Und die Ungeduld wächst und wächst

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Am 16. Mai endete der zweite Ökumenische Kirchentag in München: Der Missbrauchsskandal in der römisch-katholischen Kirche, das Comeback der ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann und die Sehnsucht nach einem gemeinsamen Abendmahl standen im Mittelpunkt.

Gleich zu Beginn des Podiums zum sexuellen Missbrauch kommt es zum Eklat. „Das ist ein Lügentheater, das Sie hier veranstalten“, ruft eine erregte Stimme in die überfüllte Messehalle. „Nicht Sie haben das Schweigen gebrochen, die Opfer haben das Schweigen gebrochen.“ Norbert Denef, Sprecher des Netzwerks Betroffener von sexualisierter Gewalt, steht ganz vorne vor dem Podium und versucht Jesuitenpater Klaus Mertes, dem Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, das Wort zu entziehen. Die Szenerie ist von besonderer Pikanterie, denn ausgerechnet Mertes ist es, der das Schweigen über den Missbrauch in der katholischen Kirche Deutschlands gebrochen und im Januar einen Skandal öffentlich gemacht hat, der seither ungeahnte Dimensionen annimmt. Der Jesuit, vom Publikum in der Halle bejubelt und für viele eine Lichtgestalt des deutschen Katholizismus, reagiert schlagfertig: „Sie haben vollkommen recht: Nicht ich habe das Schweigen gebrochen, sondern die Opfer haben das Schweigen gebrochen.“

Noch keine „große Lösung“

Seit Wochen, ja seit Monaten überlagert der Missbrauchsskandal in Deutschland alle anderen kirchlichen Themen. Zweifelsohne steht er auch im Mittelpunkt des zweiten Ökumenischen Kirchentags in München, aber er überrollt ihn nicht so total, wie manche im Vorfeld befürchtet haben. Eine andere – natürlich unausgesprochene – Befürchtung der Veranstalter, des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) und des Deutschen Evangelischen Kirchentags, geht dagegen in Erfüllung: Margot Käßmann, die nach einer Alkoholfahrt durch Hannover im Februar als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und hannoversche Landesbischöfin zurückgetreten ist, wird zu dem Star des ÖKT schlechthin.

Im Mittelpunkt der Diskussionen auf dem ÖKT steht – wie erwartet – das gemeinsame Abendmahl. Immerhin sind sich der katholische Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke und der Theologe Otto-Hermann Pesch einig: Wer „in guter Haltung“ ehrfürchtig zur Eucharistie hinzutritt, darf nicht zurückgewiesen werden. Solange es noch keine „große Lösung“ in Sachen Abendmahlsgemeinschaft zwischen den Kirchen gebe, dürften Einzeleinladungen schon vorweggenommen werden. Jaschke ermuntert konfessionsverschiedene Ehepaare, gemeinsam mit dem Partner am Abendmahl der anderen Konfession teilzunehmen. Der Rottenburg-Stuttgarter Bischof Gebhard Fürst bekräftigt: „In diese Richtung müssen wir als Bischofskonferenz weiterdenken.“

Die Ungeduld ist während der Münchner Tage mit Händen zu greifen. Bejubelt werden alle, die weitreichende Forderungen stellen. Die Zeiten einer „falschen Höflichkeit“ (Kardinal Karl Lehmann), in denen die Kirchen unangenehmen Wahrheiten lieber aus dem Weg gingen, sind endgültig vorbei. Freilich auch die einer „falschen“ Höflichkeit“ des Kirchenvolks gegenüber den Amtsträgern. Konservative Repräsentanten wie etwa der Kölner Kardinal Joachim Meisner haben den Weg nach München erst gar nicht angetreten, andere – wie der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller – ernten Pfiffe, wenn sie sich gegen ein „evangelisches Kirchenverständnis“ zur Wehr setzen. Wieder andere halten sich bei heiklen, strittigen Fragen eher bedeckt und fallen durch Schweigen auf.

Das gemeinsame Brotbrechen und die Speisung an 1000 Tischen (Artoklasia) ist vielleicht der Höhepunkt des ÖKT. Die nicht-sakramentale Tischgemeinschaft von 20.000 Menschen aller Konfessionen wird zum Ausdruck einer tiefen Sehnsucht und zu dem Bild des Münchner Christentreffens schlechthin. Zugleich aber ist auch klar: Das kann nur eine Ersatzhandlung, eine Art „Vorspeise“ (Präses Nikolaus Schneider) für eine wirkliche Tischgemeinschaft der verschiedenen Konfessionen gewesen sein.

Und dann kommt es am Rande des ÖKT doch noch zu den spektakulären Aktionen für ein gemeinsames Abendmahl: 2500 Menschen bilden eine Kette zwischen der katholischen und evangelischen Bischofskirche in München, und mehrere hundert katholische und evangelische Christen feiern außerhalb des Programms einen „inoffiziellen“ gemeinsamen Abendmahlsgottesdienst in einem überfüllten Hörsaal der Technischen Universität – wie schon beim ÖKT 2003 in Berlin mit dem suspendierten katholischen Priester Gotthold Hasenhüttl, einem gebürtigen Grazer.

„Dekade der Ökumene“ gefordert

Und wie geht es nach dem Münchner ÖKT weiter? Überraschend gibt die Deutsche Bischofskonferenz am Ende des Kirchentags die Gründung einer Zukunftsarbeitsgruppe bekannt, der die Bischöfe Franz-Josef Bode (Osnabrück), Reinhard Marx (München) und Franz-Josef Overbeck (Essen) angehören – zwei Konservative und ein Liberaler, wenn man so will. Erzbischof Zollitsch und Präses Nikolaus Schneider, der amtierende EKD-Ratsvorsitzende, kündigen an, dass sie voraussichtlich ein neues Sozialwort zur Lage in Deutschland anpacken wollen. Landesbischof Weber empfiehlt, nach der Luther-Dekade eine „Dekade der Ökumene“ zu feiern. Doch bisher hat man sich noch nicht einmal einigen können, ob es 2017, im Jahr des Reformationsjubiläums, den nächsten ÖKT geben wird. Gerade das aber wäre ein starkes Zeichen.

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