Friedhofsschändung - © APA

Antisemitismus heute: "...sich bei den Juden verschulden"

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Diverse Studien zeigen einen latenten Antisemitismus gerade in der Bildungsschicht. Und so unglaublich es klingen mag, die "Protokolle der Weisen von Zion" prägen das Vorurteil bis heute.

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Diverse Studien zeigen einen latenten Antisemitismus gerade in der Bildungsschicht. Und so unglaublich es klingen mag, die "Protokolle der Weisen von Zion" prägen das Vorurteil bis heute.

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In Salzburg verschmierten jüngst Neonazi Dutzende "Stolpersteine", die auf der Straße vor ehemaligen Wohnstätten vergaster Juden daran erinnern, dass Hitler die "jüdische Pestilenz" aus dem "arischen Volkskörper" brennen wollte.

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Nach einer Umfrage sähen zwölf Prozent der Österreicher lieber keine Juden im Land, 22 Prozent wünschen, dass "die Politik" etwas gegen den Einfluss der Juden unternimmt, und 44 Prozent schreiben den Juden zu viel Einfluss auf die Wirtschaft zu. Weil sich in Deutschland Pöbeleien gegen Juden mehren, getrauen sich 25 Prozent von ihnen nicht mehr, die Kippa öffentlich zu tragen.

"Sozialismus der dummen Kerle"

"Antisemitismus ist der Sozialismus der dummen Kerle", befand Karl Marx. Das beschreibt heute gewiss niemandes Intelligenzquotienten, wohl aber die "diffuse" Form eines Generalverdachts, den eine der infamsten Hetzschriften der Geschichte in die Welt gesetzt hat -die "Protokolle der Weisen von Zion". Der Plan: "Die Gnade Gottes hat uns, sein auserwähltes Volk, über die ganze Welt zerstreut. In dieser scheinbaren Schwäche liegt unsere ganze Kraft, die uns heute an die Schwelle der Weltherrschaft geführt hat."

Die "Protokolle" mutierten von einer Parodie über eine politisch angelegte Fälschung zur Bibel der Antisemiten. 1864 veröffentlichte der Franzose Maurice Joly in Genf den "Dialog in der Hölle zwischen Machiavelli und Montesquieu", eine Satire auf den Franzosenkaiser Napoleon III. Mit Juden hat dieser Hohn nichts zu tun. 1868 fantasierte ein Deutscher in dem absurden Roman "Biarritz", wie die Delegierten der zwölf Stämme Israels auf dem jüdischen Friedhof in Prag die Eroberung der Welt planen.

Aus alledem mixte der zaristische Geheimdienst "Ochrana" 1905 die "Protokolle der Weisen von Zion". Sie sollten dem abergläubischen Zaren Nikolaus II. "beweisen", dass jüdische Verschwörer 1905 die gescheiterte Revolte linker und liberaler Kräfte ferngesteuert und Japan den Sieg über die russische Kriegsflotte verschafft hätten. Nun schicke sich diese als "Liberalismus" und "Demokratie" getarnte Verschwörung an, die christliche russische Monarchie zu zerstören. Diese Fälschung wurde derart ernst genommen, dass sie sogar Popen von russischen Kanzeln verlasen.

Spekulation und Luxussucht

Die frei erfundenen "Protokolle" von 24 geheimen Konferenzen jüdischer Verschwörer beschreiben die Methoden, wie das Judentum die Weltherrschaft mit "List, Heuchelei, Bestechung, Betrug und Verrat" erobern werde, denn "alles, was dem Volke Juda nützt, ist moralisch und heilig". Einflussreiche Persönlichkeiten in Politik und Wirtschaft müsse man manipulieren, damit sie als nützliche Idioten dem Ziel der Juden dienen: "Die Empfänglichkeit für Wohltaten, Begehrlichkeit und materielle Unersättlichkeit" der Menschen anstacheln, denn "jede dieser menschlichen Schwächen erstickt die Tatkraft". Redaktionen und Verlage müsse man unterwandern, um Kontrolle über Kunst, Kultur und Bildung zu gewinnen.

Die "Weisen von Zion" brüsten sich damit, dass "unsere geheimen Agenten" einst "ganze Legionen" mit der Parole "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" mobilisiert hätten. So zerstöre "der Druck des Pöbels" die Grundlage nichtjüdischer Staaten. "Wir werden dem Arbeiter als Befreier von Unterdrückung erscheinen, indem wir ihm vorschlagen, in die Reihen unserer Armeen von Sozialisten, Anarchisten und Kommunisten einzutreten." Und: "Durch Not, Neid und Hass werden wir die Massen lenken und uns ihrer Hände bedienen, um alles zu zermalmen, was sich unseren Plänen entgegenstellt." Vor allem aber: "Die sichtbare Freimaurerei hat nur den Zweck zu erfüllen, unsere Absichten zu verdecken. Unsere unsichtbare Macht wird der Welt immer unbekannt bleiben."

Das "Geheimnis unseres Erfolgs besteht darin, die Fehler, Gewohnheiten, Leidenschaften und Regeln des gesellschaftlichen Verkehres derart zu vervielfachen, dass Chaos entsteht, in dem sich niemand mehr auskennt". In diesem Chaos entstünden sogleich soziale Kämpfe und die Staaten brächen rettungslos zusammen. Die Industrie der Nichtjuden werde durch Spekulation und die Sucht nach hemmungslosem Luxus zerstört, indem man sich allen Goldes bemächtigt, Börsenkrachs auslöst, die Zahlungsmittel verknappt und damit Regierungen nötigt, "sich über Staatsanleihen bei den Juden zu verschulden".

Folgerichtig agitierten Hitler und seine ideellen Paten zielsicher: "Die Juden sind unser Unglück." US-Präsident Dwight D. Eisenhower brachte diese Methode auf den Punkt: "Die Suche nach Sündenböcken ist von allen Jagdarten die einfachste."

Propagandawaffe gegen Lenin

Übersetzungen der "Protokolle" erschienen ab 1920 weltweit. Vor allem baltische Emigranten brachten sie als propagandistische Waffe gegen Lenin in Umlauf. Ihren publizistischen Erfolg bremste auch nicht 1921 die Wiederentdeckung von Jolys längst vergessenem "Dialog", womit die "Protokolle" als plumpe Fälschung entlarvt waren. Sie erschienen in immer neuen Auflagen und Übersetzungen und dienten zur Rechtfertigung antisemitischer Exzesse. 1929 erwarb die NSDAP das Copyright der "Protokolle" und warf sie in 40 Auflagen auf den Markt. Dass Gerichte in Berlin, in Südafrika und in der Schweiz die "Protokolle" als Plagiat und Schundliteratur verurteilten, werteten die Nazi als Beweis dafür, dass die zionistische Verschwörung sogar schon Gerichte durchsetzt habe.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwanden die "Protokolle" vom westeuropäischen Markt. Aber sie kursieren immer noch auf dem schwarzen Markt und zumal in jenen Kreisen, die damit den Holokaust als Schwindel "entlarven": "Antisemitismus ist für uns notwendig." Der Beweis dafür stehe in den "Protokollen": Die "Weisen von Zion" lenken aus dem Hintergrund ihre "Gewaltherrschaft mit umfassendem Terror und durchsetzen die gesamte Gesellschaft mit ihren unzähligen Spitzeln, Zuträgern und Helfern, die ihre Herrschaft sichern."

Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels wandte die Methode der "Protokolle" virtuos an: "Eine Lüge muss nur groß genug sein, dann glaubt sie jeder."

Der Autor ist ehemaliger Redakteur der "Salzburger Nachrichten"

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