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Umdenken auf dem Bauernhof

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„Wir werden nicht nur geboren durch unsere Mutter, sondern in gleicher Weise durch unsere Mutter Erde, die mit jedem Mund voll Nahrung täglich Einzug in uns hält.“ Diese Worte des großen Arztes Paracelsus gilt es heute wieder in Erinnerung zu rufen.

Ein Arzt unserer Tage (Prof. Dr. Rusch) hat es so ausgedrückt: „Die Menschen können niemals gesünder sein als die Nutztiere und die Kulturpflanzen, von denen sie ihre Nahrung beziehen, und wenn wir wirklich heilen wollen, dann haben wir dort anzuf an- gen.

Ist der Bauer also maßgeblicher Mit-Verantwortungsträger für die menschliche Gesundheit? Man wird diese Frage mit „Ja“ beantworten müssen. Aber wem ist das heute schon bewußt? Dem Bauern selber? Dem Konsumen-

ten? Dem Arzt? Spezialisierung in Wirtschaft und Wissenschaft, die sich davon ableitende Arbeitsteilung, der Einkauf im Supermarkt und so weiter haben vergessen lassen, was im Zusammenhang gesehen werden müßte.

Bei landwirtschaftlichen Produktionsmethoden und Nahrungsqualität können unter anderem nur zwei sehr entscheidende Faktoren angesprochen werden, die die Qualität pflanzlicher und (über das Futter) auch tierischer Nahrungsmittel beeinflussen.

1 Der Boden und die Art der Düngung

Die in der modernen Landwirtschaft vielfach eingesetzten wasserlöslichen und daher als „künstlich“ bezeichneten Düngemittel kommen mit wenigen Düngegaben, also stoßweise, in den Boden. Dies führt dazu, daß durch dieses vorübergehend überhöhte Angebot die Pflanze von diesen Nährstoffen oft mehr aufnimmt, als für ihre harmonische Ernährung wünschenswert wäre. Dazu kommt das chemische Verhalten dieser wasserlöslichen Nährstoffe. Eine größere Menge eines vorhandenen Nährstoffes kann die Aufnahme eines anderen Nährstoffes, besonders auch von Spurenelementen, behindern oder verstärken. Auch dadurch wird ein unharmonisches Nährstoffverhältnis in der Pflanze verursacht. Die moderne Form der che- misch-orientierten Düngung hat dann noch weitere negative Auswirkungen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann.

Viele Bauern, die aufgrund von Gesundheitsstörungen fast zwangsweise auf den biologischen Landbau umgestellt haben, erlebten, wie sich allein durch die Änderung der Düngung auf dem Grünland, Spritzmittel spielten da meist keine Rolle, der Gesundheitszustand ihrer Tiere verbesserte beziehungsweise normalisierte. Verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen belegen diese Zusammenhänge.

In der menschlichen Ernährung sind die Ursachen-Wirkungsketten nicht so geschlossen, wie etwa bei einem Tier, das sich nur von den Pflanzen eines Hofes ernährt. Daher sind hier Nachweise schwieriger.

Als die Universität Bonn dem nun schon verstorbenen französischen Wissenschaftler Andrė Voisin die Ehrendoktorwürde verlieh, wählte er in seiner Einführungsrede das Thema „Die Landwirtschaft, Hüterin der menschlichen Gesundheit“. Am Schluß seiner Rede sagte er, „Wie sehr würde ich mich freuen, über dem Portal jeder landwirtschaftlichen Fakultät den Ausspruch von Briallat-Savarin eingemeißelt zu sehen: ,Das Schicksal der Völker hängt von dem ab, was sie essen.“ Ich würde noch hinzufügen: ,und vom Boden, der diese Nahrungsmittel erzeugt.“ Aber ebenso gerne würde ich in Zukunft über dem Portal jeder medizinischen Fakultät das Bibelwort lesen: ,Du bist Staub und sollst wieder zu Staub werden.“ Das ist durchaus nicht nur religiös und philosophisch gemeint. Alle Staubteilchen, das heißt alle Mineralstoffe unseres Körpers haben sich zuvor im Boden befunden. Und letztlich hängt nur von dem guten Verhältnis und der guten Mischung dieser Teilchen in unserem Körper der normale Stoffwechsel ab; normaler Stoffwechsel bedeutet aber Gesundheit.“

• Die Art des Pflanzenschutzes

Interessanterweise kommt die Kritik am chemischen Pflanzenschutz und die immer mehr geforderte Einschränkung desselben nunmehr von einer Seite, von der man es sich bis vor wenigen Jahren nicht erwartet hätte, nämlich von den Wasserwerken.

Die den Bauern bis in die allerjüngste Zeit gegebenen Auskünfte, daß nach Ablauf der Wartefrist Pflanzenschutzmittel abgebaut und daher unwirksam und unschädlich seien, erweist sich immer mehr als Irrtum.

So sind zum Beispiel in unserem Nachbarland Bayern aufgrund der seit September 1988 in Kraft getretenen „Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung“ 75 Wirkstoffe, die in einer kaum mehr überschaubaren Anzahl von Handelspräparaten enthalten und an sich amtlich zugelassen sind, in Wasserschutzgebieten verboten. Betroffen sind chemische Unkraut- und Insektenvertilgungsund alle Bodenentseuchungsmit- tel-

Der Gesetzgeber ist der Meinung, daß Wasser „sauber“, also möglichst frei von chemischen Pflanzenschutzrückständen, sein müsse. Wenn man dieser Logik folgen will, stellt sich die Frage, warum das, was für das Wasser billig, nicht auch für Lebensmittel recht sein müßte? Abgesehen davon, daß es aus finanziellen, personellen und untersuchungstechnischen Gründen gänzlich unmöglich ist, sich über die tatsäch liche Rückstandssituation ein auch nur einigermaßen genaues Bild zu machen, ergeben sich bei der Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel weitere ungelöste Probleme:

Martin Schüpbach, Leiter der kantonalen Lebensmitteluntersuchung Basel-Stadt, sagt dazu: „Die Bioakkumulation (Anrei- chung) in den vielfältig vernetzten Nahrungsketten führt immer wieder zu schwerwiegenden, nicht vorauszusehenden Problemen in der Nahrung. Oder relativ harmlose Stoffe verwandeln sich in biologischen Zusammenhängen in hochwirksame Gifte. Weitgehend unbekannt ist uns auch, wie die vielen Fremdstoffe innerhalb unseres Körpers oder in der ganzen Biosphäre sich gegenseitig beeinflussen und unerwartete Wirkungen zeigen, miteinander reagieren, sich anreichern und so weiter.“

Der ganze chemische Pflanzenschutz in der Landwirtschaft ist also im Grunde nichts anderes als ein Großversuch mit uns allen (bei dem sich immer mehr unerwartete Wirkungen zeigen) mit noch völlig ungewissem Ausgang.

• Ökologischer Landbau - die unerläßliche Alternative

In den letzten Jahrzehnten, besonders verstärkt etwa in den letzten zehn Jahren, hat sich zuerst mehr unbemerkt, dann belacht und bekämpft und jetzt in immer weiteren Kreisen innerhalb und außerhalb der Landwirtschaft ernst genommen, eine Reformbewegung zu der heute sehr weit verbreiteten Form der Agrarproduktion, mit hohem und zum Teil problematischem Fremdstoffeinsatz, entwickelt: der biologische, ökologische alternative Landbau oder wie man ihn nennen mag. Sein grundsätzliches Ziel: Nichts zu tun, was der Natur, was Boden, Pflanze, Tier, aber vor allem dem Menschen schaden kann, alles zu tun, was deren Gesundheit fördert.

Leider werden im tagespolitischen Streit um diese landwirtschaftliche Reformbewegung die Fragen immer noch falsch gestellt. Eine der Fragen ist, wie groß etwa die Marktnische für solche Produkte sei. Es geht hier wirklich nicht um Marktnischenpolitik, sondern um die Frage: Sind unsere agrarischen Produktionsmethoden im Hinblick auf die Umweltbelastung und die Nahrungsqualität grundsätzlich in Ordnung, oder sind sie es nicht? Man muß zur Antwort geben: Sie sind es in bedeutendem Maße nicht!! Wenn das aber der Fall ist, dann muß die politische Frage lauten: Was muß zur Sicherung gesunder Lebensgrundlagen im Zusammenhang mit der Agrarproduktion geschehen?

Die Landwirtschaft steht vor einer neuen geschichtlichen Herausforderung, wenn sie ihrem gesamtgesellschaftlichen Auftrag gerecht werden will.

Der Autor war vor seiner Pensionierung langjähriges Mitglied der Tiroler Landwirt- schaftskammer und Leiter der Berufsschule für Gartenbau in Innsbruck.

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