Muttertag Krise  - © Bild: Käthe Kollwitz: „Mütter“ (1919); Foto: picturedesk.com / akg-images

Angst: Wundermittel und Pandemien

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In Krisen werden Ängste seit jeher ausgenutzt: Ein antiker Satiriker empfiehlt ein jedem verfügbares Mittel – die eigene Vernunft. Zu einer Auftaktveranstaltung im Grazer „Kultum".

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In Krisen werden Ängste seit jeher ausgenutzt: Ein antiker Satiriker empfiehlt ein jedem verfügbares Mittel – die eigene Vernunft. Zu einer Auftaktveranstaltung im Grazer „Kultum".

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Katastrophen und Krisenzeiten sind wahrlich nichts Neues – genauso wenig wie die urmenschlichen Verhaltensmuster, die sich in schwierigen Zeiten immer wieder zeigen. Der gefährlichen Mischung von Aberglaube und Skrupellosigkeit in Zeiten einer Krise widmete man sich jüngst im „Kultum“ in Graz. Bei der Auftaktveranstaltung zur Reihe „Neu gelesen. Neu erzählt. Neu gemischt“, bei der historische Katastrophentexte zum Spiegel der Gegenwart werden, stand eine Schrift im Fokus, die das Spiel mit der Angst in einer Pandemie zum Thema machte und auf die Maschinerie einer antiken „Orakelfabrik“ blicken ließ.

Unter dem Titel „Wider die Pest und wider die Vernunft“ diskutierten FURCHE-Redakteurin Brigitte Quint und Moraltheologe Walter Schaupp über die Analogien zwischen zeitgenössischen Positionen zur Pandemie und den Umgang mit der Antoninischen Pest, die im zweiten Jahrhundert n. Chr. im römischen Reich wütete. Moderiert von Florian Traussnig, stand im Fokus eine Satire des antiken Autors Lukian von Samosata, der sich den von ihm als „Lügenpropheten“ betitelten Alexander von Abonuteichos literarisch vornahm. Dabei ließ jener kaum ein gutes Haar an dem in der heutigen Türkei geborenen Wahrsager, der seinen abergläubischen Zeitgenossen durch gekonnte Inszenierung seine wundersamen, aber letztlich herbeigelogenen Kräfte zur Verfügung stellte. Sein auf Basis religiöser Traditionen und der Orakelsucht seiner Zeit aufgebauter eigener Kult war enorm erfolgreich und ließ den falschen Propheten eines selbstgebastelten Schlangengottes aus Stoff äußerst berühmt werden.

Zaubersprüche in modernem Gewand

Für seine Mitmenschen bedeutete ihr blindes Vertrauen in Orakel nicht nur, dass sich Alexander – modernen Sektenführern erschreckend ähnlich – geradezu alles erlauben und viel Geld für seine göttlichen Dienste verlangen konnte. Angesichts der Antoninischen Pest wurden seine wirkungslosen Orakelsprüche auch zu einer ernsthaften Gefahr. So gehörte zu seinem Repertoire ein Zauberspruch, der – als magisches Mittel über der Haustür angebracht – jedes Haus vor Krankheit schützen sollte. Anstelle des erhofften Schutzes trat jedoch das Gegenteil ein. Gerade jene Häuser, die blind auf den Zauber vertrauten, traf die Pest am schlimmsten, da sie jegliche Vorsichtsmaßnahmen außer Acht ließen. Was als Mittel wider die Pest geglaubt wurde, entbehrte jeglicher vernünftigen Grundlage – und lud sogar dazu ein, andere vernünftige Maßnahmen gegen eine Seuche fahren zu lassen.

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