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Die Machtverhältnisse in der EWG

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In der EWG haben die Bundesrepublik, Frankreich und Italien je vier Stimmen. Belgien und Holland zwei, Luxemburg eine. Kann jemand glauben, daß deshalb Italiens Einfluß in der EWG gleich groß wäre wie der der Bundesrepublik Deutschland, die etwa soviel Kohle und Stahl produziert wie alle anderen EWG-Partner zusammen? Jeder, der praktische Erfahrung in großen Organisationen hat, ob das nun die UNO, der ÖGB, der Bankenverband oder ein Industriekartell ist, weiß, daß dort der Einfluß der Großen entscheidend ist und daß dieser entscheidende Einfluß der Großen und Größten nicht durch ein noch so klug eisonnenes System von Abstimmungen begrenzt oder aufgehoben werden kann. Die Schaffung von solchen Großorganisationen ist oft die Form, wie die Herrschaft der Großen über die Kleinen organisiert und verankert wird.

Über die Kartellpraktiken der Montanunion klagte kein Geringerer als Dr. N o r d h o f f, Chef der Volkswagenwerke, in seiner Eigenschaft als Blechkäufer. Wird unsere Metallindustrie ihr Blech günstiger kaufen, wenn unsere eisenschaffende Industrie der großen Gemeinschaft angegliedert ist?

Welche wirtschaftlichen Vorteile bringt die EWG?

Es wird davon gesprochen, daß für Österreich durch den Beitritt zur EWG der riesige europäische Markt offenstehen wird und daß das einheitliche Wirtschaftsgebiet der Vereinigten Staaten eine Voraussetzung für deren Aufschwung gewesen sei. Man sagt, daß die frische Luft der europäischen Konkurrenz eine Modernisierung der österreichischen Industrie bewirken, daß der große Wirtschaftsraum zu einer Spezialisierung führen wird, die viel wirtschaftlicher ist als das System der Schutzzölle, und schließlich, daß die Freiheit in der Bewegung von Waren, Kapital und Arbeitskräften uns Vorteile bringen wird.

Hierzu ist zunächst festzustellen, daß die Wirtschaft sowohl Deutschlands als auch der USA in den entscheidenden Jahren ihrer Entwicklung durch Zollmauern geschützt war. Gegner der Zollmauern war immer die jeweils stärkste wirtschaftliche Macht. Deshalb war England eine Zeitlang für Freihandel, und später vertraten die USA die . „Politik’der offenen Tür”.

Daß ein Binnenmarkt von sogar 50 Millionen Einwohnern ein Land nicht automatisch vor dem wirtschaftlichen Zurückbleiben schützt, zeigt der Fall Englands. Daß ein sehr kleiner Binnenmarkt nicht automatisch zum Elend führt, zeigen die Schweiz und Norwegen.

Wer Luisiana, Alabama und Georgia kennt, weiß, daß der beispielgebend hohe durchschnittliche Lebensstandard der USA nicht Gebiete ausschließt, die arm und rückständig sind, obwohl die Bewegung von Arbeit, Waren und Kapital im ganzen Land unbehindert ist. Es genügt nicht, ein vereintes Europa zu schaffen, man muß auch verhindern, daß Österreich sein Burgenland wird. Die Möglichkeit der Erhöhung des Lebensstandards in England durch erhöhte Spezialisierung im Zusammenhang mit dem etwaigen Eintritt in die EWG ist durch Professoren der Universitäten von Manchester, London und Stanford untersucht worden. Die vorsichtig formulierten Prognosen schwanken zwischen „sehr unbedeutend” und „maximal ein Prozent”.

Die Hauptprobleme

Die Folgerung, wonach der frische Wind der Auslandskonkurrenz automatisch dazu führt, daß die betroffene Industrie technisch moderner und wirtschaftlich rationeller arbeitet, ist nicht zwingend. Es soll auch schon Unternehmen gegeben haben, die unter wirtschaftlichem Druck ihre Produktion eingeschränkt haben oder von der Konkurrenz billig aufgekauft oder stillgelegt wurden. Und wenn man frischen Wind im Segel eines Kartells abfängt (und die Versuchung dafür wächst mit der Größe der Wirtschaftsräume), dann führt das auch nicht

Beispiel: Die Simmering-Graz-Pauker haben einen ihrer größten Aufträge verloren. Seit mehr als zehn Jahren lieferten sie Großkessel für Dampfkraftwerke nach Polen, jährlich um mehr als 100 Millionen Schilling. Jetzt bauen selbst die Polen modernere Kessel als die SGP. Schritte in der Richtung einer Lösung wären die steuerliche Begünstigung der Entwicklungs- und Forschungsarbeiten.

• Wir haben, dank unserem Ruf als neutrales und technisch hochstehendes Land, ungewöhnlich gute Liefermöglichkeiten in die Entwicklungsländer. Die meisten bleiben nicht nur durch ungenügende Bearbeitung unaus- genützt, sondern durch eine Finanzpolitik, die es unserer Industrie unmöglich macht, jene Kredite zu geben, welche von den Kunden verlangt und von der Konkurrenz auch gewährt werden. Warum sollen wir ein Problem nicht lösen können, mit dem nicht nur Frankreich und England, das kriegszerstörte Deutschland, sondern auch Belgien, Holland und Schweden ohne weiteres fertig werden, und zwar im wesentlichen aus eigener Kraft?

• Wir müssen den sozialen Frieden und das mühsam gewonnene ausgewogene Verhältnis zum Osten erhalten. In bezug auf die soziale Ruhe ist unser Land für Europa beispielgebend. Die kommunistische Gefahr konnte, wie die letzten Landtagswahlen überzeugend bewiesen haben, ausgetrocknet werden. Durch die Verbindung mit der EWG wird vieles wieder in Fluß kommen. — Es wird

Gute Aussichten hätten bei einer Assoziierung an die EWG Betriebe, deren technisches Niveau weit über dem europäischen Durchschnitt liegt. Das sind, wie bereits angeführt, nicht sehr viele, und nicht viele große Betriebe. Und diese würden auch ohne die EWG gedeihen. Unter besonderen Druck würde wohl die Textilindustrie und die Elektroindustrie kommen. Aber auch Industrien, die heute fast in einem Elfenbeinturm leben, wie etwa Zucker und Konserven, würden sich bald den Unbilden des härteren Klimas ausgesetzt sehen.

Mit den größten Schwierigkeiten hätte wahrscheinlich die Landwirtschaft zu rechnen. Das ganze, in jahrelanger mühevoller Arbeit errichtete Gebäude des Schutzes unserer Bauėrn wäre von Grund auf erschüttert. Italienischer Wein, französisches Fleisch, dänische Butter, holländisches Geflügel, französisches Getreide, deutscher Zucker, italienisches Obst, deutsches Bier: alles billiger als die österreichische Produktion. Wie bitter die Gegensätze auf diesem Gebiet auch bei den Größten sind, zeigt der bis jetzt im wesentlichen vergebliche Kampf Frankreichs um Zulassung seiner landwirtschaftlichen Produkte auf dem bundesdeutschen Markt. Die aufgezeigten Gefahren wären besonders groß, wenn es einmal statt der Konjunktur eine Krise geben sollte. Die Belgier waren seinerzeit nicht sehr erfreut, als die Hohe Behörde der Montanunion meist belgische und fast keine deutschen Bergwerke als überaltert und schlie- ßungsreif bezeichnet hatte. Wir Österreicher erinnern uns in diesem Zusammenhang der Tatsache,! daß in den dreißiger Jahren der Krise, als unsere Alpine noch den Vereinigten Stahlwerken in Düsseldorf gehörte, die befohlenen Produktionseinschränkungen im österreichischen Werk doppelt so hoch waren wie die in Deutschland.

Die Haltung der Industrie

Die zunächst sehr EWG-freundliche Haltung der österreichischen Industrie kann man sich wohl nur politisch erklären. Für manche hat vielleicht die Bekämpfung der verstaatlichten Industrie und das Aufgehen in einem bürgerlichen Westeuropa ohne sozialistische Regierungsbeteiligung die Priorität. Aber mit der Zeit dürfte der Einfluß des Rechenstiftes doch etwas wachsen.

Als gelernte Österreicher wissen wir auch, daß nicht immer derjenige Staat die größte Standfestigkeit hat, der am lautesten kundtut, daß er den Bolschewismus bekämpft. Vielleicht ist unser System sogar stabiler als das der Italiener und Franzosen — wenn wir es nicht selbst verhandeln und vertun.

Die Verhandlungsposition

Wir haben zwar, wie aufgezeigt wurde, in den Assoziierungsgesprächen mit der EWG mit allen Nachteilen zu rechnen, die sich aus Verhandlungen mit Partnern ergeben, die viel stärker und reicher sind als wir, trotzdem können wir im Bewußtsein verhandeln, daß auch unsere Position stark ist. Man kann uns wohl mit einer Reduktion des Handels drohen, die aber die EWG viel schwerer treffen würde als uns. Unsere Einfuhr aus der Bundesrepublik Deutschland war 1960 fast doppelt so groß wie unsere Ausfuhr dorthin. Unser Defizit erreichte 7,3 Milliarden Schilling. Im Falle fast aller Überseeländer haben wir einen Ausfuhrüberschuß; aber die Summe aller in diesen Ländern Asiens, Afrikas, Amerikas und Australiens erzielten Überschüsse genügt nicht, um auch nur ein Drittel des Loches zu stopfen, welches der gegenwärtige Handelsverkehr mit der Bundesrepublik verursacht.

Mindestens ebenso wichtig ist die Frage nach der qualitativen Zusammensetzung des Handels. Wir importieren die arbeitsintensivsten Produkte (in den Gruppen Chemikalien, Maschinen, Verkehrsmittel und „sonstige Fertigwaren” steht einem österreichi schen Export von etwa 1,5 Milliarden ein Import von 8,2 Milliarden gegenüber) und exportieren besonders die am wenigsten arbeitsintensiven Produkte (in den Gruppen Ernährung, Rohstoffe und Strom steht der österreichischen Ausfuhr von 2,4 Milliarden ein Import aus der Bundesrepublik von 0,9 Milliarden gegenüber). Auch im Falle Frankreichs haben wir eine passive Bilanz und eine ungünstige Zusammensetzung des Außenhandels. Und wir könnten, wenn man uns unbedingt dazu zwingen wollte, auch von anderen Ländern kaufen.

Die geographisch, politisch und historisch günstigen Ausgangspositionen, die unser Land hat, dürfen nicht geopfert werden. Unsere Souveränität der handelspolitischen Entscheidung darf nicht angetastet werden. Wir sollten uns ruhig nach jenen Handelspartnern orientieren, die im wesent lichen das abnehmen, was wir zu exportieren wünschen, insbesondere industrielle Fertigprodukte, und die im wesentlichen mit solchen Waren zahlen, deren Import wir selbst wünschen. Ein Abweichen von diesem Kurs macht uns auf die Dauer zu einem Exporteur von Rohstoffen und einem Importeur von Qualitätsarbeit, kurz, zu einem rückständigen und schwachen Land.

Bundeskanzler Raab hat einmal gesagt: „Unsere Neutralität ist ein kostbares Gut, das wir nicht um ein Linsengericht eines scheinbaren materiellen Vorteils voreilig und leichtfertig gefährden sollen.”

Wir sollten uns auch in den Fragen der Außenhandelspolitik hauptsächlich von einer österreichischen Beurteilung österreichischer Interessen leiten lassen.

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