Preisregen für "Die Klavierspielerin"

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Der österreichische Regisseur Michael Haneke räumte beim Filmfestival in Cannes Preise ab. Zwei andere heimische Filme gingen leer aus.

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Der österreichische Regisseur Michael Haneke räumte beim Filmfestival in Cannes Preise ab. Zwei andere heimische Filme gingen leer aus.

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Die Anerkennung, die ihm in Österreich nie zu Teil wurde, gönnt ihm jetzt das Festival in Cannes: Dort räumte Michael Haneke zwar nicht die Goldene Palme ab, denn die ging an den Italiener Nanni Moretti für seinen Film "La Stanza del Figlio". Dennoch war es das Festival des Michael Haneke. Sein kontroversieller Film "Die Klavierspielerin", eine österreichisch-französische Koproduktion, bekam gleich drei Auszeichnungen. Einmal für den besten männlichen Hauptdarsteller, den jungen Franzosen Benoit Magimel, dann - wie schon erwartet - für die beste weibliche Hauptdarstellerin, Isabelle Huppert, die als Klavierlehrerin Erika Kohut in der Jelinek-Verfilmung die bislang beeindruckendste Schauspielleistung ihrer Karriere ablieferte. Und schließlich den Großen Preis der Jury, nach der Palme der zweitwichtigste Preis in Cannes, den Haneke mit Genugtuung persönlich entgegen nahm. Haneke, der bereits dreimal im Wettbewerb von Cannes mitmischte, wurde nun endlich belohnt. Dass es nicht die Goldene Palme war, lässt ihm zumindest eine Chance, auf kommenden Verleihungen diesen begehrtesten europäischen Filmpreis zu bekommen.

Haneke hat sich somit endgültig als einer der großen Regisseure in Frankreich etabliert. Die Auszeichnungen geben seiner Entscheidung, seine Filme in Frankreich zu drehen, mehr als Recht. Ungewöhnlich ist auch, dass ein Film gleich mit drei Preisen ausgezeichnet wird, was allerdings für die Qualität von "Die Klavierspielerin" spricht.

Die Geschichte um die Wiener Klavierlehrerin Erika Kohut (Huppert), die auch mit 40 noch unter der Fuchtel ihrer Mutter (Annie Girardot) leidet und sich in perverse sexuelle Vorstellungen flüchtet, wird ein zentraler Film in Hanekes Schaffen werden, wiewohl der Regisseur davon spricht, dass "Die Klavierspielerin" wohl stilistisch eher eher eine Ausnahme darstellt.

Um ihre sexuelle Lust zu befriedigen, scheut die Klavierlehrerin Kohut nicht vor Pornokinos zurück, wo sie an den benutzten Taschentüchern der männlichen Besucher riecht. Oder sie verstümmelt sich mit einer Rasierklinge ihr Geschlecht, um ihre Lust zu steigern und missbraucht die Liebe eines ihrer Schüler (Magimel), um ihm einen 10-seitigen Brief mit all ihren perversen Wünschen zuzustecken. "Die Klavierspielerin" ist eine famos inszenierte Achterbahnfahrt der wirren Gefühle einer kranken Frau. Haneke wird aber niemals explizit. Wann immer andere Regisseure mehr zeigen würden, schwenkt Haneke weg, überlässt das Geschehen der Phantasie des Zuschauers und macht ihn so zum Komplizen der abnormen Hauptfigur, die nur so pervers sein kann, wie es sich die Zuschauer in ihren Köpfen vorstellen.

In Cannes wurde Hanekes Film von der Presse mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Viel Applaus, aber auch Buh-Rufe waren da zu hören. Freilich: was wäre ein Haneke-Film, der jedem gefällt?

Ein anderer Film aus Österreich erzählt vom sexuellen Erwachen eines Teenagers und von seinen Problemen, ungehört zu bleiben. "Lovely Rita", der Erstlingsfilm von Jessica Hausner, lief in der Programmschiene "Un Certain regard" mit grossem Erfolg, ging aber schließlich leer aus. Gezeigt wird die 15-jährige Rita (Barbara Osika), deren innerlich loderndes Verlangen nach Zuneigung und Liebe letztlich unerfüllt bleibt. Das sexuelle Erwachen ist ein Lieblingsthema vieler junger Regisseure, aber selten wurde es so beruhigt, so gelassen inszeniert wie bei "Lovely Rita". Minimalistisch und unaufgeregt sieht Jessica Hausner ihrer Rita zu und dramatisiert nicht unnötig jene Gefühle, die in diesem Alter eigentlich völlig normal sind.

Im Rahmen der Programmschiene "Cinefondation" war unterdessen auch Ruth Maders Kurzfilm "Nulldefizit" zu sehen, der sich mit den sozialen Veränderungen seit dem Machtantritt von Schwarz-Blau auseinander setzt. Randgruppen wie Behinderte, Ausländer, Arbeitslose oder alleinerziehende Mütter sind von einem "neuen Mangel an Solidarität betroffen", wie Mader es ausdrückt.

Palmen-Preisträger Nanni Moretti, der die Geschichte einer Familie erzählt, die ihren Sohn bei einem Unfall verliert, ist der verdiente Gewinner eines Festivals, das außer seinem und Hanekes Film kaum Höhepunkte bot. Moretti schrieb bei "La Stanza del Figlio" nicht nur das Drehbuch und führte Regie, sondern spielte auch selbst die Hauptrolle. Der Preis für den besten Regisseur ging unterdessen ex aequo an Joel Coen für seinen Film "The Man Who Wasn't There" und an David Lynch, der mit seinem Film "Mulholland Drive" die Jury verzückte.

Im ersten Jahr des neuen Programmdirektors des Festivals, Thierry Fremaux, entfernte sich dieser keinen Millimeter vom Jahrzehnte langen Usus seines Vorgängers Gilles Jacob, jetzt Festivalpräsident. Für das kommende Jahr wünschen wir uns an der Croisette jedenfalls wieder mehr Mut bei der Filmauswahl und die Fortsetzung des österreichischen Filmwunders, das in Cannes heuer seinen ersten Höhepunkt erreicht hat. Michael Haneke hat jedenfalls gezeigt, dass seine Kunst im Ausland längst mehr gilt als in seiner Heimat. Und das ist - trotz des Preisregens - eigentlich sehr schade.

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