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Brasiliens Öko-Bauern

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Vier Verfassungsrichter wurden in Brasilien ausgetauscht, um auf diese Weise das strengste Agrarchemie-Gesetz der Welt wieder aufheben zu können.

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Vier Verfassungsrichter wurden in Brasilien ausgetauscht, um auf diese Weise das strengste Agrarchemie-Gesetz der Welt wieder aufheben zu können.

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Brasilien ist eines der ärmsten Länder Südamerikas — trotz seiner Bodenschätze, seiner riesigen fruchtbaren Anbaugebiete und zum Teil sehr günstigen klimatischen Bedingungen.

In der Landwirtschaft könnte jedoch Europa bald von Brasilien lernen. 1972 war Brasilien mit 30.000 Tonnen Jahresverbrauch an dritter Stelle der Weltrangliste bei der Anwendung von Agrar-Chemikalien. Bis 1980 hofften die Konzerne, einen Verkauf von 240.000 Tonnen Agrar-Chemikalien pro Jahr erreichen zu können. Heute, nach einer kontinuierlichen Steigerung bis 1978, ist der Absatz rückläufig (1986 wieder 30.000 Tonnen).

Daran hat Jose Lutzenberger großen Anteil, ein Ökologe und Umweltschützer. Kürzlich zu Gast in Wien, berichtete er von seinem Kampf gegen „Umweltvergiftung, Urwaldzerstörung, Volksverdummung“.

Nach einer steilen Karriere bei einem deutschen Chemieriesen war der Diplomlandwirt als Agrarchemiker „vom Segen der Agrarchemie für die südamerikanischen Bauern überzeugt“. Zunehmende Beschäftigung mit hochgiftigen Pflanzenschutzmitteln und die „nicht mehr seriösen Konzernpraktiken“ bewogen ihn vor 17 Jahren „auszusteigen“. Kurze Zeit später war er Präsident der brasilianischen Umweltschutzgruppe Agapan und wandte sich mit großem Medienecho gegen die Verstümmelung der Bäume durch unsachgemäßen Schnitt und gegen die ungefilterten Abgase großer Industriebetriebe in seiner Heimatstadt Porto Alegre.

Die erste Verhaftung ließ nicht lange auf sich warten. Noch heute wundert sich Lutzenberger darüber, „daß ich ihnen damals klarmachen konnte, daß wir nicht gegen den Staat, sondern für bessere Lebensbedingungen kämpften. Umweltschutz galt noch nicht als politisches Thema, und als er das war, hatten wir schon viel erreicht.“

So konnte zum Beispiel durchgesetzt werden, daß alle Pflanzenschutzmittel, damals noch verharmlosend als „defensivos“ bezeichnet, offiziell als „agrotoxi-cos“, als Ackergifte deklariert werden mußten. Obwohl die Diktatur eine Opposition gegen die Agro-Chemie bald mit Staatsgefährdung gleichsetzte und die staatliche Bank landwirtschaftliche Kredite vergab, die bindend zu 20 Prozent für Pestizide verwendet werden mußten, erreichten die Umweltschützer 1982 in 14 der 25 Bundesstaaten das strengste Agrarchemiegesetz der Welt: Verbot aller chlorierten Wasserstoffe wie DDT, Rezeptpflicht für alle Agrarchemikalien (das Rezept mußte ein unabhängiger Agronom ausstellen), Kontrolle und Reduktion der Werbung.

Das Gesetz, das von den einzelnen Ländern mit großen Mehrheiten verabschiedet wurde, hatte viele „Kämpfe an der Pestizid-front“ (Lutzenberger) zur Folge. So wurde anfangs zwar Rezeptpflicht für Chemikalien der Giftklassen Eins und Zwei verankert, doch stufte das Gesundheitsministerium alle gefährlichen Ackergifte in die rezeptfreien Klassen Drei und Vier.

Die Klassifizierung wurde schließlich aufgehoben. Nach drei Jahren hatte die Chemie-Industrie Erfolg mit einer Verfas-'sungsklage. „Als sich ein Sieg der Umweltschützer abzeichnete — vier von fünf Verfassungsrichtern hatten bereits für uns entschieden -, wurden die restlichen vier Richter ausgetauscht, um sicherzugehen, und das Gesetz wurde aufgehoben“, berichtet er.

Lutzenberger schätzt trotz dieser Niederlage (er lebt heute als Berater für regenerative Landwirtschaft und alternative Technologien) die Situation des biologischen Landbaues in Brasilien positiv ein. „Ungefähr die Hälfte der Bauern sucht nach neuen Wegen. Das geschieht nicht aus Idealismus, sondern aus ganz realen Gründen. Fast täglich gibt es tödliche Vergiftungen mit Agrarchemikalien. Außerdem sind sie sehr teuer geworden. Die Bauern können sie sich nicht mehr leisten und versuchen, ihre Abhängigkeit von den großen Konzernen zu verringern, indem sie die Anwendung der Schädlingsbekämpfungsmittel einschränken.“

Bei großem Schädlingsdruck oder schlechten Erträgen rät er zu geänderter Fruchtfolge, bodenbelebenden Maßnahmen mit Biogasgülle, Kompost, Gesteinsmehlen und Gründüngung: „An eine gesunde, optimal ernährte Pflanze mit gesundem Stoffwechsel geht der Schädling nicht ran!“

Nach Europa kommt er, um auf die drohenden ökologischen Katastrophen aufmerksam zu machen. Es geht um die Erhaltung der Regenwälder als „phantastischer Klimamaschine unseres Planeten“. Brasilien sei „ein fruchtbares Land, es könnte alle seine Bewohner ernähren. Doch auf unseren Anbauflächen wird das Futter für die Rinder der EWG gepflanzt, die wiederum die Müchseen und Butterberge produzieren, die Ihr Europäer dann verschenkt oder gar vernichtet. Unsere bodenständige Bauernschaft geht daran zugrunde und drängt in den Regenwald.“

Die Revolution in der Landwirtschaft mit Rückbesinnung auf regenerativen Landbau unter Verwendung kleinerer, „sanfter“ Maschinen greift um sich. Lutzenberger forciert diesen Prozeß mit politischen und ökologischen Diskussionen.

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