Der Kulturkampf um die rechte Kirche

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Das "Zeugnis", in dem Erzbischof Viganò den Papst der Lüge zeiht und zum Rücktritt auffordert, wurde in den USA veröffentlicht. Das ist kein Zufall.

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Das "Zeugnis", in dem Erzbischof Viganò den Papst der Lüge zeiht und zum Rücktritt auffordert, wurde in den USA veröffentlicht. Das ist kein Zufall.

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Mit dem Missbrauchsthema haben die weltweit gut vernetzten Konservativen das Vehikel gefunden, Papst Franziskus gefährlich wie noch nie in seinem Pontifikat zu werden. Denn die Aktion vor Jahresfrist, dem Pontifex mit einer Correctio filialis ("kindlichen" Zurechtweisung) wegen des Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen oder den Evangelischen der Häresie zu zeihen, war im Vergleich zu den Anwürfen, die das "Zeugnis" des emeritierten Nuntius in den USA, Carlo Maria Viganò, auslöste, bestenfalls ein Nadelstich.

Im Wesentlichen kulminieren die Vorwürfe samt Rücktrittsaufforderung an den Papst durch Viganò in der Behauptung, Franziskus habe seit Jahren von den sexuellen Verfehlungen des Washingtoner Alterzbischofs Theodore McCarrick gewusst. Denn bereits Benedikt XVI. habe diesem verboten, in der Öffentlichkeit aufzutreten. Bis dato konnte diese Behauptung allerdings ebenso wenig verifiziert werden wie andere Anwürfe des Ex-Nuntius. Jedenfalls ist es in der jüngeren Kirchengeschichte ein unerhörter Vorgang, dass ein Erzbischof seinen Papst erstens der Lüge bezichtigt und zweitens ihn in die Wüste schicken will. Franziskus begegnet dem allen mit Schweigen, so sagte er in seiner Morgenpredigt am 3. September: "Mit Menschen, die keinen guten Willen haben, die nur Skandal suchen, die nur Spaltung suchen, auch in Familien, da braucht es Stille und Schweigen. Und es braucht das Gebet."

Kaum konservative Rückendeckung für Papst

Tatsächlich findet der Konflikt öffentlich vor allem in den USA statt, wo der konservative Kirchenflügel sucht, Oberwasser zu bekommen. Mit den Anwürfen, der Papst selbst sei Teil der Vertuschungskamarilla, hofft man, auch nicht als konservativ ausgewiesene Katholiken für diese Agenda einzuspannen. Und tatsächlich fordern auch"liberale" Stimmen - etwa der Jesuit Thomas Reese -Franziskus auf, sich zu den Vorwürfen zu äußern.

Auffällig bleibt, dass sich prononciert konservative Bischöfe in den USA keineswegs von Erzbischof Viganòs Vorwürfen distanzieren. Ganz im Gegenteil zeigten deren Stellungnahmen das gleiche Muster, nämlich kein Wort über Franziskus zu verlieren, aber Ex-Nuntius Viganò höchste Glaubwürdigkeit zu attestieren: "Ich kann bezeugen, dass er [Viganò, Anm.] ein Mann ist, der seine Mission mit selbstlosem Einsatz erfüllt hat [ ] und der das mit einem persönlich großen Opfer und absolut keinen Überlegungen in Bezug auf seine 'Karriere' getan hat -all das spricht für seine Integrität und aufrichtige Liebe für die Kirche." So lautete die Stellungnahme des Erzbischofs von San Francisco, Salvatore Cordileone. Die Wortmeldungen anderer Bischöfe -Joseph Strickland von Tyler/Texas, Robert Morlino von Madison/Wisconsin oder Erzbischof Charles Chaput von Philadelphia -waren dem Inhalt und nach ident. Chaput forderte den Papst dieser Tage überdies auf, die Bischofssynode zum Thema Jugend, die im Oktober in Rom tagen wird, abzusagen und stattdessen eine Synode über die Verantwortung der Bischöfe in Sachen Missbrauch einzuberufen.

Auch Thomas Olmsted, Bischof von Phoenix/Arizona, reihte sich ins Franziskus-Bashing ein. Olmsted erlangte eine USAweite Bekanntheit, als er in seiner Diözese Ministrantinnen verbot, oder er einem Ordenskrankenhaus die kirchliche Approbation entzog, weil der dortige Ethikrat im Fall einer lebensbedrohlichen Schwangerschaft für die Rettung der Mutter votiert hatte.

Die markanteste Stimme unter den wenigen, Franziskus unterstützenden Bischöfen war Robert McElroy aus San Diego, der Viganò ideologische Verzerrung vorwarf: "Die Verpflichtung zu umfassender Wahrheit wurde dem gezielten Angriff auf Feinde und der tendenziösen Verzerrung der Wahrheit untergeordnet", so McElroy: "Die Aussage von Erzbischof Viganò ist genau eine solche Verzerrung." Dieser Bischof beschuldigte Viganò auch des "Hasses auf Papst Franziskus und alles, was er gelehrt hat".

McElroy seinerseits war im "Zeugnis" von Viganò als Protegé von Franziskus und Angehöriger der Schwulenlobby gebrandmarkt worden, der überdies auch schon länger von den Vorwürfen gegen McCarrick gewusst habe. In ähnlicher Weise denunzierte der Ex-Nuntius Kardinal Blaise Cupich von Chicago Kardinal William Tobin von Newark sowie Kurienkardinal Kevin Farrell -die allesamt von Franziskus ernannt wurden.

Franziskus hatte McCarrick Ende Juli dazu gebracht, sein Kardinalsamt aufzugeben und sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Das war die erste dokumentierte kirchliche Maßnahme gegen den Alterzbischof von Washington. Dass eben Franziskus diese angeordnet hatte, wurde von Viganò und seinen Unterstützern nicht gewürdigt. Und dass Papst Johannes Paul II. McCarrick zum Erzbischof und zum Kardinal gemacht hatte, wurde gleichermaßen heruntergespielt. Allenfalls ließen Viganò und konservative Kommentatoren anklingen, dass Johannes Paul II. das alles eigentlich nicht mehr mitgekriegt habe, weil er zu alt und krank gewesen sei -was so aber auch nicht stimmen kann, wurde McCarrick doch schon 2000 Erzbischof von Washington, als Johannes Paul II. keineswegs zu schwach und zu krank war.

Konservatives Narrativ, die Kirche zu retten

Ein Kommentator wie Michael Sean Winters, Redakteur der liberalen US-Wochenzeitung National Catholic Reporter, fragt, ob die Vorgänge der Beginn des "EWTN-Schismas" seien. EWTN ist ein US-und weltweites konservativ-katholisches TV-Netzwerk, in dessen Dunstkreis die Affäre Viganò begann. Der Ex-Nuntius veröffentlichte sein "Zeugnis" in dem zu EWTN gehörenden Print-und Online-Medium National Catholic Register, das zu den führenden Anti-Franziskus-Plattformen gehört. Winters nennt auch Verbindungen zur katholischen Rechten innerhalb der Republikanischen Partei, die gegen Franziskus' Agenda zu Felde zieht. Der Papst sucht die bislang strikt auf die Bekämpfung der Abtreibung gerichtete katholische Pro-Life-Bewegung dahingehend zu verändern, dass nicht nur ungeborene Leben, sondern auch die Geborenen in den Blick genommen werden. Genau dagegen sträuben sich die rechten Katholiken, wo sie nur können.

Der Papst hat somit einen mächtigen und gefährlichen Gegner, der im Trump-Amerika politisch an Boden gewonnen hat. Gefolgsleute des Papstes wie eben Cupich, Tobin oder McElroy sind, das zeigen die lauen bis harschen Reaktionen der meisten US-Bischöfe nach der Veröffentlichung der Auslassungen von Viganó, eine bischöfliche Minderheit.

Derweil strickt die Internationale des katholischen Konservativismus am Narrativ, die Kirche zu retten. Der italienische Journalist und Papstkritiker Marco Tosatti, der angab, das Viganò-Papier medienwirksam aufgepeppt zu haben, beschrieb das Ende seines Treffens mit dem Ex-Nuntius so: Als er Viganò zur Tür begleitet habe, habe er ihm den Ring geküsst, erzählte Tosatti gegenüber der Associated Press: "Viganò versuchte zu sagen: Nein. Ich antwortete: Das ist nicht für Sie, sondern dafür, welche Rolle Sie nun spielen." Und Tosatti weiter: "Er sagte nichts mehr. Und er ging. Aber er weinte."

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