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Die Kirche vor dem Umsturz

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dieFurche: Herr Bischof, was empfinden Sie zur Zeit gegenüber der römisch-katholischen Kirchenleitung? Ist es Verbitterung, Enttäuschung ...? Bischof Jacques Gaillot: In meinem Herzen hatte ich niemals Bes-sentiments oder Haß gegen die Kirche. Mit Bitterkeit im Herzen lebt man schlecht. Was ich am Evangelium so liebe, ist, daß Jesus nie eine verhärtete Haltung eingenommen hat; und ich glaube, daß es wichtig ist, auch weiter zu lieben. Also ich attackiere weder den Papst, noch die Bischöfe, noch die Kirche. Ich kämpfe ohne Gewalt, weil ich glaube, daß die einzige Kraft die der Liebe und der Wahrheit ist. Und danach versuche ich zu leben.

dieFurche: Halten Sie es für möglich, daß Sie eines Tages rehabilitiert werden

gaillot: In Frankreich bin ich rehabilitiert, zumindest in der Öffentlichkeit. Für die Christen, vor allem in Evreux (die frühere Diözese von Bischof Gaillot, Anm. d. Bed.), wäre eine solche Behabilitierung etwas sehr Wichtiges. Für mich - nun ja, vielleicht auch; aber ganz besonders für sie. Aber aus der Geschichte weiß ich, daß die Kirche ein Urteil nicht zurücknimmt - oder vielleicht 500 Jahre später. Ich mache mir da keine Illusionen.

diefurche: Wie erklären Sie sich, daß der jetzige Papst eigentlich sehr „gespalten " ist? Er ist auf der einen Seite einer der ganz großen Prediger für Gerechtigkeit und Menschenrechte. Und er vertritt andererseits in Fragen der Moral, vor allem der Sexualmoral, sowie in Angelegenheiten der kirchlichen Hierarchie sehr strikte und konservative Positionen Gaillot: Das ist richtig. Der Papst ist sehr menschlich, er verteidigt die Menschenrechte, wo immer er kann. Aber zugleich verfolgt er die Strategie, daß die katholische Kirche stark sein muß. Und bei der Sexualität ist es wirklich so, daß das ein großes Problem für die Kirche darstellt. Ich habe nie verstanden, wieso es innerhalb der Kirche bei Fragen der Sexualität eine derartige Polarisierung gibt. Im Evangelium wird die Sexualität von Jesus nur ganz selten angesprochen. Viel wichtiger sind dort etwa die Fragen des Geldes, des Beichtums.

DIeFuhchE: Das sind ja auch Fragen, auf die Johannes Paul II. immer wiedereingeht Er kritisiert die Auswüchse des Kapitalismus, des Neoliberalismus ...

gaillot: Auch seine Kritik am Neoliberalismus kann den Papst stärken. Den Neoliberalen ist es ganz recht, wenn man ein bißchen moralisiert und sagt: Ihr dürft da und dort nicht zu weit gehen. Ich finde, daß die Kir-

che gegenüber dem Kommunismus eine sehr strenge Haltung eingenommen hat; aber gegenüber dem Neoliberalismus hat sie nicht so eindeutig Position bezogen. Aber ich glaube, daß dies der Hauptfeind der Menschen ist, der den ganzen Planeten regiert. Und vielleicht trägt die Kritik der Kirche sogar noch zur Stärkung dieses Systems bei. Letztlich greift die Kirche den Kapitalismus ja nicht wirklich an.

dieFurche: Also die diesbezügliche Kritik aus dem Vatikan ist Ihnen zu schwach?

GailloT: Ja, sie ist nicht so stark, daß das ganze System dadurch in Frage gestellt würde. Früher gab es einen eindeutigen Feind, den Kommunismus - aber jetzt ist alles anders. Man muß sich einmal überlegen, was die Strategie des Vatikans seit dem Fall der Berliner Mauer ist. Vielleicht will man versuchen, im Westen wieder mehr Fuß zu fassen, wo es doch schon Anzeichen von Dekadenz und eines gewissen Rückschritts gegeben hat. Mit dem Fall der Mauer sind die Dinge jedenfalls viel komplizierter geworden; vorher war alles relativ einfach und klar.

dieFurche: Sie haben einmal gesagt

„Mir wäre es lieber, wenn der Papst nur Nachfolger des Petrus und nicht auch ein Staatsoberhaupt wäre." Ist das Problem, das Sie damit angesprochen haben, nicht vielmehr eines der Kirche als Institution? Würde sich tatsächlich etwas ändern, wenn der Vatikanformell kein Staat, der Papst kein Staatsoberhaupt mehr wäre? Ist Kirche nicht als Institution automatisch immer auch ein politischer Machtfaktor? Gaillot: Diese Frage stelle auch ich mir. Staat, Staatsoberhaupt - das ist ein Ergebnis der Geschichte. Aber ich glaube, solche Dinge können sich ändern, das ist auch das Wesen einer Institution. Ich habe auch keine Lösung anzubieten, und ich glaube, daß ich diese Veränderungen nicht mehr erleben werde. Doch wenn man das Evangelium als Maßstab heranzieht, dann, so denke ich, muß man anders handeln. Man muß die Einfachheit des Evangeliums wiederfinden.

diefurche: Aber gäbt es das Evangelium „pur"? Ist nicht Religion immer auch Politik? Und auch, wenn man in die Geschichte zurückblickt: am Anfang stand der Streit zwischen Petrus und Paulus, schon dort waren Machtfragen im Spiel, ging es um die Durch-

setzung von Interessen gaillot: Ich glaube, man kann von einer idealen Kirche nie träumen. Aber wir sind doch dazu aufgerufen, in unseren heutigen westlichen Gesellschaften dem Evangelium aufs neue Gehör zu verschaffen. Und das ist etwas sehr Spannendes: wir müssen hier neue Wege finden und dürfen uns dabei nicht nur auf Macht konzentrieren. Die Kirche soll nicht zum Selbstzweck werden, sie soll dem Menschen dienen. Die Kirche ist für die anderen gemacht, für das Leben der Menschen, für deren Wohlergehen. Wenn die Kirche nicht befreien kann, wozu ist sie dann überhaupt da? Was ich auch am Evangelium sehr mag, ist, daß Jesus sich dafür eingesetzt hat, daß die Menschen sie selbst bleiben - Männer und Frauen, daß sie selbst ihre Entscheidungen treffen.

diefurche: Wie müßte in den west-lich-industrialisierten Ländern die Kirche des dritten Jahrtausends aussehen - umgeben von weltanschaulichem Pluralismus, von Indifferenz, ohne klare ideologische Feindbilder? gaillot: In erster Linie geht es darum, daß sich die Kirche mit den Ausgegrenzten solidarisch erklärt. Die Kirche muß dort sein, wo die Menschen leiden. Dann wird auch die Kirche gesund und stark werden. Die Kirche muß auch Freiraum bieten, wo man dem Leben Sinn geben kann. Wir leben in einer Gesellschaft, wo der Sinn bisweilen abhanden kommt - der Sinn des Lebens, des Todes, der Zukunft. Und die Kirche muß solchen Sinn anbieten können. Denn der Mensch läßt sich nicht auf wirtschaftliche Prinzipien reduzieren. Man hat ja schon festgestellt, daß die Konsumgesellschaft den Menschen nicht glücklicher macht.

diefurche: Könnte es sein, daß der jetzige harte Kurs, den Rom steuert, das letzte Rückzugsgefecht eines Systems ist, das in dieser Form zum Untergang verurteilt ist? Vm Hans Küng stammt das Wort, der Vatikan sei das letzte europäische Land, das Perestrojka und Glasnost noch vor sich habe ... gaillot: Ich glaube, es bereiten sich große Umwälzungen vor. Sie werden aber nicht aus Bom kommen, sondern aus der Kirchengemeinde selbst. Man kann die Flut nicht aufhalten. Autorität und Demokratie in der Kirche werden ganz anders funktionieren. Ich weiß nicht, wie das passieren wird und wann - aber es wird passieren. Es hat immer in der Kirche solche Umstürze gegeben; ich habe den Eindruck, daß wir momentan gerade dabei sind, in eine neue Welt hineinzu-stolpern.

Mit dem amtsenthobenen Bischof von Evreux

sprach Rudolf Mitlöhner.

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