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Erika Weinzierl: Visionärin und Gewissen

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Anfang Juni hätte Erika Weinzierl (1925-2014), Kämpferin gegen jede Judenfeindschaft, ihren 90. Geburtstag begangen. Eine jüdische Hommage an die große Katholikin.

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Anfang Juni hätte Erika Weinzierl (1925-2014), Kämpferin gegen jede Judenfeindschaft, ihren 90. Geburtstag begangen. Eine jüdische Hommage an die große Katholikin.

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Erika Weinzierl hätte am 6. Juni ihren 90. Geburtstag gefeiert. Sie war die Doyenne der österreichischen Geschichtsschreibung, eine Wissenschaftlerin von hohem Rang und eine der wichtigsten moralischen Instanzen der 2. Republik. Als aufrichtige und oft unbequeme Mahnerin hat sie unerschrocken, unbeirrbar und unbestechlich zu wichtigen tages- und gesellschaftspolitischen Fragen in Österreich klar Stellung bezogen. Den Luxus, im Elfenbeinturm der Gelehrsamkeit passiv zu verharren, lehnte sie kategorisch ab.

In der Auseinandersetzung Kreisky - Wiesenthal stand sie auf der Seite von Wiesenthal. Sie kritisierte aufs Schärfste Wolfgang Schüssel, als dieser ein Bündnis mit Haider anstrebte. Ihrer intellektuellen Redlichkeit und moralischen Aufrichtigkeit widerstrebte der Zynismus des politischen Alltags, Zweckallianzen aus Machtgier einzugehen.

Sie wurde 1925 als Erika Fischer in Wien geboren; ihr Vater war Sozialdemokrat, Schulinspektor und dezidierter NS-Gegner. Die Mutter fühlte sich der Monarchie verbunden, da deren Vater als k.u.k.-Oberst diente.

Erika Weinzierl maturierte 1943 im Gymnasium Rahlgasse in Wien VI. Dort hatte sie 1938 nach Hitlers Einmarsch Demütigungen und Verfolgung ihrer jüdischen Mitschülerinnen erlebt. Sie wurde Augenzeugin, wie Wiener Juden gleich Vieh auf Lastwägen zum Aspanger Bahnhof gebracht wurden. Das hat sie für immer geprägt.

Vom Augenzeugnis geprägt

Sie verabscheute den Nationalsozialismus zutiefst. Sie schloss sich einem Kreis von gleichgesinnten jungen Menschen um den Seelsorger Karl Strobl in der Peterskirche an. Aus dieser Zeit stammt ihre Freundschaft mit Kurt Schubert, Hans Tuppy und Ursl Just. In den letzten Kriegswochen war der Keller der Familie Just in der Ebendorferstraße 6 Treffpunkt und Versteck dieser jungen Menschen. Dr. Just, der Vater von Ursl, die später Kurt Schubert heiratete, war im steirischen Widerstand und hatte seine Stellung im Landtag verloren. Kurt Schubert entzog sich seiner Einberufung zum Volkssturm und war in diesem Keller versteckt. Die Niederlage der Nazis in Wien war für diese Menschen tatsächlich eine echte Befreiung -im Gegensatz zu den meisten anderen Österreichern, die im alliierten Sieg eine Niederlage sahen und nur vom Zusammenbruch sprachen.

Der Freundeskreis begann sofort mit Aufräumarbeiten an der Universität, die in der Nähe der Wohnung der Familie Just gelegen ist. Nach dem Schrecken der NS-Zeit waren diese jungen Menschen vom Wunsche beseelt, die Zukunft des Landes mitzugestalten.

Am 1. Mai 1945 konnte Kurt Schubert die Universität wieder aufsperren. Die Ebendorferstraße 6 war der erste Ort der Katholischen Hochschulgemeinde, deren Mentoren Karl Strobl und Otto Mauer waren. In der 2. Republik wurde Kurt Schubert Ordinarius für Judaistik, Hans Tuppy Ordinarius für Biochemie und Präsident der Akademie der Wissenschaften und Erika Weinzierl Ordinaria für österreichische Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte -zuerst in Salzburg und dann in Wien. Sie hatte diese Position nur aufgrund ihrer intellektuellen Fähigkeiten, ihres Fleißes und ihres unermüdlichen Engagements erworben. Nach einem Wort von Marie von Ebner-Eschenbach heißt es: "Eine gescheite Frau hat Millionen geborener Feinde: alle dummen Männer".

Erika Weinzierl, die 1948 als Erika Fischer den Physiker Peter Weinzierl geheiratet hatte, bildete diesbezüglich keine Ausnahme.

Sie schuf ein umfangreiches wissenschaftliches Œuvre. Angeregt durch Otto Mauer publizierte sie 1963 in der Zeitschrift Wort und Wahrheit erstmals übers Verhältnis von österreichischen Katholiken zum Nationalsozialismus.

Klostermann - Mauer - Strobl

Bestärkt wurde sie darin auch vom Pastoraltheologen Ferdinand Klostermann, dem ehemaligen Sekretär des Linzer Bischofs Johannes Maria Gföllner. Dieser hatte in seinem Hirtenbrief 1933 erklärt: "Man kann nicht gleichzeitig guter Katholik und Nationalsozialist sein". Klostermann wurde 1942 als NS-Gegner ein Jahr lang inhaftiert und dann "gauverwiesen".

Mauer und Klostermann hatten auf die Themenwahl von Erika Weinzierl großen Einfluss: Katholischer Antisemitismus, Verfolgung der Juden während der NS-Zeit und Versagen der Kirchen. Ihr Buch "Zu wenig Gerechte"(1969) hatte große Wirkung, da es nachwies, dass es dennoch Menschen gegeben hatte (wenn auch nur eine Minderheit), die sich dem mörderischen Rassenwahn der Nationalsozialisten widersetzt und Juden unter Lebensgefahr geholfen und gerettet hatten.

Sie hat mehrere Generationen österreichischer Historiker herangebildet und durch ihr öffentliches Wirken noch vor der "Waldheim-Affäre" ein Umdenken in der österreichischen Gesellschaft bezüglich Nationalsozialismus und Antisemitismus bewirkt.

Für Erika Weinzierl war die Beschäftigung mit der Geschichte des Antisemitismus ein Zentralthema. Der kirchliche Antijudaismus ist und war der Nährboden für alle Formen der Judenfeindschaft. Das NS-Regime konnte sich auf die 2000-jährige Entrechtungsgeschichte der Juden durch die Kirche stützen. Der von der Kirche erhobene Vorwurf, Christus getötet zu haben, hat die Juden zum ewigen Feindbild erklärt und führte direkt zum NS-Massenmord.

Bahnbrechendes II. Vatikanum

Aus Erika Weinzierls Überzeugung war es daher absolut notwendig, diese seit 2000 Jahren inszenierte Ikonographie der Gewalt im Namen der Religion zu beseitigen. Sie forderte unermüdlich und unerschrocken eine weltoffene Kirche, wie sie Johannes XXIII. in seinem "aggiornomento" konzipiert hatte. Erika Weinzierl betonte die überragende Bedeutung von Johannes XXIII. durch die Einberufung des 2. Vatikanums und durch dessen spezifisches Engagement für das christlich-jüdische Verhältnis.

Dass das Konzil in der Erklärung "Nostra aetate" eine bahnbrechende Neubestimmung des Verhältnisses der katholischen Kirche zum Judentum und eine Abkehr vom christlichen Antijudaismus vollzog, war nicht zuletzt Kardinal Franz König, dessen Erika Weinzierl und Kurt Schubert waren.

"Nostra aetate" stellte eine historische Zäsur in der Geschichte der katholischen Kirche dar. In aller Deutlichkeit wurde festgehalten, dass "die tiefe und unlösliche Verbindung im gemeinsamen spirituellen Erbe zwischen Kirche und Synagoge bestehe". In einem Schuldbekenntnis hat die katholische Kirche um Vergebung gebeten für ihre mit dem Übel des Antijudaismus und Antisemitismus verbundene Schuld. Der Vorwurf des Gottes-Mordes sowie die Verwerfung des Volkes Israel wurden für null und nichtig und als Irrtum der Kirche erklärt.

Durch ihre Mitarbeit - gemeinsam mit Kurt Schubert - bei Kardinal König hat auf diese Weise auch Erika Weinzierl maßgeblich zum Zustandekommen von "Nostra aetate" beigetragen. In einigen Gesprächen hat Rabbiner Meir Koffler, der in Wien im christlichjüdischen Dialog eine große Rolle gespielt hat, auf dieses Wirken hingewiesen. Für Erika Weinzierl als unermüdliche Kämpferin gegen Antisemitismus hatte diese Zusammenarbeit mit Kurt Schubert als wichtigen Berater von Kardinal König eine tiefe innere Befriedigung.

Damit ist das Diktum des emeritierten Wiener Weihbischofs Helmut Krätzl über Erika Weinzierl zutreffend, als er meinte: "Sie war eine Historikerin, die ihrer Zeit weit voraus war."

Erika Weinzierl hat lebenslang Zivilcourage, innere Würde und geistige Unabhängigkeit gezeigt. Sie war Gewissen der Nation und als Historikern eine Visionärin.

Der Autor, Jg. 1944, überlebte die Schoa als Baby in Wien und wirkte viele Jahre als Arzt

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