Am Fenster zum Islam

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Abu Dhabi erwies sich als fruchtbarer Boden für die Botschaft des Papstes von Frieden und Freude, Gerechtigkeit und Religionsfreiheit. Dieser war über Jahrzehnte unter großem Einsatz aufbereitet worden.

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Abu Dhabi erwies sich als fruchtbarer Boden für die Botschaft des Papstes von Frieden und Freude, Gerechtigkeit und Religionsfreiheit. Dieser war über Jahrzehnte unter großem Einsatz aufbereitet worden.

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Papst Franziskus hat den Besuch im Emirat Abu Dhabi vom 3. bis 5. Februar in Zusammenhang mit dem Auftreten seines Namenspatrons Franz von Assisi in Palästina und Ägypten vor 800 Jahren gestellt. In seiner Abschiedspredigt vor rund 170.000 katholischen Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern in dem dank Erdöl und Erdgas überreichen Kleinstaat am Golf erinnerte der Papst an die Begegnung des Heiligen im August 1219 mit Sultan Malik al-Kamil. Er konnte zwar keinen Frieden zwischen diesem und dem Kreuzfahrerheer im Nildelta stiften und ihn schon gar nicht zum Christentum bekehren. Seine Botschaft interreligiösen Friedens statt Glaubenskrieg, kirchlichen Wirkens inmitten des Islams erwies sich jedoch als Saatkorn, das reiche Frucht tragen sollte. Al-Kamils Bruder Saladin der Große ermöglichte den Franziskanern auch nach dem Abzug der Kreuzfahrer das Verbleiben in Jerusalem. Bis heute hält die "Kustodie vom Heiligen Land" diesen Geist aufrecht, gibt aus ihren Reihen dafür oft jenes Blutzeugnis, das der Ajjubiden-Sultan dem hl. Franziskus verwehrt hatte. So der selige Engelbert Kolland aus dem Zillertal, der 1860 in Damaskus als Märtyrer starb. Unter den im Orient wirkenden Franziskanern befanden und befinden sich besonders viele Tiroler. In der Ordenskirche im Altkairoer Stadtteil Muski und anderswo finden sich zahlreiche Namen mit dem Zusatz "Tyrolensis". Auch der heutige "Kustos" in Jerusalem, Francesco Patton OFM, stammt aus dem Trentino.

Das Wirken der Kapuziner

Den Spuren der Franziskaner im Orient folgte auch der aus ihnen hervorgegangene Kapuzinerorden. Im 19. Jahrhundert wurde ihm das überaus schwierige Gebiet der Arabischen Halbinsel anvertraut. Dort war die sonst meist vom Islam gewährte Kultfreiheit für andere Monotheisten seit der mittelalterlichen Aussiedlung der Christen von Jemen in Frage gestellt, wie das in Saudi-Arabien noch heute der Fall ist. Die Kapuziner, bei denen in Mitteleuropa wegen Nachwuchsmangel ein Kloster nach dem anderen zusperren muss, öffnen aber gerade das sandig-steinige Arabien der Kirche als fruchtbaren Boden. Einer von ihnen, der Schweizer Paul Hinder, heute Apostolischer Vikar in Abu Dhabi, ist schon seit 1994 für die Kapuziner am Golf zuständig. Ohne ihn hätte es keinen Papst-Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten gegeben. Zugleich stellte diese Pastoralvisite eine pontifikale Anerkennung für das Lebenswerk des bald 77-jährigen Bischofs Hinder dar. Dieser sah sich vor die Aufgabe gestellt, für eine Million katholische Arbeitsmigrantinnen und -migranten vorwiegend asiatischer Herkuft in Abu Dhabi und den Nachbaremiraten in 20 Sprachen Seelsorge aufzubauen und einer strikt islamischen Umwelt das Zeugnis christlichen Lebens zu geben. Hinder beklagte es nicht -wie viele andere -als Fehlgriff der Vorsehung, ihren Erdölsegen ausgerechnet über die nahöstlichen Muslimstaaten ausgeschüttet zu haben. Der Kapuziner erkannte die große Stunde, die der Kirche durch den Arbeitskräftebedarf der Ölscheichs und in dessen Folge auch die Aufnahme von Christen zu schlagen begann. Er nützte klug und zäh alle Spielräume, die das islamische Religionsrecht Andersgläubigen gewährt, ohne vorerst Unerfüllbares zu fordern. Ein Musterbeispiel ist die jetzt von Papst Franziskus besuchte St. Joseph-Kathedrale in Abu Dhabi: Unscheinbar und von außen als Kirche kaum erkennbar, wie es die vom Islam Christen gewährte begrenzte Kultfreiheit erfordert. Doch immerhin eine leuchtende katholische Präsenz am Golf, mitten zwischen Saudi-Arabien und Iran, wo Kirchenbauten unerlaubt oder zumindest unerwünscht sind. Bischof Hinder konnte noch viel mehr erreichen: Die öffentliche Papstmesse im Stadion von Abu Dhabi war etwas in jedem anderen Muslimland noch völlig Undenkbares. Noch überraschender und bahnbrechender die Teilnahme von Tausenden Muslimen an dem Gottesdienst! Paul Hinder hat der Kirche ein Fenster zur islamischen Welt geöffnet, von dem der Heilige Vater seine frohe Botschaft von Frieden und Freude, Gerechtigkeit und Religionsfreiheit weiter verkünden durfte, wie er das schon 2018 in Kairo am Al-Azhar getan hatte. Diesen "Vatikan" aller sunnitischen Muslime erschloss für Rom schon Kardinal Franz König mit seinen regelmäßigen Besuchen in den 1960er-bis 1980er-Jahren.

Gegenmodell zu Saudi-Arabien

Warum Abu Dhabi -von Bischof Paul Hinder abgesehen -als zweite Station der Öffnung des Heiligen Vaters zum Islam? Diese Golfregion zwischen Katar und Oman war lang als Piratenküste übel berüchtigt. Bis sie von den Engländern befriedet zur "Vertragsküste" wurde. An die Stelle von Seeräuberei trat der Handel mit Perlen und Gold. Das war kein Boden für einen fanatischen Wahhabiten-Islam wie bei den Saudis im Inneren der Arabischen Halbinsel. In Abu Dhabi oder Dubai war man weltoffener, die erste katholische Kirche durfte schon 1963 vor dem großen Petroboom und Gastarbeiterschub aufsperren.

Heute ist Abu Dhabi bemüht, sich religionspolitisch vom großen Nachbarn Saudi-Arabien abzusetzen. Ein Ministerium für Duldsamkeit zu Andersgläubigen wurde geschaffen und 2019 zum "Jahr der Toleranz" erklärt. Dessen Auftakt war die interreligiöse Friedenskonferenz, zu der Papst Franziskus eingeladen wurde. Wenn er tatsächlich zu dieser gekommen ist, bewies das seine richtige Unterscheidungsgabe: Der Islam ist keine einheitliche Religion, überspannten Terroristen stehen aufgeschlossene Pragmatiker und Mystiker von tiefer Spiritualität gegenüber. Der Heilige Vater hat ihre ausgestreckte Hand angenommen -sein Beispiel soll von der kirchlichen Basis aufgegriffen werden!

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