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Die Wüste stammt von Menschenhand

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An der gegenwärtigen Misere Afrikas sind nicht nur Naturkatastrophen schuld. Korrupte Funktionärseliten verfolgen auf dem Rücken der Bauern ihre politischen Interessen.

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An der gegenwärtigen Misere Afrikas sind nicht nur Naturkatastrophen schuld. Korrupte Funktionärseliten verfolgen auf dem Rücken der Bauern ihre politischen Interessen.

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Hunger geht um in Afrika. Wenn Wissenschaftler behaupten, nahezu ein Viertel der Menschheit sei vom Hunger befallen, dann kann man ruhigen Gewissens sagen, ein großer Teil dieser Menschen lebt heute auf dem afrikanischen Kontinent.

Die Not der Menschen ist in jenen Staaten Afrikas am größten, in denen auf dem Rücken der Bevölkerung noch Stammes- und Bürgerkriege ausgetragen werden: Angola, Mosambik, Tschad, Sudan, Uganda und Äthiopien sind nur einige Beispiele dafür.

Während eine verschwenderische Funktionärselite in den Hauptstädten meistens die Naturkatastrophen für die gegenwärtige Misere verantwortlich macht, beteuern Entwicklungsfachleute, die Krise in Afrika sei in erster Linie auf das Fehlverhalten einzelner Regierungen zurückzuführen.

Die Aufforderung „Macht Euch die Erde Untertan“ (Genesis 1,28) aus dem Alten Testament ist nirgendwo so fehl- und mißinterpretiert worden wie in den jungen Staaten Afrikas. Wenn es um die Entwicklung in der Dritten Welt geht, wird bei uns in Europa mit Vorliebe ein chinesisches Sprichwort zitiert, das durch die Studentenbewegung des Jahres 1968 bekannt geworden ist. Es lautet: „Gib einem Hungernden einen Fisch und er wird einen Tag lang satt. Lehre ihn fischen, und er wird sein Leben lang nicht hungern.“ Doch was nützen dem afrikanischen Kleinfischer die Belehrung und das ganze Ausstattungsmaterial, wenn er von westlichen Firmen, die unter dem Deckmantel der Entwicklungshilfe ihre kostspielige Technologie verkaufen wollen, und von der eigenen korrupten Funktionärsschicht am Fischen gehindert wird? Um den Devisenhunger ihrer Regierungen zu stillen, hatten die Sahel-Staaten Senegal, Tschad, Mali, Niger und Burkina-Fasso (ehemals Obervolta) 1984 siebenmal mehr Baumwolle für den Export erzeugt, als vor zwanzig Jahren. Gleichzeitig sahen sich dieselben Regierungen gezwungen, nahezu zwei Millionen Tonnen Getreide zu importieren, um den Menschen in der Trockenzeit wenigstens über das Ärgste hinwegzuhelfen.

Wären die Landarbeiter und Pflanzer in den Sahel-Staaten, die die Baumwollproduktion um das Siebenfache gesteigert hatten, nicht ebenso imstande, ein

Minimum an Nahrung zu erzeugen, um überleben zu können?

Der aus Ghana stammende Nahrungsexperte Professor Edward Ayensu gibt dazu die folgende Antwort: „Der afrikanische Bauer fühlt sich kaum veranlaßt, genug Nahrungsmittel zu produzieren. Erstens, weil die Regierungen hauptsächlich am Anbau von export- und devisenbringenden Monokulturen interessiert sind. Auf der anderen Seite sind die Regierungen bestrebt, die Nahrungsmittelpreise künstlich nieder zu halten, wodurch dem Landbauer jeder Anreiz genommen wird, genügend Nahrungsmittel zu produzieren. Ein Grund dafür ist das Bestreben der Regierungen, die ständig wachsende Stadtbevölkerung, aus deren Reihen meist auch die regimetreuen Funktionärseliten stammen, durch niedrige Lebensmittelpreise bei Laune zu halten.“ Der Leidtragende ist jedenfalls der afrikanische Bauer. Er ist heute mehr denn je sich selbst überlassen. Dabei zerstört er oft seine eigene Lebensgrundlage, weil ihm keiner etwas anderes beigebracht hat. Die zunehmende Verwüstung in Afrika stammt vielfach von Menschenhand! In der sudanesischen Provinz Khordofan beispielsweise rodet der Bauer Bäume und Sträucher und baut Jahr für Jahr auf demselben Boden Hirse an, was zur Abnützung des Bodens beiträgt. Der bundesdeutsche Entwicklungsexperte Klaus Otto Nass berichtet aus dem Sudan: „Die kurzen Wurzeln der Hirse halten den Boden nicht, der Wind trägt ihn fort, entblößt auch die astdicken Wurzeln der letzten Savannenbäume von schützender Erde, wirft diese anderswo zu Dünen auf. Vorboten der Wüste.“

Im Jahre 1900 waren 40 Prozent des Territoriums des damaligen äthiopischen Königreiches von Wald bedeckt, heute sind bestenfalls drei Prozent der Gesamtoberfläche Äthiopiens bewaldet.

In Äthiopien kommt noch das katastrophale Flüchtlingsproblem hinzu. Zum Jahresbeginn kündigte der äthiopische Staatschef Mengistu Haile Mariam seinen großen Umsiedlungsplan an, indem er erklärte, er wolle eineinhalb Millionen Menschen - 300.000 Bauern mit ihren Familien — aus den Hungergebieten in die fruchtbaren Regionen des ostafrikanischen Landes umsiedeln.

Westliche Beobachter behaupten dagegen, Mengistus Umsiedlungsplan sei der Versuch, den von den Guerillaorganisationen beherrschten Norden Äthiopiens durch Zwangsumsiedlungen unter Kontrolle zu bringen.

Die Menschen im Norden Äthiopiens werden unter vorgehaltener Waffe zum Verlassen ihrer Heimatdörfer gezwungen und dann mit Lastwagen abtransportiert. Viele kommen dabei um. Das wohl Tragischeste an Mengistus Umsiedlungsaktion ist die Tatsache, daß die Bauern aus dem kargen Hochland ohne Anleitung in einer neuen Umgebung, mit anderem Klima und anderem Boden, schon von vornherein zum Scheitern verurteilt sind. Für die meisten Bauern ist die Flucht in den benachbarten Sudan oft der einzige Ausweg aus ihrer Notlage.

Was bezweckt Mengistu mit seiner Umsiedlungsaktion wirklich?

Einen Teil seiner Sorgen nehmen Mengistu diejenigen, die sich als Flüchtlinge deklarieren und fortan nur von westlicher Notstandshilfe leben. Eine andere Frage ist, ob vielleicht Mengistus kubanische und sowjetische Berater die ausgesiedelten Bauern in einer völlig neuen Umgebung absichtlich scheitern lassen wollen, damit man sie nachher leichter kollektivieren kann? Der gesamte Umsiedlungsplan wird in Addis Abeba streng geheim gehalten. Der westliche Beobachter ist hier mehr denn je auf Mutmaßungen angewiesen.

Äthiopien, so wird uns gesagt, wird in der Zukunft noch mehr auf massive Hilfe der Industriewelt angewiesen sein. Diese Entwicklung kann man nicht abwenden. Für den engagierten Christen stellt sich die Frage, wie kann man helfen, ohne die menschliche Würde des Hilfeempfängers zu verletzen?

Und: Kann man die Abhängigkeit der Flüchtlinge von außen schrittweise abbauen („Hilfe zur Selbsthilfe“, siehe Seiten 8 und 9) pder gibt es Machtfaktoren in Äthiopien und anderswo, die daran gar nicht interessiert sind?

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