Patriarch Kyrills eigener Blick auf die Realität

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Mit Putins Angriffskrieg taumelt die russisch-orthodoxe Kirchenleitung in den Abgrund. Die bizarren Äußerungen des Moskauer Patriarchen zeigen, wie sehr Religion ein Instrument russischer Politik ist.

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Mit Putins Angriffskrieg taumelt die russisch-orthodoxe Kirchenleitung in den Abgrund. Die bizarren Äußerungen des Moskauer Patriarchen zeigen, wie sehr Religion ein Instrument russischer Politik ist.

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Dem „lieben Wladimir Wladimirowitsch“ gratulierte Patriarch Kyrill I. am Tag vor der Invasion in die Ukraine. Anlass war der „Tag der Verteidiger des Vaterlandes“, der an die Anfänge der Roten Armee nach dem I. Weltkrieg erinnert. Man hätte dies als ein weiteres Mosaiksteinchen der postbyzantinischen Symphonie von Staat und Kirche abhaken können. Derer bedienen sich Putin und Kyrill, um nach dem Zerfall der Sowjetunion weltliche und geistliche Macht zu erlangen. Aber seit dem rücksichtslosen Überfall erscheinen Kyrills Aussagen besonders bizarr. Denn mit dem Angriffskrieg taumelt die russisch-orthodoxe Kirchenleitung in den Abgrund und scheint dies nicht einmal zu realisieren.

Auch nachdem der Generalsekretär des Weltkirchenrates an Patriarch Kyrill appelliert hatte, für das Ende des Krieges einzutreten, fiel die Antwort mehr als irritierend aus. Dieser verwendete die gleiche Argumentationslinie wie Wladimir Putin. Die NATO-Staaten hätten ihre Militärpräsenz ausgebaut, westliche politische Kräfte versuchten, Ukrainer und die in der Ukraine lebenden Russen umzuerziehen und mental zu Feinden Russlands zu machen. Hinzu fügte Kyrill, dass genau darauf auch „das von Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel im Jahr 2018 herbeigeführte Kirchenschisma“ abzielte.

Ukraine - die Orthodoxie rückt zusammen

Letzteres ist ebenso ein eigener Blick auf die Realität. Denn der Ökumenische Patriarch folgte dem ausdrücklichen Wunsch nach einer autokephalen Kirche. Schon 1991 haben die in drei Jurisdiktionen getrennten ukrainischen orthodoxen Kirchen einen Antrag auf Autokephalie (Selbständigkeit) unterschrieben. Darunter war auch Metropolit Onufrij, der der Ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats (UOK-MP) vorsteht. Moskau hatte sich allerdings dagegen gewandt und im Folgenden scheiterten alle Dialogbemühungen. 2018 kam es allerdings nicht zur vollständigen Einigung der Orthodoxie in der Ukraine.

Zwei der ukrainischen orthodoxen Kirchen sind nun in der autokephalen Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) geeint, die UOK-MP blieb im Patriarchat von Moskau. Allerdings bringen der Krieg und das Verhalten des russischen Patriarchen beide orthodoxen Kirchen nun näher denn je. Schon Ende Februar hatte Metropolit Onufrij an Präsident Putin appelliert und auch Patriarch Kyrill I. aufgerufen, sich an die Staatsführung zu wenden, den Krieg zu beenden. Mittlerweile verurteilen viele russisch-orthodoxe Kirchengemeinden vor allem in der westlichen Diaspora ebenso den Ukraine-Krieg und Patriarch Kyrills Haltung. In Russland fehlt durch die Ausschaltung objektiver Berichterstattung allerdings das kritische Korrektiv der Gläubigen.

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