US-Christentum russischer Façon
Amerikanisch, russisch, orthodox? Wie der Ukrainekrieg ein altes Spannungsfeld in der US-Orthodoxie neu belebte, das zugleich ein Abbild gesellschaftspolitischer Brüche im Land darstellt.
Amerikanisch, russisch, orthodox? Wie der Ukrainekrieg ein altes Spannungsfeld in der US-Orthodoxie neu belebte, das zugleich ein Abbild gesellschaftspolitischer Brüche im Land darstellt.
Der Ukrainekrieg hat die Welt verändert. Für die Orthodoxie in Nordamerika stellt die kriegerische Eskalation jedoch ein besonderes Problem dar. Zwar machen die Ostkirchen in den USA weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus – Schätzungen belaufen sich auf ca. 2,5-3,5 Millionen –, jedoch wird deren komplexe Zusammensetzung aktuell zu einem Spiegel zahlreicher Probleme in der Religions- und Identitätspolitik.
Die amerikanische Orthodoxie ist seit jeher vielgestaltig. Dass es aber in den USA gleich mehrere Organisationen gibt, die sich von der russischen Orthodoxie her verstehen, sich aber theologisch und politisch in völlig andere Richtungen entwickelt haben, ist wenig bekannt.
Ähnlich wie in der Ukraine „orthodox“ sehr viel bedeuten kann, ist das Verhältnis russisch orientierter Orthodoxie in den USA zu Moskau keinesfalls eindeutig. Dies hat mehrere Gründe: Während sich etwa die serbische, albanische oder griechische Orthodoxie im Rahmen der Siedlungsbewegungen von Ost nach West ausbreiteten, erreichte die russisch orientierte Spiritualität den Kontinent insbesondere durch Missionsbewegungen. Als Alaska noch russisches Gebiet war, gründete die russisch-orthodoxe Kirche dort in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Klöster und Missionsstationen und setzte 1840 den ersten russisch-orthodoxen Bischof in Sitka, Alaska, ein.
Eine religiöse Mission
Diese Christianisierung war weniger eine Kolonialbewegung europäischer Prägung, sondern eine genuin religiöse Mission. Als „Russisch-Amerika“ 1867 von den USA als Verwaltungsterritorium gekauft wurde (1959 zum Bundesstaat ernannt), war die russische Orthodoxie dort bereits fest verankert, zahlreiche Stämme und Dörfer der dortigen Bevölkerung christlich geworden. Viele dieser Gruppen suchten in den USA Arbeit und eine bessere Versorgung, was dazu führte, dass sich etwa in Oregon oder später Kalifornien recht schnell christliche Kreise russischer Prägung bildeten. Diese losen Seelsorgestellen waren wiederum ein Grund dafür, warum in diesen Gruppen von Beginn an eine enorme Diversität zu finden war: Sie waren nicht nur zeitlich, sondern auch geografisch weit von ihrer ursprünglichen Gründerkirche entfernt. Sie verstanden sich als amerikanisch, aber auch als russisch-orthodox, wobei „russisch“ mehr theologisch und spirituell interpretiert wurde, weniger als
national-institutionelle Ankopplung.
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