Trauung für alle? - © Foto: iStock / DGLimages

Kirchlicher Segen auch für nicht-heterosexuelle Paare?

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Rote Linien im liturgischen Buch: Abseits von kirchenrechtlichen und theologischen Festlegungen könnten die liturgischen Vorgaben den Spielraum für Paare aller sexuellen Orientierungen erweitern.

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Rote Linien im liturgischen Buch: Abseits von kirchenrechtlichen und theologischen Festlegungen könnten die liturgischen Vorgaben den Spielraum für Paare aller sexuellen Orientierungen erweitern.

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Natürlich muss man die LGBT+ Menschen*) selbst dazu hören, was sie wollen; ob sie an einer Feier, die der kirchlichen Eheschließung ähnlich ist, Interesse haben, und ob sie analoge kirchenrechtliche Konsequenzen dieser Feier einrichten wollen. Vielleicht wollen sie Sinn und Gestalt ihrer Partnerschaften gerade nicht in strenger Analogie zur katholischen Ehe entwerfen. Wenn sie die längst fällige Würdigung ihrer Lebensformen durch die katholische Kirche anstreben, oder sich nach dem Zuspruch von Gottes Segen sehnen, kann eine Segensfeier für LGBT+ Partner- und Partnerinnenschaften genau das Richtige sein. Segensfeiern können allerdings den Verdacht aufkommen lassen, man wolle LGBT+ Menschen mit einer Ehe light abspeisen. Die Diskussion dieser Fragen hat begonnen. Was zwischendurch und am Ende als Antworten herauskommt, kann man heute noch nicht vorhersagen.

Innerhalb der katholischen Kirche kann man die Frage stellen, ob es eine Eheschließung für zwei Menschen außer für eine Frau und einen Mann geben kann. Diese Frage betrifft mehrere Fächer der Theologie und kann hier nicht allgemein beantwortet werden. Ein Vergleich mit der mittlerweile reich entwickelten Situation von Segensfeiern in den evangelischen Kirchen ist inhaltlich nützlich und lehrreich. Kirchen, in denen auch die Eheschließung zwischen einer Frau und einem Mann nicht als Sakrament betrachtet wird, müssen sich aber nicht um die Differenz zwischen Segensfeier und Sakrament kümmern. Man kann allerdings in der Entwicklung der kirchlichen Praxis der katholischen Kirche Tendenzen ausmachen, die früher oder später Auswirkungen auf Vorstellungen der Lehre haben können. Es soll im Folgenden um eine derartige Tendenz gehen. Es geht um Praxis und um diese Praxis leitende Linien und Klammern, die im deutschen katholischen liturgischen Buch zur Feier der Trauung mit roter Farbe gedruckt sind. Die roten Linien und Texte deuten an, dass die katholische Kirche flexibler ist, als es scheint.

Um der Würde aller Partner willen

Neben den juridischen Funktionen der Feier der Trauung spricht der Zelebrant in der Feier der Trauung ein feierliches Segensgebet über die Brautleute. Das Segensgebet enthält in seiner Grundform Bitten um die Erfüllung eines Kinderwunsches der Eheleute. Diese Bitten sind im liturgischen Buch eingeklammert, durch Linien getrennt und durch Anweisungen markiert: „[Schenke ihnen das Glück, Vater und Mutter zu werden, und hilf ihnen, ihre Kinder christlich zu erziehen.]“, Seite 48 (und öfter) und S. 44 als Anweisung in roter Farbe: „Die eingeklammerten Worte unterbleiben, wenn es die Umstände, zum Beispiel das Alter der Brautleute, nahelegen.“ Selbstverständlich hat der Wegfall dieser und ähnlicher Zeilen im Trauungssegen keinen Einfluss auf den rechtlichen Status der Ehe. Die rechtlichen Angelegenheiten (wie die Erklärung von Ehewillen und Konsens) sind in diesem Augenblick der Feier schon abgeschlossen.

Nicht aus Großzügigkeit, sondern aus Gerechtigkeit ergeben sich Bemühungen, dem Wunsch nach würdiger Partizipation in der katholi­schen Kirche in der Praxis gerecht zu werden.

Man kann sich die Situation, in der diese Anweisungen notwendig sind, lebhaft vorstellen. Ein älteres Paar kniet oder steht vor dem Zelebranten. Er singt oder spricht in großer Feierlichkeit den Trauungssegen über sie. Bei den oben zitierten Zeilen könnten Teile der versammelten Gemeinde in das Lachen einstimmen, das Sara, die Frau Abrahams, überkam, als sie hörte, wie ihrem Mann die Geburt eines Sohnes angekündigt wurde: „Ich bin doch schon alt und verbraucht und soll noch Liebeslust erfahren? Auch ist mein Herr doch schon ein alter Mann!“ (Genesis 18,12). Das Lachen wäre zwar ein Element der Lockerung, könnte aber der Feierlichkeit des Augenblicks abträglich sein.

Die Feier der Trauung gehört in der katholischen Kirche nicht zu verbindlichen Ritualen des Erwachsenwerdens. Auf die Teilnahme „nach reiflicher Überlegung“, vor allem aber „aus freiem Entschluss“ legt das Recht und der Text der Feier großen Wert. Man kann aber auch ältere Frauen und Männer, die nach Einschätzung ihrer Familien und Gäs­te keine Kinder mehr erwarten, nicht durch einen Ausschluss von dieser Feier diskriminieren. Die Kirche ist bereit, zur Vermeidung von Diskriminierung und zur Wahrung der Würde der Feier, die Liturgie zu ändern.

Das tut sie mit guten Gründen, weil das II. Vatikanische Konzil ("Gaudium et Spes" Nr. 47–52) die frühere Bestimmung eines primären Zwecks der Ehe als Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft nicht bekräftigt hat. Gaudium et Spes Nr. 50 wiederholt die grundsätzliche Bestimmung als Wesensaussage: „Ehe und eheliche Liebe sind ihrem Wesen nach auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft ausgerichtet.“ Der Konzilstext tut dies aber erst nachdem die Würde der Ehe (zwischen Mann und Frau) und des Ehelebens ausführlich diskutiert wurden (48 und 49). Der liturgische Trauungssegen bildet in seiner Rücksicht auf die Inklusion älterer Paare die Verschiebung der Gewichte in der Beurteilung der Ehe ab.

Inklusion unterschiedlicher Lebenssituationen ist auch sonst ein Grundprinzip des deutschen liturgischen Buchs. So finden sich darin reichliche Anweisungen und teilweise liturgische Formulare für unterschiedliche Trauungen zwischen katholischen Partnern und Partnerinnen und Menschen anderer christlicher Konfessionen, jüdischen und muslimischen Menschen; Menschen nicht-monotheistischer Religionen; Menschen, die nicht getauft sind, aber an Gott glauben; und Menschen, die nicht an Gott glauben. Wenn man das liturgische Buch als Echo theologischer Einsichten ernst nimmt, legt es ein indirektes Zeugnis dafür ab, dass Inklusion der Standard und die Perspektivenübernahme des Standpunkts der Anderen Maßstab ist.

Um das Glück konkreter Menschen

Nein, das Buch enthält kein Formular für die Feier einer Trauung zwischen LGBT+ Menschen. Es wurde 1991/1992 in einer Zeit approbiert, als man in der katholischen Kirche nicht einmal (anders als heute) Segensfeiern mit gleichgeschlechtlichen Paaren offen diskutiert hat. Die Formulare des Trauungssegens versuchen aber gezielt, theologische Bestimmungen der Ehe zum Ausdruck zu bringen. Der Trauungssegen ist obendrein als Segen, dem das Kirchenrecht keine juridische Wirkung zumisst, äußerst nahe an dem, was auch in Feiern mit Paaren von LGBT+ Menschen angemessen sein könnte. Die Formulare sprechen von der Schöpfung von Mann und Frau als Abbild Gottes und dem Bund Christi mit der Kirche.

In die Bitten sind der Auftrag und die Würde der Brautleute eingetragen. Der Trauungssegen trägt das theologische Hauptgewicht der Feier. Trotzdem kann er ohne Erwähnung des Kindersegens auskommen. Gegenstand der Segenshandlung, die im Segenstext gedeutet wird, ist nicht die Proklamation der historischen Entwicklung der katholischen Ehelehre, sondern Würde und Glück der konkreten Menschen. Aus einem liturgischen Buch oder liturgischen Feiern ergibt sich in der Theorie weder Kirchenrecht noch Theologie. Bücher und Feiern etablieren und stützen aber eine Praxis und ein Lebensgefühl. Die Erwähnung dessen, was vor einem Jahrhundert noch als primärer Ehezweck betrachtet wurde, kann man seit Jahrzehnten aus dem Trauungssegen einfach weglassen, wenn es in der Praxis nicht passt. Diese Situation kann man weiterdenken. Texte, wie: „Wo Mann und Frau in Liebe zueinander stehen und füreinander sorgen, einander ertragen und verzeihen, wird deine Treue zu uns sichtbar“, sind nach kleineren Änderungen in verschiedenen praktischen Situationen mit verschiedenen Konstellationen von Menschen (zum Beispiel vor zwei Frauen oder zwei Männern, über denen der Segen gesprochen wird) verständlich und aus dem würdigen Vollzug einer Feier heraus plausibel.

Obwohl sich aus diesen Beobachtungen weder Theologie noch Kirchenrecht ergibt, fordern sie dazu auf, den Wunsch von LGBT+ Menschen nach würdiger Partizipation im Leben der katholischen Kirche mit Dankbarkeit anzunehmen und in Verantwortung und Fairness gemeinsam mit ihnen zu bedenken. Nicht aus Großzügigkeit, sondern aus Gerechtigkeit ergeben sich Bemühungen, diesem Wunsch in der Praxis gerecht zu werden. Das katholische Buch zur Feier der Trauung und die Formulare zum feierlichen Trauungssegen sind dazu Wegweiser. Im Lauf der Zeit könnten sich die roten Linien wie schon in der Vergangenheit weiter verschieben.

*) LGBT+ (Akronym für Lesbian-Gay-Bisexual-Transgender, das + steht für weitere sexuelle Orientierungsformen) bezeichnet all diejenigen, die nicht heterosexuell orientiert sind.

Der Autor ist Professor für Liturgiewissenschaft und Dekan der Katholisch-Theologi­schen Fakultät der Universität Münster.

Mit dem Segen der Kirche - © Herder Verlag
© Herder Verlag
Buch

Mit dem Segen der Kirche?

Gleichgeschlechtliche Partnerschaft im Fokus der Pastoral.

Hg. von Stephan Loos, Michael Reitemeyer, Georg Trettin.

Herder 2019

208 S., geb., € 22,70

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