Die Nacht war vorgedrungen

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Am 10./11. Dezember sind es 60 Jahre, dass Jochen Klepper mit seiner Familie in den Tod ging, um der Deportation ins KZ zu entgehen. In beiden großen Kirchen zählen die Lieder Kleppers zu den Schätzen geistlicher Dichtung.

Wenn sie das vorhatten, war es höchste Zeit", sagte der Uniformierte angesichts der drei Toten auf dem Fußboden der Küche des Hauses Teutonenstraße 23 in BerlinNikolasee, Jochen Kleppers, seiner Frau Hanni und der Stieftochter Renate. "Den beiden Frauen haben wir noch die Hände falten können. Bei ihrem Bruder ging das nicht mehr, die Arme waren schon zu steif." So erinnert sich Kleppers Schwester Hildegard.

Protestantisches Pfarrhaus

Jochen Klepper wird am 22. März 1903 als drittes Kind und erster Sohn von fünf Geschwistern im Pfarrhaus zu Beuthen an der Oder geboren. Der Vater, Pfarrer, herrnhutisch geprägt, ist nicht unvermögend, der Mutter, Katholikin, im Kloster erzogen und erst durch die Heirat evangelisch geworden - als gebildet und elegant wird sie beschrieben - verdankt er wohl seine künstlerische Neigung. Nach unbeschwerter Kindheit und diffizilerer Jugendzeit nimmt er 1922 ein Theologiestudium auf, zunächst in Erlangen, dann in Breslau. Sein Lehrer ist hier, neben anderen, vor allem der Systematiker und Lutherforscher Rudolf Hermann, mit dem er bis zu seinem Tod verbunden bleibt.

Psychosomatische Störungen nötigen ihn, das Studium aufzugeben. Es folgt zunächst seit 1927 eine journalistische Tätigkeit beim Evangelischen Presseverband in Breslau, als Rundfunkredakteur, als freier Schriftsteller und der Eintritt in die SPD, die er jedoch 1932 wieder verlässt. März 1931 heiratet er die 13 Jahre ältere Jüdin Hanna, Witwe des jüdischen Rechtsanwalts Stein. Sie bringt zwei Töchter mit in die Ehe, Brigitte und Renate (Reni). Diese Eheschließung bringt aber auch zugleich den Bruch mit dem Elternhaus. Eine Versöhnung mit dem Vater gelingt bis zu dessen Tode nicht, mit der Mutter, der er sich ja besonders nahe fühlt, 1936 nur halbherzig.

Beklemmende Zeugenschaft

März 1932 übersiedelt die Familie in den Villenvorort Berlin-Südende und für Klepper beginnt die langwierige Suche nach einem Verlag für seine Oder-Erzählung "Der Kahn der fröhlichen Leute", die im Juni 1933 in der Deutschen Verlagsanstalt erscheint; es beginnen aber auch die Tagebücher, die er bis zu seinem letzten Tage fortführen wird - ein "Dokument ungesuchter, oft beklemmender Zeugenschaft des Ungeheuren", so der evangelische Theologe Heinrich Assel.

Und der katholische Schriftsteller und Denker Reinhold Schneider schreibt: "Und doch wird nur das Tagebuch des letzten kampferfüllten Lebensabschnittes vorgelegt, der Bericht von der Heraufkunft und dem Ablauf einer Katastrophe - und zwar eines Menschen wie eines Volkes -, die Klepper, erliegend, in einen Sieg verwandelt hat, der Liebe, der Treue, des Glaubens. Alles Bedeutende, das wir von ihm besitzen, ist mit seinem herben Geschick verkettet ... Als die wichtigste Aussage der Tagebücher hätte Jochen Klepper ohne Zweifel die für fast jeden Tag, für jedes Jahr ausgewählten oder ihm geschenkten Worte der Schrift angesehen."

Das Jüdische hat in meinem Leben zu weiten und tiefen Raum, als dass ich jetzt nicht in all dem Guten, das immer noch über meinem eigenen Leben reichlich bleibt, sehr leiden müsste. Denn mir ist, als gäbe die Heilsgeschichte der Juden der Weltgeschichte den Sinn . (Tagebücher, 27. März 1933)

Inzwischen ist ja Hitler Reichskanzler! Am 7. Juni 1933 wird Klepper aus seiner Tätigkeit am Rundfunk als Assistent der "Funkstunde" entlassen, statt dessen Ullstein-Verlag - aber 1935 auch hier die Entlassung. Es beginnt ein Kampf um Aufnahme und Verbleib als Mitglied der Reichsschrifttumskammer - bis hin zu einem Brief an Goebbels -, was September 1937 zu einer "jederzeit widerruflichen Sondergenehmigung zur schriftstellerischen Tätigkeit" unter Vorlage jedes Manuskripts vor der Veröffentlichung führt.

Im gleichen Jahr erscheint sein zweiter Roman "Der Vater", die Geschichte König Friedrich Wilhelms I. von Preußen, des Soldatenkönigs - dessen Erfolg ihn immer wieder überrascht, sogar Pläne zu einer Verfilmung sind im Gespräch - und 1938 das "Kyrie", eine Sammlung von 29 geistlichen Liedern.

"... wer zur Nacht geweinet"

"Als ich die Treppe heraufkam, standen Jochen und Hanni etwas ängstlich da. Du hast so schwere Schritte; wir dachten schon, es sei die Gestapo", berichtet Hildegard Klepper. Im GründonnerstagsKyrie heißt es: Im Garten draußen bricht ein Ast, fällt einer schon des Kreuzes Stamm! Diese Lieder sind persönlich erfahren, erlitten - auch wer zur Nacht geweinet (so eine Zeile aus Kleppers Adventlied "Die Nacht ist vorgedrungen") - sind in tormentis scripsit (in Qualen geschrieben, Karl Pagel) - das macht ihr Gewicht aus und Jochen Klepper zum bedeutendsten Kirchenliederdichter des 20. Jahrhunderts, macht sie "zum unaufgebbaren Bestand der in unserer Sprache singenden Christenheit" (so der Kirchenhistoriker Joachim Mehlhausen). Die Reichsschrifttumskammer aber wandte sich "gegen die knechtische Haltung" darin, "wie sie der neue Geist bekämpft" (Tagebücher, 12. Jänner 1938). Klepper beginnt Vorarbeiten zu einem Roman über Katharina von Bora, Martin Luthers Frau.

Bild des Segnenden Christus

Frühjahr 1939 emigriert die Tochter Brigitte nach England, die Jüngere Reni soll ihr später folgen. Doch mit dem Ausbruch des Krieges wird dies zum verzweifelten Kampf um die Ausreise der - je länger desto mehr - Deportationsgefährdeten, denn seit September 1940 ist sie zwangsarbeitsverpflichtet und ab 1941 muss sie den Judenstern tragen.

Doch ab Dezember 1940 ist Klepper Soldat, macht den Vormarsch auf den Balkan und den Einmarsch in die Ukraine mit, wird aber am 22. September 1941 entlassen, "wehrunwürdig" wegen der Ehe mit einer Jüdin. 1938 hatte sich Hanni taufen lassen und sie wurden kirchlich getraut, 1940 erbat auch Reni die Taufe. Kleppers Bemühungen nach der Rückkehr sind jetzt fast ausschließlich darauf gerichtet, für die Tochter eine Ausreisegenehmigung zu erhalten. Am 17. November 1941 trägt er ins Tagebuch ein: Wir sind einen großen Schritt weiter. Wie jeden Abend ... hat Renerle uns berichtet, was im Betrieb sich ereignete. Dabei sagte sie, dass die 18-jährige Elisabeth A. und sie entschlossen wären, sich im Falle der Deportation das Leben zu nehmen. So war es nicht so quälend für uns. So wollen wir, tritt das Schreckliche ein, und vermag kein Frick noch sonst jemand es abzuwenden, uns drei mit Gas vergiften. Einen Augenblick freilich weinte Renerle sehr ..."

Und dann am 5. Dezember - fast schon wider alles Erwarten - die Einreiseerlaubnis nach Schweden. Doch der Innenminister Frick kann die Ausreise einer Jüdin nicht genehmigen, nur das Reichssicherheitshauptamt. Am 10. Dezember, 15 Uhr, ist Klepper bei SS-Hauptsturmführer Adolf Eichmann. Eine Ausreisegenehmigung wird nicht erteilt.

Wir sterben nun - ach, auch das steht bei Gott.Wir gehen heute nacht gemeinsam in den Tod, Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben. (Tagebücher, 10. Dezember 1942)

Seine Hoffnung aber hat er ausgedrückt in der letzten Zeile seines Adventsliedes "Die Nacht ist vorgedrungen", das im Evangelischen Kirchengesangbuch und im katholischen "Gotteslob" nachzulesen ist.

Die Nacht war vorgedrungen ...

Der Autor ist emeritierter Professor für Kirchengeschichte an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

Buchtipp

Von Klepper bis Lorenz

Am 22. März 2003 jährt sich der Geburtstag von Jochen Klepper zum 100. Mal. Ein Lebensbild des evanglischen Dichters findet sich daher auch im Band "Unvergessen - Gedenktage 2003", in dem Kurzbiografien bedeutender Persönlichkeiten, die 2003 einen "runden" Jahrestag haben, gesammelt sind - neben Klepper unter anderem Konrad Lorenz (100. Geburtstag), Martin Buber und Clemens August Graf von Galen (125. Geburtstag), Vincent van Gogh (150. Geburtstag), Golda Meïr (25. Todestag), Klopstock und Herder (200. Todestag), Bernhard von Clairvaux (850. Todestag).

UNVERGESSEN - GEDENKTAGE 2003

Hg. von Kurt Rommel. Quell/Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2002

144 Seiten, TB, e 10,30

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