franziskus amazonien-synode - © APA / AFP / Tiziana Fabi

"Querida Amazonia": Anschwellende Ratlosigkeit

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Der Papst im amazonischen Nirgendwo. Das Schreiben setzt Franziskus’ typische Rede- und Denkweise fort. Und offenbart beim Thema Frauen überkommenen Paternalismus. Ein Gastkommentar.

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Der Papst im amazonischen Nirgendwo. Das Schreiben setzt Franziskus’ typische Rede- und Denkweise fort. Und offenbart beim Thema Frauen überkommenen Paternalismus. Ein Gastkommentar.

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Seit einer Woche liegt das Schreiben „Querida Amazonia“ vor, in dem Papst Franziskus die Beratungen der Amazonien-Synode kommentiert. Seit einer Woche laufen die Diskussionen heiß. Was will der Papst? Hat er das Schlussdokument der Syn­ode approbiert? Sieht Franziskus Spielräume für die Zulassung nichtzölibatärer Priester? Haben die Ortskirchen Handlungsoptionen?

Bei allen unterschiedlichen Einschätzungen scheint eins klar: Für Frauen im Amt sieht Franziskus keine Perspektiven. Freilich, auch das sagt er nicht direkt. Was macht der Papst also, wenn er so spricht, wie er spricht? Seine über Amazonien hinaus wichtigen Überlegungen zu ökologischen, sozialen und religionskulturellen Fragen hat er selbst in den Hintergrund gedrängt, indem er sich zum Votum der Synode für „viri probati“ nicht verhält.

Im nachsynodalen Schreiben „Amoris laetitia“ 2015 war es eine Fußnote, in der sich eine zentrale Frage entschied – die Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Eucharistie. Als die deutschen Bischöfe 2018 nach einem Weg für den Kommunion­empfang nichtkatholischer Partner in konfessionsverbindenden Ehen suchten, machte der Papst ihn mit einem „F“ auf einer Gesprächsnotiz frei. Der Papst entschied nicht als Paraphenminimalist, sondern zeigte, dass er den Ortskirchen Raum lässt und synodalen Aushandlungsprozessen gegenüber päpstlichen Dekreten den Vorzug gibt.

Es gilt also, auf die Textregie von „Querida Amazonia“ zu achten. Entscheidend ist der Rahmen, in den Franziskus seine Überlegungen stellt. Er will nicht alle Fragen entfalten, die im Schlussdokument ausführlich dargelegt wurden. Er bestätigt es nicht formell, er will es aber auch nicht durch eigene Gedanken ersetzen. Stattdessen gibt er ihm Raum. Der Papst exekutiert nicht Voten, sondern moderiert einen Prozess. Der ist mit „Querida Amazonia“ nicht ans Ende gekommen.

Kirchen vor Ort stärken

Franziskus ordnet sein Schreiben in die Programmatik seines Pontifikates ein: Kompetenzen der Kirchen vor Ort stärken, von der Lebenswirklichkeit der Menschen ausgehen, von pastoralen Herausforderungen her theologisch denken, Grenzen überwinden. Dass Franziskus Amazonien in den Mittelpunkt weltkirchlicher Beratungen und globaler Aufmerksamkeit rückt, liegt auf dieser Linie. Ebenso dass Franziskus von einem synodalen Weg spricht, der in die Zukunft ausstehender Beratungen weist.

In der Nomenklatur wie in den Anmerkungen gibt der damit auch dem weltweit beachteten „Synodalen Weg“ in Deutschland Raum, der die Themen diskutiert, aus denen sich die Erwartungen an dieses Dokument speisen. Wenn der Papst vor diesem Hintergrund auf den Weg hinweist, den die katholische Kirche mit der Amazonien-Synode beschreitet, ist der Ausgang laufender Debatten nicht entschieden. Weder in Amazonien noch in Deutschland.

Deswegen entwickelt Franziskus Visionen. In sozialer, ökolo­gischer und kultureller Hinsicht weisen sie in die Zukunft. Dass der Papst sie seinen Überlegungen zur Kirche vorordnet, ist nicht nur von der Dringlichkeit der Probleme her berechtigt. Sie stellen die Basis dar, auf der sich seine ekklesio­logischen Gedanken bewegen. Der Auftrag der Kirche besteht darin, auf die vielen Nöte und Ängste, die aus dem Herzen Amazoniens an uns herandringen, im Geist des Evangeliums zu reagieren. Die Kirche muss den Gott erfahrbar machen, der jeden Menschen unendlich liebt und der uns diese Liebe vollkommen in Christus geoffenbart hat. Daran entscheiden sich kirch­liche Initiativen.

Für Franziskus bilden die ärmsten Menschen den ständigen Bezugspunkt kirchlichen Lebens: Die Sakramente zeigen und vermitteln den nahen Gott, der barmherzig zu seinen Kindern kommt, um sie zu heilen und zu stärken. Sie müssen daher vor allem für die Armen zugänglich sein und dürfen niemals aus finanziellen Gründen verweigert werden. Auch ist angesichts der Armen und Vergessenen des Amazonasgebietes kein Platz für eine Disziplin, die ausschließt und entfernt, weil sie auf diese Weise von einer Kirche, die zu einer Zollstation geworden ist, letztlich verworfen werden.

Bleibt eine Tür offen?

Wie steht es also um die Zollstation Kirche in Sachen Zölibat und Frauenordination? Passagen sieht Franziskus nicht vor. Allerdings schließt er auch nichts endgültig aus. Es fällt auf, dass der Papst zur Rolle der Frauen in der Kirche keines der Dokumente zitiert, mit denen seine Vorgänger zur Ordnung riefen. Stattdessen verweist er auf ein altes Papier der Glaubenskongregation, das von der apos­tolischen Struktur der Kirche spricht, nicht aber von Männern oder Frauen. Bleibt eine Tür offen, die Franziskus mit seiner eigenen Kommission zum Frauendiakonat entriegelt hat?

Bis heute hat der Papst nichts entschieden. Das passt zur Strategie, offene Fragen auf dem Weg synodaler Prozesse zu klären. Aus ihnen sollen Entscheidungen wachsen, die er nicht oktroyieren will. Bei aller berechtigten Ungeduld in der Sache: Wer jetzt nach dem Diktat des Papstes verlangt, tut sich schwer, mangelnde Synodalität im nächsten Pontifikat zu bemängeln.

Indem „Querida Amazonia“ das Votum der Synode für die Pries­terweihe von verheirateten Diakonen ausblendet, übergeht Franziskus das Problem nicht, sondern stellt es in einen anderen Horizont. Diesem Papst ist weniger an Strukturen gelegen als daran, neues Leben in den Gemeinden zu wecken. Das kann man kritisieren. Aber Franziskus treibt das Problem des Klerikalismus um, das auf dem deutschen „Synodalen Weg“ angegangen wird: Stichwort Missbrauch!

Mehr Priester sind für Franzis­kus selbst dann keine Lösung, wenn er die sakramentale Notlage der amazonischen Kirche anerkennt. Es geht also nicht nur darum,
eine größere Präsenz der geweihten Amtsträger zu ermöglichen, die die Eucharistie feiern können.
Und weiter: Eine Kirche mit amazonischen Gesichtszügen erfordert die stabile Präsenz reifer und mit entsprechenden Vollmachten ausgestatteter Laien-Gemeindeleiter.

Bevor die Kirche die Zulassungsbedingungen zum Amt regelt, fordert ihr Franziskus ab, den Ort des Amtes in der Gemeinde neu zu bestimmen. Diese Entwicklung ist nicht abgeschlossen, damit aber auch nicht das Ende des Weges erreicht.

Unerträglicher Paternalismus

Gilt das auch für Frauen? Hier kippt der Text. Wenn der Papst das sakramentale Priestertum nur für Männer reserviert, um Frauen vor Klerikalisierung zu schützen, betreibt er, wovor er warnt. Geweihte Männer beanspruchen Schutzmacht für Frauen, um sie vor dem Job zu bewahren, den sie als Stand zelebrieren? Die Rollenfestlegung auf die Kraft und Zärtlichkeit der Mutter Maria treibt Frauen aus der Kirche.

Dieser unerträgliche Paternalismus zeigt, wofür der Papst auch steht: für den inneren Widerspruch einer vormodernen Kirche in einer nachmodernen Welt. Klischees von gestern taugen nicht zu Lösungen für Probleme in einer komplexen Weltgesellschaft.

Franziskus versucht, aus der eigenen Tradition ein Argument zu machen, während die Zeit längst an ihr vorbeigegangen ist.

Franziskus versucht, aus der eigenen Tradition ein Argument zu machen, während die Zeit längst an ihr vorbeigegangen ist, weil sie einfach nicht überzeugt. Das beschädigt das Schreiben von Franziskus nachhaltig.

Immerhin: Dort, wo eine besondere Notwendigkeit besteht, hat der Heilige Geist bereits für die Charismen gesorgt, die darauf antworten können. Dies setzt in der Kirche die Fähigkeit voraus, der Kühn­heit des Geistes Raum zu geben.

Aber noch gilt für Frauen in der katholischen Kirche: Zollstation geschlossen! Die meisten werden nicht auf das Ende des klerikalen Karnevals warten.

Der Autor ist Prof. für Fundamentaltheologe an der Uni Salzburg.

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