Mumic Nemina - © Foto: APA / Georg Hochmuth

Für Gleichstellung von Frauen in der Islamischen Glaubensgemeinschaft

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Nach dem Rücktritt von Fatma Akay-Türker, der einzigen Frau im Obersten Rat der Islamischen Glaubensgemeinschaft, gärt es in der muslimischen Community – insbesondere bei den Jungen. Ein Gastkommentar von Nermina Mumic.

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Nach dem Rücktritt von Fatma Akay-Türker, der einzigen Frau im Obersten Rat der Islamischen Glaubensgemeinschaft, gärt es in der muslimischen Community – insbesondere bei den Jungen. Ein Gastkommentar von Nermina Mumic.

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Der öffentliche Rücktritt des einzigen weiblichen Mitglieds des Obersten Rates der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ), Fatma Akay-Türker, ließ die Wogen in der muslimischen Community hochgehen. Wie es auch sonst bei öffentlicher Kritik zum guten Ton gehört, gesteht die IGGÖ medial Versäumnisse ein und verspricht Besserung. Aber auch die beste mediale Inszenierung kann nicht über den Stillstand hinwegtäuschen, wenn es nach einigen Tagen zurück zum business as usual geht – bis zur nächsten öffentlichen Kritik.

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Als religiöse Menschen müssen wir völlig nüchtern feststellen: Es ist in religiösen Communitys nicht anders als überall sonst in der Gesellschaft auch: Frauen opfern ihre Zeit und Energie für das Wohl anderer, leisten soziale und gesellschaftlich notwendige Arbeit – und erhalten als Trägerinnen von Leistung nicht die verdiente Anerkennung und Würdigung. Religiöse Gemeinschaften bleiben für gewöhnlich sogar „vorsichtigerweise“ einige Schritte hinter gesellschaftlichen Entwicklungen zurück: Das verstaubte und frauenfeindliche Image von Religionen haben wir Männern in religiösen Strukturen zu verdanken, die sich dagegen wehren, Frauen als gleichberechtigte Menschen anzuerkennen – und stattdessen Gottes Buch zu einem Unterdrückungsinstrument umfunktioniert haben.

Keine „Nestbeschmutzung“

Die Muslimische Jugend Österreich wurde als Antwort auf genau diese Missstände gegründet: Junge Menschen und ganz besonders Frauen wollen sich nicht mehr auf ethnisch und geschlechtsspezifisch segregierte religiöse Räume einschränken lassen, in denen patriarchale und traditionelle Rollenbilder reproduziert werden. Eine neue Generation von jungen Musliminnen und Muslimen steht in vielen Punkten diametral zu alten, überholten Traditionen und Wertvorstellungen.

Unser diesjähriger Schwerpunkt „Frauen und Geschlechtergerechtigkeit“ ist nicht das erste Thema, dem wir uns selbstkritisch zuwenden. Auch dieses Mal scheuen wir uns nicht, den Finger in die Wunde zu legen. Denn Fortschritt und Wachstum bedingen einen kritischen Blick in den Spiegel. Wenn wir die IGGÖ kritisieren, dann deshalb, weil sie uns wichtig ist. Leider sehen wir aktuell nicht, dass sie die Anliegen von muslimischen Frauen ernst nimmt.

Das verstaubte und frauenfeindliche Image von Religionen haben wir Männern in religiösen Strukturen zu verdanken, die sich dagegen wehren, Frauen als gleichberechtigte Menschen anzuerkennen.

Eine Vertretung, die diesen Namen verdient, muss sich die Fragen gefallen lassen: Wo sind die so wichtigen Maßnahmen zur Frauenförderung in Zeiten, in denen muslimische Frauen Hauptzielscheibe rassistischer und frauenfeindlicher Diskurse sind? Wo sind die sicht- und hörbaren Frauen der muslimischen Community? Welchen Stellenwert und welche Funktionen haben Frauen in der IGGÖ? Leider werden solche Anstöße nicht selten als „Nestbeschmutzung“ abgestempelt.

Wir möchten dem entgegenhalten: Unsere Kritik ist nicht neu. Zahlreiche Angebote zur Mitwirkung wurden nicht nur nicht angenommen, sondern höhnisch abgeschlagen oder ignoriert. Wir sind es leid, dass nur geantwortet wird, wenn öffentlich kritisiert wird. Eine verstaubte und starre Organisation, die jede kleinste Reaktion nur mit größtem Druck erzwingen lässt, hat keine Zukunft. Es ist erfreulich, wenn nun – unter medialem Druck und mit ein paar Schrammen – die IGGÖ ebenfalls frauenpolitischen Aufholbedarf verortet.

Was wir aber sicherlich nicht brauchen, sind langwierige „Veränderungs“-Prozesse und Arbeitsgruppen, die erörtern sollen, wie man die Repräsentanz von Frauen stärken kann. Es gibt zu diesem Thema genug Arbeitspapiere, die in den Schubladen dieser Welt verschwanden. Das wichtigste und einfachste Rezept liegt klar auf der Hand: die Hälfte der Macht, und zwar auf allen Ebenen. Wer gleichberechtigte Teilhabe von Frauen sicherstellen will, muss gleiche Möglichkeiten bieten. Die Besetzung wichtiger Posten mit Frauen auf untergeordneter Ebene mag noch so progressiv wirken, letzten Endes sind sie aber Befehlsempfängerinnen. Exklusive Männerrunden, die weiterhin die wichtigsten Entscheidungen treffen, können ungehindert weiterarbeiten. Das muss sich ändern. Das muss man aber auch wollen.

Eine fortlaufende Arbeit

Die Muslimische Jugend Österreich wurde 2006 bereits im nationalen „Bericht zur Lage der Jugend“ als Best Practice in puncto Gleichstellung und Frauenförderung angeführt. Für uns war es damals eine Bestärkung, dass wir mit unseren Ansätzen richtig liegen. Wichtig ist allerdings auch, dass Gleichstellung nicht von den handelnden Personen abhängig ist. Dem Beispiel der Bundesjugendvertretung folgend, haben wir eine geschlechterparitätische Besetzung aller Gremien auf allen Ebenen, geschlechtergerechte Sprache und eine fortwährende Frauenförderung in unseren Statuten festgeschrieben und nachhaltig verankert.

Gleichstellung ist keine punktuelle, sondern eine fortlaufende Arbeit.

Nach Jahrzehnten halten wir fest: Gleichstellung ist keine punktuelle, sondern eine fortlaufende Arbeit. Man kann an keinem Punkt aufhören und sich zufrieden zurücklehnen. Patriarchale Vorstellungen müssen immer wieder kritisiert werden. Immer wieder müssen wir erinnern, dass Gerechtigkeit – und damit auch Geschlechtergerechtigkeit – eine islamische Angelegenheit auf theologischem Fundament ist.

Frauen wenden sich heute aus ihrer religiösen Überzeugung heraus gegen das muslimische Establishment. Frauen wie Fatma Akay-Türker stellen sich mit ihrer Kritik nicht gegen ihre Religion, sondern aus ihrem religiösen Selbstverständnis heraus gegen männerdominierte, religiöse Strukturen. Viele junge Menschen – vor allem Frauen – fühlen sich von den veralteten Strukturen nicht repräsentiert und angesprochen: Sie wollen ihre Bedürfnisse und Anliegen nicht dem Wohlwollen älterer Herren überlassen.

Es sind die jungen Menschen, die für „Fridays For Future“ oder jüngst gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstrieren. Sie sind kritisch, kreativ und solidarisch. In einer Demokratie sind es genau
diese jungen Menschen mit Sinn für Gerechtigkeit und Gleichheit, die die Zukunft braucht. Es ist wichtig, sie als Chance und Ressource für Entwicklung und Veränderung zu sehen, anstatt sich von ihnen bedroht zu fühlen. Sie zu verlieren, birgt die Gefahr, diese Institution langfristig in die Bedeutungslosigkeit zu katapultieren. Sie zu gewinnen, ist die Herausforderung, vor der die IGGÖ steht.

Nermina Mumic

Nermina Mumic ist seit 2015 Bundesvorsitzende der Muslimischen Jugend Österreich. Sie forscht an der Technischen Universität Wien als PraeDoc im Bereich Machine Learning und hat 2019 ein Tech-Startup gegründet.

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