Zum VfGH-Urteil: Sind Kunst, Kultur und Religion gleichrangig?

19451960198020002020

Der Verfassungsgerichtshof hat die Ungleichbehandlung von Religionsausübung und Kulturschaffen in der Corona-Verordnung 2021 für gesetzwidrig erklärt. Zu Recht, meint Gastkommentator Ernst Smole.

19451960198020002020

Der Verfassungsgerichtshof hat die Ungleichbehandlung von Religionsausübung und Kulturschaffen in der Corona-Verordnung 2021 für gesetzwidrig erklärt. Zu Recht, meint Gastkommentator Ernst Smole.

Werbung
Werbung
Werbung

„Viele Studierende können nicht mehr sinnerfassend lesen!“ Mit dieser Feststellung ließ vor einem knappen Jahrzehnt ein renommierter Professor der Jurisprudenz aufhorchen. „In den Gesetzgebungsprozessen passieren immer wieder Pannen, da die jüngere Juristengeneration in steigendem Maße Probleme mit der Bedeutung von Begriffen hat!“ So ein erfahrener Parlamentarier im Jahr 2022. Die jüngsten Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes zur „Covid-Verordnung von Ende 2021“ zum Themenfeld Kunst/Kultur/Religion insinuieren, dass die Probleme um Begrifflichkeiten mittlerweile auch das Höchstgericht erreicht haben.

Es erstaunt, dass sich der Verfassungsgerichtshof in dieser heiklen Frage offenbar nicht der kulturwissenschaftlichen Expertise einer der zahlreichen Universitätsinstitute, die über die Bedeutung von Begriffen forschen, bedient hat. Dennoch soll nicht die Redlichkeit von Personen in Zweifel gezogen werden, es geht vielmehr darum, die Problematik und politische Folgen begrifflicher Unschärfen zu thematisieren.

Verwirrung der Begriffe

Im Bildungsbereich etwa wurde durch eine Umfrage in den wichtigsten Communitys (Schulpraxis, -verwaltung, Bildungswissenschaft und -ministerium) zur Frage, was welche Form der „Differenzierung“ für die Schulpraxis bedeutet, deutlich, dass hier eine babylonische Sprachverwirrung herrscht. Dies ist verheerend, da gerade Begriffsklarheit der wichtigste Schlüssel zu nachhaltigen Reformen ist.

Die Äußerung des Verfassungsgerichtshofes zur Covid-Verordnung 2021 nennt inklusive der Titelzeile die Begriffe Kunst und Religion je viermal und Kultur fünfmal. Im Titel des Textes finden sich die Begriffe Kunst und Religion. Das Wort Kultur kommt dort nicht vor.

Schon im Gymnasium lernt man, dass die Begriffe Kultur und Natur klar definierbare gegensätzliche Begriffe sind – Kultur ist das von Menschen Gemachte, die Natur ist das nicht von Menschen Gemachte. Deutlich wird dies etwa am Begriff „Bodenkultur“: Dies meint all das, was der Mensch mit dem Naturprodukt „Boden“ im weitesten Sinne tut – land- und forstwirtschaftliche Nutzung, Energiegewinnung etc. Die Folgen des menschengemachten Klimawandels – Felsstürze, Überflutungen, Gletscherschmelze – sind somit keine „Natur“- Ereignisse, sondern menschliche „Kultur“-Produkte“, die sich in der Natur niederschlagen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung