Mit der Natur statt gegen sie

Werbung
Werbung
Werbung

Bauernsterben, Tierleid, Lebensmittelskandale, mindere Produktqualität, erodierte Böden, belastetes Grundwasser: Nichts ist so teuer wie billige Nahrungsmittel.

Warum Bio besser ist", lautet der Titel einer zwei Jahre zurückliegenden Untersuchung der österreichischen Wissenschaftler Alberta Velimirov und Werner Müller. 175 Studien wurden dafür ausgewertet und brachten eine reichhaltige Fülle von Vorteilen biologischer Lebensmittel ans Tageslicht: Obst und Gemüse aus ökologischer Landwirtschaft enthält beispielsweise durchschnittlich mehr Vitamine, mehr Mineralstoffe, weniger Schwermetalle, ist besser haltbar und schmeckt besser, Bio-Getreide und BioHülsenfrüchte haben einen höheren Gehalt an essenziellen Aminosäuren, geringere Pestizid- und Schwermetall-Rückstände und werden von Tieren bevorzugt; Eier haben ein höheres Gewicht sowie geringere Pestizid- und Antibiotikarückstände.

Zwei Drittel minus bei Weizen

Die biologische Landwirtschaft erhebt den Anspruch, mit der Natur statt gegen sie zu arbeiten, Ressourcen zu schonen und Tiere sowie Boden nachhaltig zu bewirtschaften statt sie auszubeuten. Auch in der Produktverarbeitung soll eine möglichst große Natürlichkeit der Lebensmittel bewahrt werden. Diese Faktoren sowie die strengeren Kontrollen schlagen sich auf die Preise nieder: Laut Erhebungen der Agrarmarkt Austria (ama) waren in den ersten vier Monaten dieses Jahres biologische Äpfel, Erdäpfel, Zwiebel und Karotten rund doppelt so teuer wie konventionelle Vergleichsprodukte, Frischobst, Eier und Geflügelfleisch in Bio-Qualität um etwa 50 Prozent, Butter, Rindfleisch, Käse, Wurst und Schinken um rund ein Drittel und Frischmilch sowie Joghurt um zirka zehn Prozent teurer als die jeweilige konventionelle Ware.

Doch nicht überall bekommen die Biobauern mehr als ihre konventionellen Kollegen: Für Bio-Milch beispielsweise zahlen einige Molkereien keinen Aufschlag - und das bei konventionellen Preisen, die mit 26 bis 28 Cent pro Liter weit niedriger liegen als die 40 Cent, die noch vor dem eu-Beitritt Österreichs gezahlt wurden. Ein Stundenlohn von kaum mehr als drei Euro hat in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Milchbauern von 80.000 auf unter 50.000 sinken lassen. Noch drastischer war der Preisverfall für die österreichischen Getreidebauern: Vor dem eu-Beitritt belief sich der Erlös für ein Kilo Qualitätsweizen auf 31 Cent, jetzt sind es nur noch zehn Cent.

Ohne faire Erzeugerpreise für Lebensmittel werde der schon seit langer Zeit laufende Strukturwandel zur Strukturzerstörung führen, warnt die ig-Milch, die die Interessen von mehr als 5000 Milchbauern direkt vertritt: Ohne eine Wende in der landwirtschaftlichen Preispolitik werde es zum Verlust der Ernährungssouveränität, zur Zerstörung der Kulturlandschaft, zum Verlust weiterer zigtausender bäuerlicher Arbeitsplätze und zur Förderung der Agrarindustrie kommen. In eindringlich-derber Sprache werden die Folgen beschrieben: "Agrarindustrie mit Betrieben von bis zu 80.000 Mastplätzen bei Schweinen und fünf Millionen Hühnern bedeutet zwangsläufig Dequalifizierung bäuerlicher Arbeit. Bei einem Betrieb mit fünf Millionen Hühnern werden keine Bäuerinnen und Bauern gebraucht, sondern Totehühnerrausholer', Scheißefahrer', Elektriker und ein Management."

Getötete männliche Kücken

Jährlich werden in Europa 280 Millionen männliche Kücken aus "Wirtschaftlichkeitsgründen" unmittelbar nach der Geburt umgebracht, nennt der ehemalige "Ja!Natürlich"-Geschäftsführer und Bio-Pionier Werner Lampert in seinem soeben erschienen Buch "Schmeckt's noch?" erschreckende Fakten. Unter anderem beschreibt er anhand der Schweineaufzucht, wie sehr Tiere teilweise jetzt schon als Dinge statt als Geschöpfe gesehen werden: "Bei der Ferkelproduktion' wird die Muttersau während des Geburtsvorganges und während der Säugeperiode wie eine Reproduktionsmaschine fixiert, das heißt in einem Kastenstand in völliger Bewegungseinschränkung gehalten. Selbstverständlich ist jeder Sozialkontakt, jedes Mutter-Kind-Verhalten unmöglich gemacht." Und weiter: "Kaum auf der Welt, werden den Ferkeln in den ersten drei Lebenstagen oft die Schwänze kupiert, die Eckzähne abgezwickt und die jungen Eber kastriert ... Viel zu früh, nach drei bis vier Wochen, wird die Säugezeit beendet ... Mastschweine weisen mit nur fünfeinhalb Monaten ein Schlachtendgewicht von 100 bis 120 kg auf." Erst nach etwa vier Jahren wäre das Skelett eines Hausschweines voll entwickelt, stattdessen hat es bei einem vom Gewicht her erwachsenen Körper noch Milchzähne. Herzschwäche, Gelenksfehlentwicklungen mit dauerhaftem Schmerz sind die Folgen. Der intensiv-beißende Ammoniakgeruch, der die Augen der Schweine permanent tränen lässt, kann bis zur Erblindung führen, Stress aufgrund ungewohnter Situationen wie Transporte zum vorzeitigen Tod, heißt es weiter.

Lampert betont auch einen der wichtigsten Gesichtspunkte des ökologischen Landbaus: "Nur ein gesunder Boden trägt gesunde Früchte" und verweist darauf, dass es in einer handvoll Erde mehr Lebewesen gibt als Menschen auf der Erde. Weiters beschreibt er auch die zerstörerischen Auswirkungen eines fast schon schizophrenen Landwirtschaftssystems: "In Südamerika werden systematisch Regenwälder niedergebrannt, um Soja für unsere fehlgefütterten Tiere anzubauen."

Die Bedeutung von Gras und Heu für Kühe ist Alfred Haiger, langjähriger Vorstand des Institutes für Nutztierhaltung an der Universität für Bodenkultur in Wien wichtig: Die Kuh habe durch ihr Magensystem die Fähigkeit, Zellulose aufzuschließen und zu verwerten. Somit eigneten sich Rinder perfekt zur Grünfutterverwertung und seien daher für eine gepflegte Kulturlandschaft unerlässlich.

In seinem ebenfalls im Oktober auf den Markt gekommenen Buch "Naturgemäße Tierzucht bei Rindern und Schweinen" plädiert er beispielsweise bei der Zucht von Milchrindern für eine Abkehr von kurzfristigen Höchstleistungen und eine Forcierung der Lebensleistung, bei der Kühe statt dreimal 10.000 Liter beispielsweise sieben Mal 7.000 Liter Milch geben. Sowohl bei der Rinder- als auch bei der Schweinemast sei es unumgänglich, Wege von der Quantität zu einer höheren Fleischqualität zu finden: Der jetzige Schweinefleischverbrauch von 50 Kilo pro Kopf und Jahr könne mit einer naturgemäßen Schweinehaltung nicht gedeckt werden, sehr wohl aber ein ernährungswissenschaftlich vertretbarer Bedarf, der bei etwa einem Drittel liegt - "ein Festtagsbraten mit gutem Gewissen", wie es Haiger formuliert.

"Geiz bleibt Geiz"

Es geht also im Sinne fast aller Bauern, der Lebensmittelqualität und der Umwelt um eine Systemänderung, betonen die Vertreter der ig-Milch: Weg von Hungerlöhnen für Bauern, die die Schleuderpreise der Supermärkte erst ermöglichen und weg von den Agrarfabriken.

In Anlehnung an die prägende Werbung, in der Geiz als etwas Erstrebenswertes dargestellt wird, sagt Ernst Halbmayr von der ig-Milch: "Geiz bleibt Geiz und zerstört den ländlichen Raum." Es gehe um die Bewusstseinsbildung, dass die Menschen erkennen, dass das Wohlbefinden mit der Qualität der Nahrung zusammenhängt: "Jeder sollte genau schauen, was er isst, wie es produziert wurde und woher es kommt", verweist der Bauer auf die im Allgemeinen höhere Qualität und den besseren Geschmack regionaler Frischprodukte. Daher sei es auch höchste Zeit, sich gegen die geplanten Förderungskürzungen anlässlich der kommenden wto-Welthandelsgespräche zu wehren. Bio-Austria-Sprecher Wilfried Oschischnig: "Wenn Förderungen so stark gekürzt werden wie geplant, müssen viele Bio-Landwirte zusperren."

SCHMECKT'S NOCH?

Von Werner Lampert

Ecowin, Salzburg 2005

162 S., geb., e 22,-

NATURGEMÄSSE TIERZUCHT

BEI RINDERN UND SCHWEINEN

Von Alfred Haiger

AV Buch 2005

160 S., kart., e 20,50

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung