Wolfzeit - © Filmladen

"Wolfzeit": Bei den Wölfen

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Auch in der Endzeitvision "Wolfzeit" ist Michael Haneke ein Kino-Verstörer geblieben. Seine Apokalypse findet in der Gegenwart - im Feld nebenan - statt.

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Auch in der Endzeitvision "Wolfzeit" ist Michael Haneke ein Kino-Verstörer geblieben. Seine Apokalypse findet in der Gegenwart - im Feld nebenan - statt.

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Andrej Tarkwoskij, der große Russe des europäischen Autorenkinos, lässt sein Epos "Opfer", der letzte Film vor seinem frühen Tod 1985, in die "apokalyptische Stille" münden. Kaum zwei Jahrzehnte später macht Michael Haneke in "Wolfzeit" ebendiese auf neue Weise präsent - und lässt weitere Anklänge an Tarkowskij zu. Auch wenn sich die Stille der "Wolfzeit" mehr in den Köpfen der Zuschauer festsetzt, als die Geschichte von der Verwolfung einer Zivilisation darstellt: Apokalyptisch ist das Geschehen allemal.

Irgendwo in Europa verschlägt es Menschen in eine Bahnstation, wo sie auf einen rettenden Zug warten: Infrastruktur ist nicht mehr - kein Strom, kein Verkehrsmittel, Wasser: nur wenn es regnet, Nahrung: nur wenn eines der Pferde erschossen wird...

Ausgehend vom Wochenendausflug einer vierköpfigen Familie baut Haneke das beklemmende Szenario eines Weltendes auf: Doch dieses ist keine SciFi-Erfindung, sondern zwischen wogenden Feldern oder rund um ein Lagerhaus, bei dem das Raiffeisen-Zeichen keineswegs wegretuschiert ist - also: mittendrin in der Gegenwart -, tut sich Verstörendes.

Isabelle Huppert ist diesmal bei weitem nicht so dominant wie in der "Klavierspielerin", Hanekes vorletztem Film, aber sie zeigt sich erneut zutiefst authentisch - als Mutter, die mit ihren beiden Kindern (beeindruckend: der 10-jährige Lucas Biscombe und die 14-jährige Anaïs Demoustier) zu überleben versucht. Ebenbürtig Patrice Chéreau und der wie die anderen Kinder debütierende, 14-jährige Hakim Taleb: Als Straßenkind stört er die Kreise der in atavistische Verhaltensmuster zurückfallenden, zusammengewürfelten Bahnhofsgesellschaft.

"Wolfzeit" ist im Vergleich zu anderen Haneke-Filmen vordergründig viel weniger gewalttätig, die Provokation der "Klavierspielerin" oder eines beiläufig mordenden Videofreaks wie in "Bennys Video" ist durch subtile Beklemmung und eine diffuse Bedrohung, die in den Kino-Saal aber brutal überschwappt, ersetzt.

Nicht unwesentlich fördert Haneke solche Verstörung durch den Einsatz von Licht - richtiger: von Dunkelheit: Wenn es Nacht wird im Kino, so bleibt es auf der Leinwand normalerweise immer noch ein wenig hell. Bei Haneke ist das anders. Und er weiß genau, warum er das tut.

Haneke ist mit "Wolfblut" ein Verstörer geblieben. Aber er erweist sich diesmal gleichzeitig als Meister der filmischen Parabel, die eben in apokalyptischer Stille endet - Stille, die nur vom Schienengeräusch eines fahrenden Zuges zerrissen wird.

Auf der neuen Streamingplattform www.vodclub.online kann man sich den Film ansehen - und damit den österreichischen Film in der Krise unterstützten: Ein Drittel des Erlöses geht an die Filmschaffenden, ein Drittel an ein Lieblingskino der Wahl.

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