Kirche en marche?

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Es ist das Ende der kirchlichen Sakralmacht, das sich in der Entscheidung des Papstes im Fall Barbarin abzeichnet; präziser: aktuell vollzieht.

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Es ist das Ende der kirchlichen Sakralmacht, das sich in der Entscheidung des Papstes im Fall Barbarin abzeichnet; präziser: aktuell vollzieht.

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Der Missbrauchsgipfel der katholischen Kirche liegt inzwischen einen Monat zurück. Zeit durchzuschnaufen? Im Gegenteil. Immer neue Schreckensmeldungen führen die Kirche nicht nur an den Rand ihrer Belastbarkeit, sondern jeder Vertrauenswürdigkeit. Während aus Indien Berichte über den sexuellen Missbrauch von Nonnen durch Kleriker erschüttern, wurde der Erzbischof von Lyon, Kardinal Philippe Barbarin, wegen der Vertuschung von Missbrauchsfällen in erster Instanz zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Sein Rücktrittsgesuch lehnte der Papst ab.

Die Begründung ist rechtlich wie menschlich nachvollziehbar, aber als Signal fatal. Barbarin hat Berufung eingelegt. Formaljuristisch ist er bis zu einem endgültigen Urteil als unschuldig anzusehen. Angesichts der Tatsache, dass sich das Gericht auch über das Votum des Staatsanwalts hinweggesetzt hat, der für unschuldig plädierte, muss der Ausgang des Verfahrens als offen betrachtet werden. Der Papst wollte mit der Annahme des angebotenen Rücktritts kein Präjudiz schaffen. Aber er hat auch nicht die Aussetzung des kirchlichen Vorgangs verordnet. Der Kardinal zieht sich bis Prozessende auf eigenen Willen zurück.

Korrupte Eigendynamik

Für die betroffenen Missbrauchsopfer ist dieser Vorgang der folgerichtige Ausdruck eines kirchlichen Schutzsystems, in dem nach wie vor die Sorge für die Täter und Vertuscher vor den Rechten der Opfer rangiert. Ist am Ende aber auch Kardinal Barbarin ein Opfer falschen Verdachts, wenn er frei gesprochen werden sollte? Die Frage macht das systemische Problem des katholischen Missbrauchs deutlich. Die korrupte Eigendynamik der kirchlichen Sakralmacht zersetzt alles, weil auch ihr sakramentaler Code alles betrifft. Es geht darin um die Heiligung des Lebens. In den Sakramenten vermittelt sich zeichenhaft die unbegrenzte schöpferische Lebensmacht Gottes, die Menschen gerade in der Verletzbarkeit, Brüchigkeit, Endlichkeit ihrer Existenz gilt. Was sich tödlich auswirkt, wird im Licht des Evangeliums auf neue Lebensoptionen umgestellt. Was Jesus von Nazaret gelebt und verkündet hat, nimmt in den sakramentalen Handlungen der Kirche und in ihrer priesterlichen Vermittlung eine konkrete Erfahrungsform an. Was das Allerheiligste förmlich repräsentiert, zieht eine Macht und eine sakrale Aura an, die Vertrauen ermöglicht und ihren Missbrauch umso leichter und durchschlagender macht.

Es ist der Kollaps des Vertrauens, der sich in der Enttäuschung über die misslungene Rede von Franziskus zum Abschluss der römischen Beratungen und im Entsetzen der Missbrauchsopfer über die Entscheidung des Papstes im Fall Barbarin spiegelt. Es ist das Ende der kirchlichen Sakralmacht, das sich hier abzeichnet; präziser: aktuell vollzieht. Der Vertrauensverlust funktioniert dabei mit derselben systemischen Konsequenz, mit der die Selbstsakralisierung von Klerikern als Kaste und im Habitus selbstverständlicher Amtsvollmachten betrieben wurde. Was über Römerkragen und Talar die Erkennbarkeit nach außen anzeigen soll, wirkt als privilegierte Uniformierung eines Standes, der sich nicht im, sondern vom Volk Gottes abhebt -als Stand mit Sonderrechten. Entsprechend ist das Schlimmste, was priesterlichen Tätern wie Mr. McCarrick droht -die Laisierung. Auch wenn das Kirchenrecht diese Rückversetzung anders formuliert, in der Sache und in der allgemeinen Auffassung wird hier ein kirchlicher Vorgang objektiv.

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