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Papst Franziskus: Bekenntnis zur Zärtlichkeit

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Papst Franziskus, dessen Wahl sich am 13. März zum zweiten Mal jährt, wird nicht müde, für eine vernachlässigte Tugend zu werben.

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Papst Franziskus, dessen Wahl sich am 13. März zum zweiten Mal jährt, wird nicht müde, für eine vernachlässigte Tugend zu werben.

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Da kommt einer "fast vom Ende der Welt", wird Papst, sagt Buona sera und verkündet bei seinem feierlichen Amtsantritt vor der machtvollen Kulisse des Petersdoms: "Habt keine Angst vor der Zärtlichkeit!" Und der Welt bleibt der Mund offen. Kein spöttisches Wort. Erwartet hätte man von ihm Proklamationen von Frieden und Gerechtigkeit, das schon. Aber Zärtlichkeit, tenerezza? In dogmatischen Wörterbüchern sucht man vergeblich danach. Allzu viel Gottesgelehrsamkeit hat die Gottesfantasie eintrocknen lassen oder verdorben.

Ausgenommen die Mystik. Aber Theologie redet von Gott noch immer lieber mit Worten der Herrschaft und der Macht. Doch der Papst mit dem zärtlichen Namen Francesco scheint dem Begriff wieder das jesuanisch angestammte Heimatrecht in der Kirche zurückzugeben. Im programmatischen Schreiben "Evangelii Gaudium" hat er "zur Revolution der zärtlichen Liebe" aufgerufen, selbst auf die Gefahr des "Risikos der Begegnung mit dem Angesicht des anderen".

Zärtlichkeit braucht Mut

Zärtlichkeit hat auch ihren Platz in Sprache und Gesten der Erotik. Doch sie erschöpft sich nicht in Smileys und Herzchen auf dem Display des Smartphones. Sie steht nicht für sympathiewerbende tenderness des "neuen Mannes" und nicht für gestickte Taschentuch-Monogramme. Und für keinerlei andere zeitgeistige Sentimentalität, die das Wunder der Zärtlichkeit "verlottern und verkommen läßt" (Kurt Marti). Franziskus demonstriert sein Verständnis von Zärtlichkeit, wenn er -wie vor kurzem - beim sonntägigen Angelusgebet die winkende Menge auf dem Petersplatz unverblümt attackiert: "Ihr, wenn ihr den anderen helft: Schaut ihr ihnen in die Augen? Nehmt ihr sie ohne Berührungsängste an? Nehmt ihr sie mit Zärtlichkeit an? Denkt darüber nach: Wie helft ihr? Aus der Ferne oder mit Zärtlichkeit, aus der Nähe?"

Wer sich fragt, ob die Bekehrung der Welt, der Kirche (in Sonderheit der alten Echse, genannt römische Kurie) mit Zärtlichkeit auf den Weg gebracht werden kann, der nehme eine Nachhilfestunde bei dem alten reformierten Dichterpfarrer Kurt Marti in Bern. Der hat vor 40 Jahren der Theologie ein Feigenblatt geliehen, dass sie nicht gänzlich nackt und bloß dastehe.

Kurt Martis Feigenblatt

In einigen Aufsätzen und Notizen hat Marti über die Zärtlichkeit nachgedacht und ist zur Überzeugung gelangt, dass Zärtlichkeit geradezu "eine Exorzistin von Herrschaftsansprüchen ist, das ist ihre soziale Brisanz. Zwischen Herrschendem und Beherrschtem, Sieger und Besiegtem ist keine Zärtlichkeit möglich." Und Marti vermutet, dass dies mit ein Grund dafür sein könnte, "dass die Theologie der herrschenden Kirchen mit ihr so wenig anzufangen weiß."

Da keine Ideologie herrschaftsfrei ist und selbst die Theologie der Befreiung nicht gänzlich frei von Ideologie war, ist es naheliegend, dass sich der Jesuit und spätere Bischof Bergoglio jener der argentinischen "Theologie des Volkes" zugewendet hat. Deutlich verbunden ist damit seine Option für eine Pastoral solidarischer Zärtlichkeit, wie sie auch im Schlussdokument der 5. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe in Aparecida, Brasilien 2007, zu erkennen ist, für das Bergoglio verantwortlich zeichnet.

Man spürt darin, dass er als "zuhörender Hirte dem Herzen des Volkes" nahe war. Als Bergoglio damals in einem Interview gefragt wurde, was er den Kuriengranden in Rom gerne erzählen möchte, antwortete er, "dass niemandAngst vor der Zärtlichkeit" haben dürfe. Jona und Ninive. Die Liebe Gottes passte nicht zu Jonas eigenen Plänen. Jona "hatte seine Seele mit dem Stacheldrahtzaun dieser Gewissheiten abgegrenzt, die, statt mit Gott Freiheit zu geben, sein Herz taub gemacht hatten. Wir sollen die Menschen nicht sehen, wie sie sein sollen, sondern wie sie sind."

Papst Franziskus scheute sich nicht, im November 2014 auch vor den Europapolitikern "die Kraft der Zärtlichkeit" ins Treffen zu führen, notwendig "inmitten eines funktionellen und privatistischen Modells, das unweigerlich zur Wegwerf-Kultur führt".

Das anschaulichste Produkt einer Entwicklung, die Franziskus anprangert, führt Michel Houellebecq in der Ich-Figur seines jüngsten Romans "Die Unterwerfung" vor. Das ist ein von Sex und Genuss gelangweilter Pariser Intellektueller, von schockierender Gefühllosigkeit, als er etwa die amtliche Mitteilung vom Tod seiner Mutter erhält. Nach längerer Abwesenheit -um sich voraussehbaren politischen Unruhen zu entziehen - findet er in der Post zwei Schreiben, die allein "dem Leben eines Menschen Struktur geben: Krankenversicherung und Finanzamt".

Franziskus und Houellebecq

Um seinen akademischen Status zu retten und den finanziellen zu verbessern, liebäugelt er damit, sich den neuen -islamischen -Machthabern zu unterwerfen. Fiktion einer nahen Zukunft des abendländischen Europa, das nicht mehr fähig sei, sich selber aus der Dumpfheit eines übersättigten Materialismus zu retten. Das Verschwinden von Religion tue dann noch das Übrige. Es ist frappierend, wie nahe Houellebecq und Franziskus einander in der Diagnose kommen, wenn der Papst beklagt, wie "die großen Ideale, die Europa inspiriert haben, ihre Anziehungskraft verloren zu haben scheinen zugunsten von bürokratischen Verwaltungsapparaten seiner Institutionen." Franziskus sieht ein "müdes, pessimistisches Europa, das sich durch die Neuheiten, die von anderen Kontinenten kommen, belagert fühlt."

Houellebecq verzichtet darauf, eine Therapie auch nur anzudeuten. Für Franziskus liegt die Hoffnung nicht in Strategien und Strukturen, sondern in der alltäglichen Mühe der Hingabe (eine Übersetzungsmöglichkeit für "Islam"), sich der vielgestaltigen Gebrechlichkeit anzunehmen, mit der unermüdlichen "Kraft der Zärtlichkeit, des Betrachtens und des Hingehens zu den Anderen." Auch hinaus vor die Mauern, die Europa nicht schützen werden.

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