Karabach - © Foto: APA/AFP/NKR Infocenter/Davit Ghahramanyan

Berg-Karabach: Flächenbrand am Kaukasus

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Hunderte Tote, bombardierte Städte, Generalmobilmachung auf beiden Seiten: Der Gebietskonflikt um Berg-Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan ist eskaliert. Wie konnte das geschehen?

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Hunderte Tote, bombardierte Städte, Generalmobilmachung auf beiden Seiten: Der Gebietskonflikt um Berg-Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan ist eskaliert. Wie konnte das geschehen?

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Jahrelang wurde um Frieden im wohl gefährlichsten Konflikt am Südkaukasus gerungen, doch dann geht alles ganz schnell: Am Morgen des 27. September heulen die Sirenen, als in mehreren Dörfern und Siedlungen in Berg-Karabach die Artillerie einschlägt. Zerbombte Häuser, schreiende Menschen, Verletzte und Tote. Der oftmals als „eingefroren“ bezeichnete Konflikt ist mit einem Schlag wieder aufgetaut. Wer an diesem Sonntagmorgen zuerst schoss, ist unklar: Aserbaidschan behauptet, dass seine Stellungen vom armenischen Militär attackiert wurden, die Regionalregierung in Berg-Karabach spricht von einem Erstschlag Aserbaidschans.

Fest steht, dass sich der Konflikt binnen weniger Tage so stark aufgeschaukelt hat wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Raketen, Drohnenangriffe und wohl auch Splitterbomben trafen Schulen, Spitäler, Wohnhäuser nicht nur in Berg-Karabach, sondern auch in Ganja, der zweitgrößten Stadt Aserbaidschans, mehr als 100 Kilometer entfernt. Die Zahl der Toten geht in die Hunderte, von Tag zu Tag scheint eine Rückkehr an den Verhandlungstisch unwahrscheinlicher. Dazu kommt die geopolitische Komponente – die Türkei gießt fast täglich weiteres Öl ins Feuer und macht keinen Hehl daraus, den muslimischen „Bruderstaat“ Aserbaidschan zu unterstützen, komme was wolle. Laut Berichten habe die Türkei
syrische Söldner angeworben, die in Berg-Karabach kämpfen – das wäre eine neue Qualität in diesem jahrzehntelangen Konflikt.

Kampf um kleines Gebiet

Worum geht es? Berg-Karabach, mit 4392 Quadratkilometern kaum größer als das Burgenland, wird sowohl von Armenien wie auch Aserbaidschan beansprucht, und zwar seit mehr als 100 Jahren. Nach dem Zerfall des russischen Zarenreichs 1917 kam es zur Gründung der Republiken Armenien und Aserbaidschan, die beide Anspruch auf Berg-Karabach erhoben, bevor sie 1922 in der Sowjetunion aufgingen. Kein geringerer als Josef Stalin traf die folgenschwere Entscheidung, Berg-Karabach trotz mehrheitlich armenischer Bevölkerung der Sowjetrepublik Aserbaidschan zuzusprechen. Zwar als autonome Oblast, aber gegen den Willen der armenischen Mehrheitsbevölkerung. Innerhalb der Sowjetunion blieb der Deckel auf dem Konflikt.

Erst Anfang der 1990er kochte er wieder hoch, als blutige Proteste, Pogrome und Kampfhandlungen paramilitärischer Milizen ausbrachen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion rief sich Berg-Karabach als autonome Republik aus, was Aserbaidschan mit einer Kriegserklärung quittierte. Im Krieg (19921994) verloren mehr als 30.000 Soldaten und Zivilisten ihr Leben, mehr als eine Million – überwiegend Aseris – wurde vertrieben. Armenien war militärisch überlegen und besetzte Berg-Karabach sowie sieben benachbarte Provinzen. „Armenien hat gerade in letzter Zeit eigene Leute und Armenier aus dem Libanon in BergKarabach und den umliegenden Provinzen angesiedelt, was natürlich in Aserbaidschan als Provokation aufgefasst wird“, sagt Uwe Halbach, einer der führenden Kaukasus-Experten Deutschlands im Gespräch mit der FURCHE.

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