Göring

Der Nürnberger Hauptprozess – ein juristischer Ritt über den Bodensee

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Im November 1945 begann der Nürnberger Prozess gegen die führenden Männer des Dritten Reiches. Wie es dazu kam.

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Im November 1945 begann der Nürnberger Prozess gegen die führenden Männer des Dritten Reiches. Wie es dazu kam.

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Vor 75 Jahren, am 20. November 1945, war es so weit. Der größte, aufwendigste Strafprozess der Weltgeschichte konnte beginnen. Die Angeklagten hatten die entsetzlichsten Verbrechen aller Zeiten begangen oder daran mitgewirkt. Heute wissen nur noch Historiker und zeitgeschichtlich Interessierte über den Nürnberger Prozess gegen die führenden Männer des Dritten Reiches Bescheid. Aber damals war er ein Weltereignis.

Schon am 20. Oktober brachten die Zeitungen zum Teil seitenlange Auszüge aus der Anklageschrift. Dieser Prozess sollte etwas völlig Neues werden. Zum ersten Mal sollten sich Politiker dafür verantworten, dass sie andere Länder angegriffen hatten. Hitler war tot, aber ein Teil der Angeklagten hatte sich aktiv an seiner Politik beteiligt, „Österreich war das erste Opfer“, lesen wir in der Anklageschrift. Selbstverständlich wurden auch die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgezählt, doch die politische Anklage stand im Vordergrund, sie sollte das große Novum darstellen, und so, als Strafgericht über die Männer, welche die Welt in den mörderischsten Krieg aller Zeiten hineingerissen hatten, ging der Nürnberger Prozess denn auch in die Geschichte ein. Dabei hatten unabhängige Richter am Ende etwas völlig anderes aus ihm gemacht.

Uneinigkeit unter den Alliierten

Bei der Anklage wegen Verbrechen gegen den Frieden setzte auch die Kritik an, weil Kriege vom Zaun zu brechen noch nie als strafbares Delikt gegolten hatte und weil niemand wegen einer Tat bestraft werden darf, die zur Zeit der Begehung nicht strafbar war. Doch der amerikanische Hauptankläger Robert Jackson hatte es so gewollt.

Was mit den Nazigrößen geschehen sollte, war noch Wochen nach der bedingungslosen deutschen Kapitulation völlig offen. Selbst die Auslieferung des Reichsmarschalls Hermann Göring, formell der zweite Mann hinter Hitler, an die Tschechoslowakei stand als Möglichkeit im Raum. Eine der Legenden über die Vorgeschichte des Prozesses besagt, Stalin hätte die „Hauptkriegsverbrecher“ einfach an die Wand stellen und die Briten hätten ihnen den Prozess machen wollen. Sie geht auf das legendäre Gastmahl während der Konferenz von Teheran vom November 1943 zurück, welches die Verbündeten gegen Hitler, Josef Stalin, den bereits todkranken US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt und den britischen Premier Winston Churchill, zum ersten Mal an einen Tisch brachte.

Bei jenem Abendessen war die Trinkfestigkeit der westlichen Gäste bereits auf eine harte Probe gestellt worden, als Stalin aufstand und sein Wodkaglas erhob: „Ich trinke auf die Justiz einer Erschießungsabteilung. Ich trinke auf unsere Entschlossenheit, sie sofort nach der Gefangennahme zu erledigen, und zwar alle, und es müssen ihrer mindestens fünfzigtausend sein.“

Man soll einige Sekunden lang jeden Atemzug gehört haben. Churchill sprang auf, starrte vorgebeugt, mit rotem Kopf, Stalin an und rief aus: „Ein solches Vorgehen steht in schroffem Widerspruch zu den britischen Auffassungen von Recht. Das britische Volk wird nie und nimmer einen solchen Massenmord billigen.“ Zur Massenerschießung deutscher Offiziere, nur sie hatte Stalin gemeint, kam es zum Glück nie. Für die deutschen Rädelsführer hatte er jedoch einen Schauprozess nach Moskauer Vorbild im Auge, während es gerade die Briten waren, die auch noch nach Kriegsende die Erschießung ohne Prozess favorisierten, denn „die Weltmeinung“ habe die Schuldigen „ohnehin bereits verurteilt“. US-Präsident Harry S. Truman lehnte ein solches Vorgehen vehement ab, und auch General De Gaulle war dagegen.

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