Ratzinger

Benedikt XVI.: Der gute Papst aus Oberbayern

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Er war zuerst theologischer Shooting Star in Bayern, danach Spindoctor des II. Vatikanums. Dann stemmte er sich als Glaubenshüter wie als Papst gegen die liberale Talfahrt der katholischen Kirche. Zu Peter Seewalds biografischem Denkmal für den Papa emeritus.

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Er war zuerst theologischer Shooting Star in Bayern, danach Spindoctor des II. Vatikanums. Dann stemmte er sich als Glaubenshüter wie als Papst gegen die liberale Talfahrt der katholischen Kirche. Zu Peter Seewalds biografischem Denkmal für den Papa emeritus.

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Im publizistischen Mainstream hatte und hat Joseph Ratzinger, der emeritierte Papst Benedikt XVI., eine eher schlechte Presse. Kritische Anmerkungen zur Kirchen- und Theologielage, etwa zu Jahresbeginn in einem Buch des erzkonservativen Kurienkardinals Robert Sarah, stießen jedenfalls im deutschen Sprachraum auch zuletzt nicht auf allgemeine Zustimmung. Im Gegenteil. Dass der Pontifex a.D. Ende Juni überraschend nach Regensburg reiste, um seinen sterbenden Bruder Georg zu besuchen, nötigte hingegen Respekt ab: Tatsächlich war die Visite des 93-jährigen Joseph beim drei Jahre Älteren ein echter Abschied – am 1. Juli war das irdische Leben Georg Ratzingers zu Ende. Typisch, dass auch diese familiär-private Reverenz des greisen Kirchenführers als Munition für die kirchenpolitische Agenda des konservativen Kirchenflügels taugte: Benedikt XVI. fahre mitten in der CoronaZeit nach Deutschland, der amtierende Pontifex Franziskus hingegen habe gerade alle Auslandsreisen für 2020 abgesagt, war da etwa zu lesen. Der feige Amtsträger gegen den mutigen Emeritus, der für diese Parteiung kaum verhohlen weiter der eigentliche Pontifex ist, so das Narrativ. Die konservative Erzählung über Joseph Ratzinger, der von den bösen Theologen wie den liberalen Ungläubigen (zu denen in dieser Sichtweise auch der reformorientierte Flügel des Katholizismus zählt) absichtlich missverstanden und schlecht gemacht wird, feiert fröhliche Urständ. Und bekommt auch entsprechend Munition.

Peter Seewalds Opus Magnum

Nicht zuletzt die 1150 Seiten starke Biografie „Benedikt XVI. – Ein Leben“ von Peter Seewald kann als Fundgrube für die Affirmation des Denkens und Handels seines Protagonisten herhalten. Seewald, der seit Mitte der 1990er Jahre zu einem publizistischen Vertrauten Ratzingers wurde, hat bekanntlich mehrere Interviewbücher und Lebensbilder des Kardinals Ratzinger wie des Papstes Benedikt XVI. veröffentlicht. Die vorliegende Biografie ist aber zweifellos sein Opus Magnum, und was Seewald an Details und Material ausbreitet, ist tatsächlich beachtlich.

Auch Erzählfluss und Sprachkraft muss man dem Autor zugute halten – es gelingt ihm im Nu, mit den Schilderungen von Leben sowie dem Zeit- und Ortskolorit zu fesseln. Dass manche Details cum grano salis zu nehmen sind, versteht sich in derartiger Narration fast von selbst. Hin und wieder – etwa, dass Pius XII. einen Elektrorasierer verwendete und statt der vorgesehenen 90 nur 45 Minuten für die Morgentoilette verwendete, während Benedikt XVI. sich als „einzigen Luxus“ gönnte, „nach dem Aufstehen ein wenig zu trödeln“ – fragt man sich aber schon, woher Seewald das weiß und warum er den Leser damit behelligt. Aber ein großer Geist, als der er den nachmaligen, amtierenden und ehemaligen Papst präsentiert, verlangt eben die große Erzählung. Wer danach sucht, wird in dem voluminösen Werk von der ersten bis zur letzten Seite fündig. Interessant ist ganz sicher der beschriebene Werdegang Ratzingers vom bayerischen Gendarmensohn zum Priester und jungen Theologen. Auch bei der Schilderung der Zeitläufte zwischen 1927 und dem Ende der Hitlerei bewegt sich Seewald im konsensualen historischen Mainstream, auch wenn er er schon in der Ratzinger’schen Kindheitsgeschichte nicht ohne hagiografische Züge auskommt.

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