Kermani - © picturedesk.com/Caro

Navid Kermani: Das Christentum ist wirklich schön

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Am Sonntag erhält Navid Kermani den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. In seinem Buch "Ungläubiges Staunen" wagt der Muslim christliche Zugänge.

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Am Sonntag erhält Navid Kermani den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. In seinem Buch "Ungläubiges Staunen" wagt der Muslim christliche Zugänge.

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Wenn der deutschsprachige Islam so etwas wie ein "gutes Gesicht" bräuchte, so wäre Navid Kermani wohl ein allererster Anwärter hierzu. Zumindest ist dem deutschen Schriftsteller mit iranischen Wurzeln der Brückenschlag zwischen europäischem Denken und islamischer Kultur glaubhaft gelungen. Kermani sei der "Einzige, bei dem ich das Wort 'Abendland' ohne ein Gefühl innerer Abwehr lesen kann": So drückt es auch Wolfgang Huber, langjähriger lutherischer Bischof von Berlin-Brandenburg und Vorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, aus.

Navid Kermani wird am Sonntag in Frankfurt der Friedenspreis des Deutschen Bundhandels überreicht - bei weitem nicht die erste, aber wohl die gewichtigste Auszeichnung im Leben des kaum 48-jährigen muslimischen Vorzeigeintellektuellen, dem in seinen Schriften nicht zuletzt die Grenzüberschreitung zwischen deutscher Literatur und islamischer Mystik gelungen ist. Der Friedenspreis scheint derartiger Lichtgestalt gerade in eher dunkler Zeit mehr als angemessen.

Erinnerung an einen Eklat

Dennoch darf man erinnern, dass der Eklat rund um eine andere Auszeichnung an Kermani erst sechs Jahre zurückliegt: Damals, 2009, wurde der Hessische Kulturpreis an eine honorige Riege verliehen: neben Kermani, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Salomon Korn, sollten auch der Mainzer Kardinal Karl Lehmann und der lokale evangelische Kirchenpräsident Peter Steinacker geehrt werden. Ausgerechnet Kardinal Lehmann lehnte (später auch Steinacker) eine Teilnahme an der Verleihung gemeinsam mit Kermani ab. Grund dafür war ein Essay Kermanis in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) über ein Kreuzigungsbild von Guido Reni, in dem Kermani seine Ablehnung der christlichen Kreuzestheologie mit "Gotteslästerung und Idolatrie" beschrieben hatte.

Dass ein Muslim das Kreuz Christi ablehnt, sollte keine neue Erkenntnis sein, und dass sich ein als liberal geltender Kardinal ausgerechnet bei einem für interreligiöse Toleranz verliehenen Preis weigerte, diesen gemeinsam mit Kermani entgegenzunehmen, wirbelte gehörig Staub auf - unter anderem auch deswegen, weil Kermani an späterer Stelle seines NZZ-Essays über das Reni-Bild schrieb "Erstmals dachte ich: Ich - nicht nur man -, ich könnte an ein Kreuz glauben." Offenbar hatte der Kardinal den Aufsatz nicht ganz genau gelesen Der Eklat von 2009 löste sich in Wohlgefallen auf: Nach einem Gespräch zwischen Lehmann, Steinacker und Kermani nahmen alle den Hessischen Kulturpreis dann doch gemeinsam entgegen.

Diese Auseinandersetzung ist angesichts des neuen Buches von Navid Kermani "Ungläubiges Staunen" wieder ins Gedächtnis zu rufen, bei dem sich der muslimische Autor "Über das Christentum" äußert. Auch in "Ungläubiges Staunen" findet sich Kermanis Verdikt "Gotteslästerung und Idolatrie" in Bezug aufs Kreuz, allerdings nicht in einem neuen Essay über Renis "Kreuzigung", der gleichfalls im Buch zu lesen ist, sondern in der Betrachtung über ein abstraktes Kreuz des Bildhauers Karl Schlamminger, für das Kermani wirbt - ebenso paradox, wie ihn im zitierten NZZ-Essay Renis Bild beinahe ins Verstehen des Kreuzes wirft.

"Ungläubiges Staunen" ist ein verwegener wie lesenswerter Versuch, sich dem Christentum von außen anzunähern. Und vor allem eine Sammlung von Bildbetrachtungen - genauer: Betrachtungen christlicher Bilder, über die Kermani zu seinen Betrachtungen übers Christentum kommt. Ein ästhetischer Zugang also, der naiv und in Sprache wie Gedankengängen erfrischend daherkommt. Aber auch klar fokussiert scheint: kaum moderne Kunst, dafür die Bildgewalt italienischer wie rheinischdeutscher Malerei aus Mittelalter und früher Neuzeit. Und ein Faible für Caravaggio - ein Gutteil der Bilder stammt von diesem Meister des Frühbarocks, etwa der Tod Mariæ, Judith und Holofernes oder die Kreuzigung Petri.

Ein ästhetisches Christentum

Kermanis Annäherungen sind subjektiv - und laden zu subjektiver Rezeption ein. Ästhetische Betrachtung bietet der Autor, nicht immer gleich gut zugänglich, manchmal mehr mit Anklängen an die im Pontifikat Benedikts XVI. in die Präsenz drängenden Missionare eines ästhetischen Christentum - die Schönheit der vorkonziliaren Liturgie, der prunkvollen Gewandungen etc. Schon auf den ersten Seiten des Buches liest man, man müsse in einer Stadt wie Berlin nur einen gewöhnlichen Sonntagsgottesdienst besuchen, um "beizupflichten, wie sehr dem Christentum Schönheit heute fehlt. Armut allein macht keinen Gott groß": Das klingt danach, dass Kermani dem vergangenen Pontifikat mehr Wertschätzung entgegenbringt als dem, was Papst Franziskus seiner Kirche zurzeit angedeihen lässt.

Erst recht ist der Protestant irritiert: Das eingangs angeführte Zitat des Altbischofs Wolfgang Huber entstammt dessen Buchrezension in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo Huber versucht, Kermanis Verdienste nicht kleinzureden, aber doch Vorbehalte zu dessen Ästhetizismus und Abwehr gegen die Wortlastigkeit und Bilderarmut der reformierten Spielart des Christentums äußert.

Der Wiener katholische Dogmatiker Jan-Heiner Tück sieht in seiner letzte Woche in der NZZ publizierten Rezension gleichfalls diese Leerstellen und findet daher den Untertitel "Über das Christentum" als "zu großflächig". Insgesamt würdigt Tück aber Kermanis geschriebene Skizzen als "Fremdperspektive des Grenzgängers, der als Muslim voller Neugier und mit wacher Beobachtung Bilder aufschlüsselt, katholische Riten und Lebenspraktiken kommentiert", die manch traditionsmüdem Christen neu bewusst machen könnten, "welche Schätze im christlichen Imaginationsraum zu heben sind".

Teresas Lust und Hiobsbad

Man schließt sich solcher Sicht dem Grunde nach an und fügt hinzu, wie eindrücklich es dem Autor gelingt, auch pittoreske Seiten des Christentums bloßzulegen - von blanker Erotik bei der Verzückung der Teresa von Ávila in der Skulptur von Bernini bis zu Albrecht Dürers "Hiob auf dem Misthaufen", die Kermani als Gemälde für ein Thermalbad entlarvt, weswegen, entgegen der biblischen Geschichte, Hiobs Ehefrau ihn nicht mit Jauche, sondern mit Wasser übergießt: "Was für ein Name für eine Heilanstalt, geradezu zynisch: Hiobsbad!"

Kermani gibt mitunter neue Erkenntnis vor, die aber längst schon anderswo gedacht wurde - etwa wenn er bei der "Opferung Isaaks" (natürlich auch ein Caravaggio ...) seine Deutung hervorhebt, hier werde von Abschaffung des Menschenopfers erzählt.

Authentisch wird das Buch besonders dort, wo Kermani die ästhetischen Anwandlungen mit seiner Biografie, dem erzählten Erlebten verwebt - er hat ja auch als (literarischer) Reporter Hotspots nicht zuletzt im Orient bereist. Am meisten packt den Leser der Essay über den italienischen Jesuiten Paolo Dall'Oglio, der in Syrien ein christliches Kloster, das mit, unter und für Muslime lebte, gründete, und der 2013 in Raqqa, der Hochburg des Islamischen Staates, entführt wurde. Gerade hier wird der Brückenschlag von Muslim zu Christ augenfällig; eine Ahnung von mystischem Verständnis blitzt auf -und erscheint ungleich plausibler, als wenn der christliche Leser nur in der Bildbetrachtung durch die Brille eines "ungläubigen" Autors den Blick auf seinen Glauben wagt.

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