Stefan Zweig: Monotonisierte Ideologien

19451960198020002020

Über den Zusammenhang von Langeweile, den amerikanischen „Proud Boys“ und den deutschen „Reichsbürgern“.

19451960198020002020

Über den Zusammenhang von Langeweile, den amerikanischen „Proud Boys“ und den deutschen „Reichsbürgern“.

Werbung
Werbung
Werbung

Es gibt von Stefan Zweig einen berühmten Aufsatz aus dem Jahre 1925 über die „Monotonisierung der Welt“. Von Amerika, meinte er, kämen jene „furchtbare Welle der Einförmigkeit“, jene „Gleichheit des Geschmacks“ und „Uniformierung der Weltanschauung“, welche die übrigen Länder der Welt zu „Kolonien“ und „Knechten“ der amerikanischen Lebensführung machten. „Alles wird gleichförmiger in äußeren Lebensformen, alles nivelliert sich auf ein einheitliches kulturelles Schema.“ Damit meinte Zweig nicht nur die kapitalistische Monopolisierung, die Gleichheit der Dinge bei jedem Einkauf, sondern auch die Monokulturalisierung der Bildung in allen ihren gutgemeinten Reformen und, letztlich, die Monologisierung der Politik, die sich vor allem in den „allerdeutschesten, völkischsten Wahlkreisen“ bemerkbar machte.

Dennoch war Stefan Zweig, der sich stets als jüdischer Europäer und Kosmopolit fühlte und an diesem europäischen Kosmopolitismus schließlich auch verzweifelte, kein „Anti-Globaler“ im Sinne der bodenständig nationalen Parteien. Er war nur Pluralist und erkannte, dass jede äußere Monotonie „notwendig nach innen dringen“ würde. Die Monotonisierung der Ideologien jedoch war nie bloß einseitig, sondern immer eine transatlantische Wechselwirkung. Und so geschieht auch die erstaunliche Uniformität rechtsradikaler Weltanschauungen, die innere Verwandtschaft der amerikanischen „Proud Boys“ und der deutschen „Reichsbürger“. Sie leben in denselben Verschwörungswelten, sie erfahren dieselbe Bildung aus dem Internet, sie teilen dieselbe Verweigerung des konstitutionellen Staates. Und woher diese seelische, geistige Verfassung? Aus einer Eintönigkeit des Gemüts, würde Zweig sagen, die Einfältigkeit wird. Ennui. Taedium vitae. Denn sie teilen dieselbe „fahrige, nervöse und aggressive Langeweile“.

Der Autor ist Professor für moderne jüdische Philosophie an der University of Virginia, USA.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung