6930134-1982_25_27.jpg
Digital In Arbeit

Aufbruch im Agrarsektor

Werbung
Werbung
Werbung

Die wunderschöne Berglandschaft Tirols bildete die Kulisse des „Grünen Forums Alpbach 1982”. Grün hatte dabei eine doppelte Bedeutung: Ganz allgemein ging es um Alternativen, im besonderen aber um neue Lösungen für die Landwirtschaft: „Landwirtschaft, Umwelt, Gesundheit” war das Thema des Kongresses, der vorige Woche stattfand.

Es wurde auch diesmal kein Patentrezept gefunden, kein perfektes System entwickelt. Gott sei Dank wächst heute das Bewußtsein, daß es kein einfaches All-heümittel gibt. Wohl aber darf man heute nicht müde werden aufzurufen, aus den derzeit feststellbaren Fehlentwicklungen Konsequenzen zu ziehen.

Günther Scheer vom Wiener Institut für Höhere Studien skizzierte die Entwicklung der österreichischen Agrarpolitik seit 1945. Wie verschieden zu heute war doch damals die Lage: Die Landwirtschaft beschäftigte ein Drittel aller österreichischen Erwerbstätigen! Allein 250.000 Unselbständige waren in der Landwirtschaft tätig (1979 hingegen nur mehr 47.000)!

Die Mechanisierung befand sich damals in ihren Anfangsstadien: 1946 gab es 7300 Traktoren. Nur 2 Prozent der Betriebe hatten so ein Gerät. Im Vergleich dazu 1972: 268.000 Traktoren (in 72 Prozent der Betriebe).

Die landwirtschaftliche Produktion reichte in den vierziger Jahren nicht zur Sicherung der Ernährung von Österreichs Bevölkerung: z. B. deckte die Weizenproduktion 1947 nur 44 Prozent des Inlandsbedarfs.

Durchaus sinnvoll zielte daher die Agrarpolitik auf Ausweitung der Inlandsproduktion durch Schutz vor ausländischer Konkurrenz, setzte aber gleichzeitig die Betriebe unter Rationalisierungszwang.

Der Erfolg blieb nicht aus: Produktion und Produktivität stiegen: Schon 1953 wurde Selbstversorgung bei Milch erreicht. Starke Maschinisierung und der Einsatz künstlicher Düngemittel steigerten die Hektarerträge: Im Durchschnitt auf mehr als das Doppelte bei Mais, Weizen und Roggen.

Dieser steigenden Erzeugung steht jedoch eine eher stationäre Nachfrage nach Nahrungsmitteln gegenüber. Flossen 1950 noch 40 von 100 Schilling, die der Österreicher ausgab *in die Landwirtschaft, sind es heute nur mehr 13 Schilling.

Steigende Produktivität und stationäre Nachfrage führten zur Uberschußproduktion, Kennzeichen aller Industrieländer: Im EG-Raum werden jährlich 500.000 Tonnen Obst vernichtet, um die Preise stabil zu halten (Kosten: eine Milliarde Schilling!).

Solche Uberschüsse drücken natürlich auf die Preise, wodurch innerhalb der Landwirtschaft ein Konkurrenzkampf ausgelöst wird: Die kapitalintensiven Großbetriebe in Gunstlagen sind im Vorteil. Kleinere Betriebe können die Kapitalintensivierung nicht mitmachen, werden zunächst zum Nebenerwerb und später zur Aufgabe gedrängt.

Ganze Gebiete entvölkern sich: die Grenzregionen Niederösterreichs, die Bergbauerngebiete etwa. Rückläufig ist daher die Zahl der Betriebsinhaber: Von 480.000 (1930) fiel die Zahl auf 322.000 im Jahr 1979. Von letzteren waren nur 136.000 voll in der Landwirtschaft beschäftigt. Doch trotz der Abwanderung bleibt die Uberschußproduktion.

Daher geht es um ein Konzept, das dieser neuen Situation Rechnung trägt. Wo sollten denn auch heute abwandernde Bauern beschäftigt werden, bei wachsender Arbeitslosigkeit?

Der ländliche Raum hat neben seiner Versorgungsfunktion heute andere wichtige Aufgaben: als Erholungsraum, als Raum zur Regeneration von Wasser und Luft, die im Zuge industrieller Produktion und städtischer Nutzung verschmutzen. Je mehr die Landwirtschaft sich aber nach industriellen Kriterien entwickelt, umso weniger kann sie diese Aufgaben erfüllen.

Vielmehr trägt sie dann durch massive Düngung und Einsatz von Unkraut- und Insektenvertilgungsmitteln ihrerseits zur Verschmutzung von Luft und Wasser bei.

Martin Schüppbach, Leiter der Lebensmitteluntersuchung des

Kantons Basel illustrierte die Gefährdung durch Gifteinsatz am Beispiel von Beobachtungen am Genfer See: Die Schadstoffe werden in den Organismen angereichert. Vergleicht man die DDT-Konzei^tration im Sediment des Sees mit der in den Eiern von fischfressenden Vögeln, so erkennt man, daß letztere um einen Faktor 20.000 höher liegt.

Noch stärker trifft es den Menschen am Ende der Nahrungsmittelkette: Muttermilch ist fünfmal so kontaminiert, wie Kuhmilch!

Die Vertreter des biologischen Landbaus treten für die Berücksichtigung der neuen Situation ein. So forderte auch Günter Kahnt von der Universität Hohenheim, daß Agrarpolitik stärker auf Arbeitsplatzerhaltung, Eigentumsstreuung, Sicherung der ökologischen Lebensgrundlagen und Stabilisierung der Siedlungsstrukturen ausgerichtet sein müsse.

Eines der Hauptanliegen ist die Eindämmung des Einsatzes von Giften und künstlichem Dünger, die notwendigerweise mit kapitalintensiver Produktion einhergehen. Daher erklingt auch der Ruf nach gezielter Förderung der kleineren Betriebe. Sie nehmen ja auch die Landschaftspflege und Erholungsfunktion besser wahr.

Ein Weg dorthin wäre die degressive Preisgestaltung, der ohnedies geregelten Preise: Je mehr abgeliefert wird, umso geringer der Durchschnittspreis. Dadurch schneiden die Kleineren günstiger ab. Sinnvoll erschiene es auch, die Bauern an den Fremdenverkehrseinnahmen zu beteiligen. Sie sorgen ja schließlich für die Erhaltung des Erholungsgebietes.

Daß mit einer Umorientierung auf Methoden des biologischen Landbaus nicht alle Probleme gelöst sind, war allen Anwesenden klar. Stammt doch ein beachtlicher Teil der Schadstoffe in unserer Nahrung aus anderen Quellen: Hausbrand, Industrie, Verkehr.

Besonders erschreckend sind die Folgen des sauren Regens. Schwefel- und Stickstoffverbindungen gelangen in die Luft (720 Kilo Schwefel je Hektar in der DDR etwa), verbinden sich mit dem Regen zu einer Flüssigkeit, die im Staate New York etwa den Säuregehalt von Essig und Zitronensäure erreicht. Beeinträchtigt wird die Vegetation: Nach den Tannen und Fichten sterben in Deutschland nun auch die Buchen! Wissenschaftler geben Alarmstufe eins für den deutschen Wald.

Es geht wieder einmal darum, das Produzieren zu relativieren. Das grüne Forum Alpbach zeigte Ansätze zu einer Neuorientierung auf. Es blieb aber nicht beim Analysieren und Wehklagen. In Gesprächen mit den Teilnehmern wurde deutlich, daß viele heute schon versuchen, ihre Einsichten in die Praxis umzusetzen.

Biologische Landwirtschaft ist damit keine Utopie mehr. Pioniere sammeln heute schon Erfahrungen, die uns morgen allen zugute kommen werden;

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung