Mehr als nur der Text

19451960198020002020

Die Debatte um Christian Krachts Roman "Imperium“ zeigt, dass Literaturkritiker gut daran tun, einen genauen Blick in die Literatur zu werfen, bevor sie sie kritisieren.

19451960198020002020

Die Debatte um Christian Krachts Roman "Imperium“ zeigt, dass Literaturkritiker gut daran tun, einen genauen Blick in die Literatur zu werfen, bevor sie sie kritisieren.

Werbung
Werbung
Werbung

Wer Literaturdebatten in den Feuilletons aufmerksam verfolgt, weiß, dass es dabei nur selten um Literatur, um den Text alleine geht. Der deutsch-deutsche Literaturstreit um Christa Wolfs "Was bleibt“ etwa war nicht bloß eine Auseinandersetzung um Wolfs literarischen Text, sondern bestand aus ideologischen Grenzmarkierungen. In der Debatte um Günter Grass’ "Beim Häuten der Zwiebel“ ging es weniger um den literarischen Text, denn um die Glaubwürdigkeit eines Autors. Und die kritischen Auseinandersetzungen mit Peter Handkes Texten, um ein weiteres Beispiel zu nennen, waren oft eher politisch motiviert denn ästhetisch.

Nicht nur ästhetische Fragen

",Der Text, der Text allein‘, sagt man uns, aber den Text allein gibt es nicht“, wusste schon Roland Barthes. Man kann nicht über den Gegenstand Text an sich sprechen oder schreiben, sondern nur über die eigene Lektüre, denn nur über diese ist der Text greifbar. Insofern haben Literaturkritiker nicht nur mit dem Text zu tun, sondern auch mit sich selbst. Dann steht ein Text nie im luftleeren Raum, sondern in einer wie auch immer (ästhetisch, politisch, ideologisch, religiös …) gestalteten und den Text und die Lektüre prägenden Welt. Es geht daher nicht bloß um ästhetische, sondern auch um inhaltliche (etwa moralische), relationale und wirkungsbezogene Werte.

Das alles müssen Literaturkritiker beim Verfassen ihrer Kritiken berücksichtigen. Dass die Werte zudem nicht unbedingt per se gelten (für den einen ist die Ganzheit wichtig, für die andere das Fragmentarische, für den einen ist ein Werk gut, wenn es realistisch ist, für die andere, wenn es jeden Realismus ablehnt), macht die Sache noch komplexer. Darum wäre es wichtig, sich der eigenen Werte bewusst zu sein und sie immer wieder selbst kritisch zu reflektieren. Und darum ergeben unterschiedliche Literaturkritiken im besten Fall ein so buntes Feld.

Die seit Wochen in den Feuilletons geführte Debatte um Christian Krachts Roman "Imperium“ aber fällt durch den sie auslösenden Beitrag aus dem üblichen Niveau der Debattenkultur heraus. Georg Diez hatte am 13. Februar im Spiegel eine Rezension von Christian Krachts Roman "Imperium“ vorgelegt und den Autor darin als "Türsteher der rechten Gedanken“ bezeichnet. In seinem vierseitigen Beitrag sind Diez Fehler unterlaufen, die einem Literaturkritiker nicht passieren dürfen. Was der Artikel vor allem verrät, ist Diez’ Absicht: Er hat sich offensichtlich vorgenommen, dem Autor rechtes Gedankengut vorzuwerfen, und nahm Krachts neuesten Roman als Anlass, darüber zu schreiben. Nur bietet dieser Roman diesen Anlass überhaupt nicht.

Christian Kracht erzählt in seinem Roman "Imperium“ vom Sonderling und Auswanderer August Engelhardt (1919 gestorben; bei Kracht darf er auch den Zweiten Weltkrieg überleben und von den Amerikanern das neue Imperium in Empfang nehmen: einen Hotdog). Der Nudist Engelhardt lebte auf der Insel Kabakon (Deutsch-Neuguinea) ausschließlich von Kokosnüssen und entwickelte die Theorie des Kokovorismus. Ob dieses Werk, für das Kracht auf viele Stile und andere Werke zugreift, nun besonders originell ist oder sich nicht doch eher (etwa aufgrund der lächerlich gezeichneten historischen Figuren, die in indirekter Rede sprechen) wie ein Imitation der von Kehlmann vermessenen Welt liest, ob der manierierte, altmodische Thomasmannstil mit der Zeit nervt oder nicht - das sei hier einmal dahingestellt. Die Machart des Textes und die Wirkungen zu beschreiben, müsste jedenfalls Teil einer seriösen Literaturkritik sein - und die meisten Literaturkritiker haben sich diesen Fragen auch gestellt.

Ironie nicht bemerkt

Fehler Nummer eins der "Methode Diez“ war aber: Diez hat den Text nicht gelesen, jedenfalls nicht aufmerksam. Hätte er ihn gelesen, nämlich ohne die Brille "jetzt finde ich rechtes Gedankengut“, hätte er bemerken müssen, dass Krachts Roman durchgehend und hochgradig ironisch ist. Und zum Diezschen Vorwurf der "rassistischen Weltsicht“, die den (immerhin Kolonialismus erzählenden) Roman durchdringe, sei hier nur erwähnt: Vor den zunehmenden antisemitischen Äußerungen des Engelhardt nimmt der Eingeborene Makeli schließlich Reißaus: "Er hat genug von den Weißen und ihrem Irrsinn und dieser Insel.“

Kracht aus diesem Roman einen rechten Strick zu drehen, ist absurd - und die Argumentation gelingt Diez daher nicht. So wendet er sich Krachts 2011 unter dem Titel "Five Years“ veröffentlichten Emailverkehr mit David Woodard zu, aus dem er einzelne Stellen zitiert, um die ideologische Bedenklichkeit des Autors anzuprangern.

Freilich könnte man das tun: Aussagen eines Autors danach untersuchen, welchen Ideologien er huldigt. Dann aber gilt es achtzugeben auf die Textsorte: Interviews oder politische Stellungnahmen im Feuilleton wären (bedingt) aussagekräftig. Bei literarischen Texten, also Fiktion bzw. Figurensprache - als literarisches Spiel kann man auch den Emailverkehr lesen, von dem man ohnehin nicht sicher sein kann, ob er "echt“ ist -, stellt sich die Sachlage aber etwas komplizierter dar. Das wäre freilich die wichtigere Frage gewesen: Wie kann man die politische Haltung eines Autors festmachen, der sich wie Christian Kracht dem Festlegen ständig entzieht? Was bedeutet es politisch, wenn alles Spiel ist - oder "hohl“, wie die Herausgeber in ihrem ebenso editorisch akribischen wie unpolitischen Vorwort den Briefwechsel bezeichnen, in dem sich Kracht und Woodard von Nueva Germania fasziniert zeigen? (Diese Fragen tippte Diez erst in seiner Reaktion an.)

Der Spiegel-Beitrag von Georg Diez rief denn auch Schriftsteller von Jelinek bis Kehlmann auf den Plan, die gegen diese Form der Romankritik protestierten. Ihnen ging es um nichts Geringeres als um die Freiheit der Kunst. (Die freilich ihre Grenzen hat: Aber "Imperium“ gibt keinen Anlass, diese einzufordern.)

Obwohl ihm die Sache große Popularität einbrachte, hat der Literaturkritiker Georg Diez seinem Ruf damit nichts Gutes getan. Die "Methode Diez“ wird zwar in die Literaturkritikgeschichte eingehen, aber nicht weil sie so außerordentlich gut war, sondern so außerordentlich daneben.

Auf den ersten Blick könnte man vermuten (mit solchen Vermutungen liegt man bekanntlich selten falsch), dass es sich hier um eine großartige PR-Strategie handelt: Diez kritisierte mit Schlagworten, die in Zeiten, in denen Deutschland seine blinden Flecken am rechten Auge aufzuarbeiten hat, besondere Signalwirkung haben, einen Autor, der im selben Verlag wie er publiziert. Eine Woche später dann, ebenso im Spiegel, eine seitenfüllende Stellungnahme des Verlegers. (Eine Ungeheuerlichkeit. Man stelle sich vor, das würde üblich: Nach jeder Literaturkritik gäbe es eine "Richtigstellung“ durch den Verlag.)

Gegen die Lesart vom großen PR-Gag lässt sich aber der Beitrag ins Treffen führen, mit dem Diez auf die Proteste reagierte: Diez schwächte nämlich zwei Wochen nach der Veröffentlichung seine unhaltbaren Thesen ab und stellte Kracht wieder in den demokratischen Diskurs, aus dem er ihn zwei Wochen zuvor geworfen hatte. Da hat sich einer vergaloppiert.

Für Aufmerksamkeit gesorgt

Am Ende bleibt dann doch die PR. Für ein Buch, das diese Aufmerksamkeit gar nicht verdient hat. Dabei konnte sich Kracht auch vorher über Mangel an Fans nicht beklagen. Die Lesung in Berlin wurde abgesagt, in Zürich kam es zum ersten Auftritt, der unspektakulär war, über den dennoch seitenlang berichtet wurde. Ton- und Bildaufnahmen waren verboten und Stellungnahme zu den Vorwürfen gab es keine. Das wiederum kann man wiederum Kracht nur bedingt vorwerfen: Denn Lesarten, die dermaßen am Text vorbeigehen, straft ein Autor am besten durch Ignoranz.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung