Stadttempel - © Foto: APA / Herbert Neubauer

„Weiter als andere Länder“

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Benjamin Nägele, Generalsekretär der IKG Wien, und Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister über Juden in Österreich, Antisemitismus, Muslime im Land, die neue Regierung sowie den christlich-jüdischen Dialog.

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Benjamin Nägele, Generalsekretär der IKG Wien, und Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister über Juden in Österreich, Antisemitismus, Muslime im Land, die neue Regierung sowie den christlich-jüdischen Dialog.

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Seit September ist Benjamin Nägele Generalsekretär für jüdische Angelegenheiten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Der 34-jährige, in Freiburg im Breisgau aufgewachsene Nachkomme von Schoa-Überlebenden hat in Wien Politikwissenschaft studiert und war zuvor Direktor für EU-Angelegenheiten von B’nai B’rith in Brüssel. Gemeinsam mit Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister stellte sich Nägele den Fragen der FURCHE.

DIE FURCHE: Vor Kurzem hat der Antisemitismusbeauftragte der deutschen Regierung Juden empfohlen, ihre Kippa nicht öffentlich zu tragen. Zu Jom Kippur gab es den Anschlag auf die Synagoge in Halle: Wie sicher fühlen sich Juden in Österreich?
Benjamin Nägele: Das Niveau der Sicherheit und der Schutz der jüdischen Gemeinde ist in Österreich sehr hoch. Wir hatten ja unser eigenes „Halle“ 1981 beim Anschlag hier direkt in der Seitenstettengasse mit zwei Toten und 21 Verletzten. Seitdem ist viel passiert. Die Kooperation mit dem Innenministerium und der Polizei ist sehr gut. Im Vergleich zu anderen Ländern sind wir in Österreich sehr weit, sowohl was den Antisemitismus, als auch was den Schutz der Gemeinden angeht.

DIE FURCHE: Und das, obwohl bis Mai eine Partei mit an der Regierung war, die viele antisemitische Vorfälle in ihren Reihen hatte?
Nägele:
Die FPÖ ist für das Judentum und die jüdischen Gemeinden in Österreich natürlich hochproblematisch. Wir hatten hier auf höchster demokratisch legitimierter Ebene Politiker, die Antisemitismus bagatellisieren, schönreden, teilweise auch selber propagieren, aber auch Geschichtsrevision betreiben: Das hat natürlich einen Trickle-down-Effekt auf die Gesellschaft, in der sich Menschen dadurch ermutigt fühlen und dies als Normalität betrachten. Das ist aber eine Entwicklung, die leider in anderen europäischen Ländern noch schlimmer ist. Umso schöner fand ich es, dass bei der letzten Nationalratswahl die FPÖ über 10 Prozent verloren hat, und dass sich die Grünen und die ÖVP ihrer Verantwortung bewusst geworden sind und diese Parteien trotz ihrer politischen Agendadifferenzen zusammenfinden und jetzt wirklich erstarkt für die Zivilgesellschaft neue Akzente setzen – ohne Rechtspopulismus.

DIE FURCHE: Das heißt, aus der Perspektive ös- terreichischer Juden ist diese Regierungskonstellation etwas Hoffnungsvolles?
Nägele: Absolut! Das Regierungsprogramm spiegelt viele unserer Wünsche und Bedürfnisse wider. Die Herausforderung durch den Antisemitismus ist dort ein großer Schwerpunkt. Mich hat auch sehr gefreut, dass der Antizionismus darin spezifisch erwähnt wird. Österreich hat die Verantwortung gegenüber Israel gerade unter Sebastian Kurz auf dem internationalen Parkett und auf europäischer Ebene vorangetrieben.

DIE FURCHE: Apropos Antisemitismus im Gewand des Antizionismus: Wie beurteilen Sie da die Lage in Österreich?
Nägele: Auch da sind wir weiter als manch andere Länder. Vor allem die BDS-Bewegung (Anmerkung: Die Kampagne „Boycott, Divestment, and Sanctions“ will Israel international isolieren) ist ein großes Thema in vielen Ländern – etwa in Großbritannien –, auch in den USA, dort vor allem auf dem Campus. In Österreich setzt da die Politik schon starke Akzente dagegen: Der Grazer Gemeinderat hat sich vor Kurzem, der Wiener Gemeinderat schon 2018 klar gegen BDS ausgesprochen, und Ende Jänner wird der Nationalrat eine von allen Parteien getragene Resolution gegen den Antizionismus beschließen.

Nägele - © Foto: IKG Wien

Benjamin Nägele

Seit September ist Benjamin Nägele Generalsekretär für jüdische Angelegenheiten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien.

Seit September ist Benjamin Nägele Generalsekretär für jüdische Angelegenheiten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien.

Im Vergleich zu anderen Ländern sind wir in Österreich sehr weit, sowohl was den Antisemitismus, als auch was den Schutz der jüdischen Gemeinden angeht.

Benjamin Nägele

DIE FURCHE: Ein Strang dieser Diskussion betrifft den muslimischen Antisemitismus. Wie sehen Sie den in Österreich?
Nägele: Auch was den jüdisch-muslimischen Dialog angeht, sind wir viel weiter als andere Länder. Als die Porträts von Holocaust-Überlebenden von Luigi Toscano, die am Ring ausgestellt waren, im letzten Frühling zerstört wurden – da war unter den Ersten, die sich dagegen ausgesprochen haben, die Muslimische Jugend Österreichs: Sie haben bei den 24-Stunden-Mahnwachen über mehrere Tage bei Wind und Wetter in der Kälte ausgeharrt. Und die Islamische Glaubensgemeinschaft war der erste islamische Verband in Europa, der die Antisemitismusdefinition der International Holo caust Remembrance Alliance inklusive der antizionistischen bzw. antisemitischen Kritik beispiele angenommen hat. Dennoch muss man muslimische Verbände und Gemeinden noch mehr in die Verantwortung nehmen, wenn es um Antisemitismus geht. Ich möchte weder bagatellisieren noch eine hys terische Diskussion führen, aber man muss Probleme direkt ansprechen können. Da sehe ich die muslimischen Gemeinden noch mehr in der Pflicht.
Schlomo Hofmeister: In einer globalisierten Welt neigt man sehr leicht dazu, Erfahrungen aus einer Region auf die andere zu übertragen. Wir haben als Juden in Paris, in Großbritannien, in Schweden, auch in Deutschland in letzter Zeit einen starken Anstieg von Judenhass von muslimischer Seite erfahren. Österreich ist anders, Wien ist noch mehr anders. Wir haben dieses Problem in Österreich nicht in diesem militanten Ausmaß. Antisemitismus, Judenhass unter Muslimen existiert sicherlich überall, ist aber in Österreich nicht der Mainstream. Nägele: Was mir Sorgen macht, sind die Politisierung und der politische Islam. Und da haben wir natürlich in Österreich auch Herausforderungen. Zur Invasion der Türkei in Syrien gab es eine Kundgebung von pro-türkischen Demonstranten vor dem Stephansdom, die haben unter anderem plötzlich, obwohl es thematisch eigentlich gar nicht passt, „Tod Israel!“ geschrien. Das muss man schon mit Sorge beobachten – aber auch realis tisch beobachten, ohne hysterisch zu werden.

DIE FURCHE: Zwischen Juden und Muslimen gibt es einige Berührungspunkte, zum Beispiel die Frage des Schächtens oder der Beschneidun, da sind die Zugänge sehr ähnlich.
Hofmeister: ich gehe noch ein Stück weiter. Es ist das gesamte theologische Weltbild, das eigentlich von muslimischer und jüdischer Auffassung her eine größere Schnittmenge besitzt als zwischen christlich-muslimischer oder christlich-jüdischer Seite. Umso erfreulicher ist, dass der jüdische-christliche Dialog in Österreich seit vielen Jahren vorbildlich funktioniert. Gemeinsamkeiten zu feiern gehört da ebenso dazu wie das Benennen von Unterschieden.

DIE FURCHE: Die Kirchen feiern den Tag des Judentums am 17. Jänner. Was halten Sie davon, dass Christen das tun?
Hofmeister: Es ist von unserer Seite jede Form der Begegnung zu begrüßen. Jede ausgestreckte Hand nehmen wir dankend entgegen. Es ist ein sehr mutiger Schritt, diese jüdischen Wurzeln in der Entstehungsgeschichte des Christentums auch heranzuziehen und das heutige Verhältnis mit dem Judentum zu beschreiben. Denn das Judentum ist in den Narrativen des Neuen Testaments ja durch eine gewisse Gegnerschaft bestimmt, und die Rechtfertigungstheologie des Christentums zielt seit Jahrtausenden darauf ab, hier die Unterschiede herauszustreichen und zu zeigen, warum die Kirche jetzt das neue Israel ist und so dem Judentum seine Legitimation zu entziehen. Das ist ein Baustein des christlichen Fundaments. Der wurde mit der Konzilserklärung Nostra aetate dem Gebäude entzogen. Das Gebäude nicht ins Wanken zu bringen, erfordert von jedem Christen, der sich dann auch noch auf den jüdischen Dialog im Hier und Jetzt einlässt, die Bereitschaft auch anzuerkennen, dass im tradierten Bild des Judentums, wie es in Evangelien beschrieben wird, Flexibilität nötig ist.

Hofmeister - © Foto: BKA / Christopher Dunker

Schlomo Hofmeister

Schlomo Hofmeister ist ein deutscher Rabbiner und Gemeinderabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien.

Schlomo Hofmeister ist ein deutscher Rabbiner und Gemeinderabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien.

DIE FURCHE: Nehmen Sie den Christen ab, dass sich da etwas verändert hat gegenüber der Theologie vor 1945?
Hofmeister: Die Aussagen von Nostra aetate sind ein Statement, welches die Kirche eigentlich in ihren Grundfesten erschüttert. Man verabschiedet sich von Grundprinzipien der christlichen Weltanschauung. Gleichzeitig haben andere Religionen, die in diesem Dokument explizit aufgeführten monotheistischen Religionen hier eine Erleichterung, ein „Atemholen“ bekommen. Es ist eine Gratwanderung, einerseits das Judentum und andere Religionen als Wege, die zum Heil führen, anzuerkennen, aber gleichzeitig die eigenen Grundwerte nicht zu verneinen. Das ist keine leichte Sache. Aber das ist ein innerchrist­ liches Problem und kein interreligiöses.

DIE FURCHE: Juden und Christen sollen zumindest so leben, dass sie miteinander auskommen. Ist aber auch so etwas wie ein religiöser Dialog möglich?
Hofmeister: Das ist der von ihnen beschriebene pragmatische Dialog zwischen den Religionsgesellschaften. Es ist dieser praktisch­zivilgesellschaftliche Dialog. Es geht um das Zusammenleben. Es geht darum, Vorurteile abzubauen, aber auch gemeinsame Herausforderungen gemeinsam anzugehen. Wir haben große Solidaritätsbekundungen unter den Religionsgesellschaften. Einstimmige Beschlüsse wurden gefasst, welche Einschränkung von Religionsfreiheit einzelner Religionen betrifft – Stichwort Kopftuchverbot, wo sich gerade auch die katholische Kirche sehr vehement dagegen ausgesprochen hat. Dies ist in anderen Ländern nicht der Fall. In Österreich ist das anders. Es gibt hier einen solidarischen Ansatz. Der theologische Austausch ist nicht das, worum es im interreligiösen Dialog geht. Es gibt wohl Vorträge von Rabbinern in christlichen Gemeinden, um dort das Judentum verständlich zu machen. Aber das ist nicht das Zentrum des interreligiösen Dia logs, um den es eigentlich geht. Die Fragen des Klima­ und des Umweltschutzes sind hier als zentrales Thema des interreligiösen Dialogs bedeutender. Für einen Religionsvertreter ist alles, was in der Welt geschieht, nicht profan. Alles hat einen religiösen, sakralen Aspekt. Die gemeinsamen Werte sind hier ausschlaggebend. Es geht hier nicht darum, im rituellen sondern im wirklichen Leben etwas gemeinsam zu tun.

DIE FURCHE: Die christlichen Kirchen, aber auch Religionen im Allgemeinen müssen vermehrt darum kämpfen, in der Gesellschaft akzeptiert zu werden.
Hofmeister: Man muss unterscheiden zwischen dem Bedürfnis der Menschen nach religiöser, spiritueller, geistiger Zuwendung im Leben und der Akzeptanz der Autorität institutionalisierter Religion. Das sind zwei paar Schuhe. Der Einfluss der Kirche nimmt sicherlich ab. Trotzdem mindert dies nicht den Einfluss von Würdenträgern der Kirchen, wenn sich diese äußern. Sie werden dennoch gehört. Im ORF etwa haben die Religionsprogramme höchste Einschaltquoten. Größer ist nur Fußball. Das Grundinteresse an Religion nimmt in der Gesellschaft nicht ab.

DIE FURCHE: Ist das unter den Juden in Österreich ähnlich?
Hofmeister: Jede Religion ist eine Institution, eine Struktur, die sich jeweils anders definiert. Man kann nicht sagen, die israelitische Glaubensgemeinschaft ist so wie die Kirche oder die islamische Glaubensgemeinschaft. Denn was heißt Religion? Das lateinische Wort Religion bedeutet für das Chris tentum etwas ganz Spezifisches und hat eine Konnotation erfahren, die so aber im Judentum gar nicht zutrifft. Deshalb ist es manchmal sehr schwer, hier Parallelen zu ziehen. Der Rabbiner entspricht auch nicht dem Pfarrer. Judentum bedeutet für viele Juden Religion, für andere Juden ist es eine Schicksalsgemeinschaft, kulturelle Identifikation – es hat viele Aspekte.

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