Opferfest wurde zu Unrecht mit Dschihadismus in Verbindung gebracht.

Fotomontage in der "Krone" etc.

Den nächsten Ethikverstoß beging ebenfalls die Kronen Zeitung. Auf ihrer Webseite wurde ein Artikel mit dem Titel "Muslime mit Zweitfrau: Bis zu 3000 Euro Sozialhilfe" veröffentlicht. Dem Artikel war eine Fotomontage beigefügt, wo ein lächelnder muslimischer Mann, die Schattenbilder zweier verschleierter Frauen, herabregnende Geldscheine und im Hintergrund eine österreichische Fahne zu sehen waren. Im Artikel hieß es, bis zu 20 Prozent der muslimischen Männer würden in Bigamie leben. Diese seien neben der "offiziellen" standesamtlich eingetragenen Ehefrau noch mit einer zweiten Frau nach islamischen Recht verheiratet. Dadurch würde das Sozialsystem zusätzlich belastet, da eine "Zweitfrau" als offiziell Alleinstehende eine höhere Mindestsicherung beziehen könne als eine Ehefrau. Nach Meinung des Presserats wurde in dem Artikel der Eindruck eines generellen, gängigen Sozialmissbrauchs vermittelt, obwohl nebenbei eingeräumt wurde, dass ein solches Verhalten in Österreich bisher nicht bekannt sei. Das Ethikgremium stellte deshalb eine Pauschalverdächtigung von Muslimen fest.

Auch in der Gratiszeitung Heute kam es zu einer schwerwiegenden Diskriminierung von Muslimen. Dort hieß es 2012 in einem Bericht zu einem Eifersuchtsmord, dass der Täter zu jener Sorte Mann gehöre, "die zum Glück eher hinterm Halbmond lebt. In Ländern, wo das Gesäß beim Beten höher ist als der Kopf. Partnerinnen betrachten sie als Besitz. Macht sich der selbständig, drehen sie durch".

Demgegenüber betrachtete der Presserat die Passage in einem Kommentar in der Tageszeitung Österreich zu den Terroranschlägen in Brüssel, wonach mittlerweile die Diskussion erlaubt sein müsse, "ob nicht der Islam als solcher verboten werden soll", als noch mit der Pressefreiheit vereinbar. Die Begründung dafür: Bei persönlichen Wertungen und Meinungen reiche der Spielraum der Journalisten entsprechend weit.

Die Kollegen vom deutschen Presserat waren im Falle des folgenden Textabschnitts in einem Kommentar mit dem Titel "Der Islam als Integrationshindernis" in der Bild-Zeitung strenger: "Mich stört die weit überproportionale Kriminalität von Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund. Mich stört die totschlagbereite Verachtung des Islam für Frauen und Homosexuelle. () Nun frage ich mich: Ist Religion ein Integrationshindernis? Mein Eindruck: Nicht immer. Aber beim Islam ja." Nach Meinung des deutschen Presserats spreche der Kommentar dem Islam als Glaubensrichtung die Integrationsfähigkeit pauschal ab. Im vorliegenden Fall seien alle Muslime unter Generalverdacht gestellt worden. Kurz nach der Rüge des deutschen Presserats verließ übrigens der Autor des Beitrags die Bild-Zeitung. Die beiden Beispiele verdeutlichen, dass Pressefreiheit und Informationsmissbrauch oft nahe beieinander liegen.

Salopp formulierte Kritik möglich

Interessant ist auch eine weitere medienethische Entscheidung aus Deutschland. Der dortige Presserat hielt die Beschreibung "esoterisches Klimbim" für die katholische Dogmatik in einem Kommentar für legitim - es handle sich hier lediglich um eine kritische Bewertung von Glaubensinhalten. Selbst die polemische Bezeichnung "alte Säcke" für Papst Franziskus und seine beiden Vorgänger ließ das deutsche Ethikorgan durchgehen. Es sei zwar verständlich, dass die Bezeichnung "alter Sack" für das Oberhaupt der katholischen Kirche bei den Gläubigen Missmut verursache. Die Formulierung sei jedoch als eine salopp formulierte Kritik an den Altersumständen an der Spitze der Kirche zulässig und wirke sich nicht beleidigend für die einzelne dahinterstehende Person aus.

Daraus lässt sich ein allgemeiner Grundsatz ableiten: Aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung müssen Religionsgemeinschaften entsprechend viel an öffentlicher Kritik aushalten.

Derr Autor ist Geschäftsführer des Österreichischen Presserats.

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