Terroranschlag in Wien Kranzniederlegung - © Foto: APA / Hans Punz

Was tun nach dem Terroranschlag?

19451960198020002020

Angst und Schrecken zu verbreiten ist das Ziel von Terroranschlägen. Auch von jenem in Wien. Es ist wichtig, der Angst ins Auge zu sehen.

19451960198020002020

Angst und Schrecken zu verbreiten ist das Ziel von Terroranschlägen. Auch von jenem in Wien. Es ist wichtig, der Angst ins Auge zu sehen.

Werbung
Werbung
Werbung

Plötzlich geht im Theater das Licht an, die Hauptdarstellerin unterbricht ihre Rolle. Mit nicht allzu lauter Stimme erklärt ein Polizist, das Theater sei sofort zu verlassen. „Keine Mäntel aus der Garderobe holen, es besteht Lebensgefahr.“ Man solle Richtung Stephansplatz, nein, besser Richtung Fleischmarkt gehen. Ruhig und diszipliniert gingen die Leute aus dem Theater. Dann standen wir auf der Straße und wussten nicht, was los war. Bei der griechischen Kirche am Fleischmarkt blieben wir wie die meisten stehen, etwas desorientiert. Inzwischen war klar, es hatte einen Anschlag bei der Synagoge in der Seitenstettengasse gegeben.

Schüsse waren gefallen, vor der Synagoge und am Schwedenplatz. Menschen kamen im Laufschritt aus Richtung Bermudadreieck, blass, sprachlos. Eine Freundin wohnt ganz in der Nähe der Synagoge, ich rief an, sie war daheim – Erleichterung. Es fühlt sich an wie eine Körperverletzung, dass im Herzen Wiens Menschen niedergeschossen wurden, einfach so. Dass der letzte entspannte Abend vor dem nächsten Lockdown zerstört wurde.

Navigator

Liebe Leserin, lieber Leser,

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

Am menschen- und autoleeren Parkring stehend, versuchten wir nach Hause zu kommen. Ich rief einen Bekannten an, der in der Nähe wohnt. Er verfolgte die Live-Sendung im Fernsehen und wollte nicht hinaus. Zuerst ärgerte ich mich, dann verstand ich: wir gingen in der Dunkelheit, sahen diePolizei-Scharfschützen im Stadtpark, aber wir hatten Überblick und konnten unsorientieren. Vorm Fernseher sieht man nur Ausschnitte des Geschehens, stark kondensiert und kräftig kommentiert.

Terroranschläge wirken wie Giftbisse

Dem Nervensystem ist dieser Unterschied egal: Der Körper reagiert jedes Mal auf eine Bedrohung. Dabei entsteht eine enorme Aktivierung, die im Ernstfall Kampf oder Flucht möglich macht. Vorm Computer oder Fernseher sitzend ist jedoch beides sinnlos. Das kann ein Gefühl der Hilflosigkeit erzeugen, aus dem noch mehr Angst, aber auch Depression entsteht. Daraus folgt eine Einsicht für den Umgang mit Medien und Information in Krisenzeiten: in gut ausgewählten Dosierungen ist Information hilfreich und dient der Orientierung, zu viel Information dagegen belastet und kann lähmen. Und genau das ist ja das Ziel von Terroranschlägen: dass sich Angst und Schrecken ausbreiten und die Freude am Leben zerstört wird.

Terroranschläge wirken wie Giftbisse: sie sollen die Freiheit in einerGesellschaft lähmen. Wenn in Folge eines Terroranschlags das staatliche Gewaltmonopol ausgebaut wird – sprich mehr Polizei auf den Straßen, höhere Sicherheitsvorkehrungen, strengere Gesetze, dann ist auch das ein Erfolg für den Terror. Das Ziel ist die Zerstörung der demokratischen,offenen Gesellschaft.

Es ist nötig, das Mutig-Sein zu üben. Mut, so sagt der griechische Philosoph Aristoteles, ist die Mitte zwischen Feigheit und Tollkühnheit.

Das war schon in den 1970er Jahren mit der Roten-Armee-Fraktion oder den Brigate Rosse so, die so wie die Islamisten von heute auf eine totalitäre Utopie zielten. Angst ist ansteckend – und deswegen ist es wichtig, sich im Mutig-Sein zu üben. „Ich habe mich entschlossen, keine Angst zuhaben und mich nicht herunterziehen zu lassen“, sagte mir eine Freundin. Das ist leichter gesagt als getan, doch wenn man sich einmal dazu entschlossen hat, ist die Richtung klar. Es ist ein Entschluss und eine Übung, jedes mal, wenn Angst aufkommt, dieser Angst zunächst ins Auge zu sehen und sich danach daran zu machen, die Situation zu überprüfen.

Manchmal ist Angst auch hilfreich: die beiden türkischstämmigen Kampfsportler, die am Montag zweimal dem Terror-Schützen begegneten und den verletzten Polizisten zum Rettungswagen trugen, hatten Angst – doch wie Mikael Özen, einer der beiden, sagte: „Angst lässt einen Sachen machen, zu denen man sonst nicht fähig wäre.“ Doch dazu ist es nötig, das Mutig-Sein zu üben. Mut, so sagt der griechische Philosoph Aristoteles, ist die Mitte zwischen Feigheit und Tollkühnheit. Wer Mut hat, kann und will Situationen so sehen, wie sie sind – nämlich niemals eindeutig, niemals schwarz-weiß.

Doch in den letzten Jahrzehnten hat sich ein Hang zur Identitätspolitik eingeschlichen, der zukunftsfähige Dialoge und Entwicklungen in den Gesellschaften unterbindet. Das Stichwort ist Wohlergehen in und für die Gemeinschaft – und dann stellt sich die Frage: Wer gehört dazu, wer darf dazugehören? Ethnische, weltanschauliche und religiöse Identitätspolitiken wollen ihre eigene Gruppe gegen andere Gruppen abgrenzen, voneinander abschotten und gegeneinander ausspielen. Dazu ist Schwarz-Weiß-Denken sehr hilfreich – „die Muslime“, „die Migranten“, „die Anderen“, „die Ungläubigen“, „die Religiösen“, „die Wissenschaft“, „die Klimaleugner“ gegen ein wie auch immer definiertes „Wir“, das gegen die Existenz der Anderen auftritt und diese bekämpft. Das ist eine politische Angelegenheit, die sich tief in konkrete Lebensvollzüge hineinfrisst und sie zerstört.

Ein militanter Schwarz-Weiß-Denker

Schwarz-Weiß-Denken führt zu Verhärtungen, zu Gesprächslosigkeit und Isolation. Wenn nur eine, nämlich meine Position die wahre und richtige sein kann, dann kann es kein Gespräch geben. Es geht dann nur um Herrschaft und Unterwerfung, und das heißt um Kampf. Der junge Mann, der in Wien rasch vier Menschenleben ausgelöscht und mehr als ein Dutzend weitere Menschen zum Teil schwer verletzt hat, war ein militanter Schwarz-Weiß-Denker. Viele Menschen, die mir seit Montagbegegnet sind, fragen sich, wie ein junger Mann das Leben anderer vernichten und sein eigenes so einfach wegwerfen konnte. Im Moment wissen wir nichts über die Wut, die sich in ihm angesammelt hat. Er wurde mit Sicherheit selbst zum „Anderen“ gemacht – als Muslim und wegen seiner Familie, die aus Nordmazedonien kommt.

Wenn nur eine, nämlich meine Position die wahre und richtige sein kann, dann kann es kein Gespräch geben. Es geht dann nur um Herrschaft und Unterwerfung, und das heißt um Kampf.

Schwarz-Weiß-Denken führt, ausgedrückt mit einer aus der Medizin geborgten Metapher, zu Entzündungsherden im globalen Körper. Der Terror, der von diesem jungen Mann und seinem Netzwerk ausging, ist wie eine Eiterbeule – deutlich sichtbar und Symptom für ein tieferliegendes Problem, nämlich die „Vereindeutigung der Welt“. So nennt der Münsteraner Arabist Thomas Bauer die Angst vor Vieldeutigkeit, Differenz und Vielfalt, eine Angst, die charakteristisch für moderne Gesellschaften ist.

Es ist notwendig, angesichts der Opfer des Terrors zu trauern. Zur Trauer gehört Mut, denn Trauer um Tote ist immer auch eine Begegnung mit dem unvermeidlichen eigenen Tod, und deswegen sollte Trauer nicht trennen, sondern verbinden. Dass die Spitzen der Republik – sonst einander seltener wohlgesonnen – am Dienstag gemeinsam Kränze niederlegten, ist vielleicht ein Schritt in eine gemeinsame Politik, die alle einbezieht, die hier leben. Doch auch um das verpfuschte, verwirkte Leben des Attentäters sollte man trauern. Das braucht gerade jetzt viel Mut – einen Mut, der charakteristisch für Europa ist. Das Vor- und Urbild dafür ist eine Frau, Antigone. Sie will ihren Bruder, der als Staatsfeind hingerichtet wurde, trotz des ausdrücklichen Verbots in Ehren begraben. Im Drama des Griechen Sophokles stellt der König sie deswegen zur Rede. Antigone antwortet: „Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da.“ Das ist europäischer Mut, europäische Humanität.

Ursula Baatz ist freie Publizistin mit Schwerpunkten interkultureller Dialog und Religion sowie MBSR-Trainerin.

Navigator

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung