Ratzinger - © Foto: APA/dpa/Hartmut Reeh

Zum Tod von Benedikt XVI.: Größe und Grenze des christlichen Platonismus

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Joseph Ratzinger, dem Theologen, wie Benedikt XVI., dem Papst, ging es darum, der – wovon er überzeugt war – bleibenden Gestalt des Glaubens, zu dienen. Ein Nachruf.

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Joseph Ratzinger, dem Theologen, wie Benedikt XVI., dem Papst, ging es darum, der – wovon er überzeugt war – bleibenden Gestalt des Glaubens, zu dienen. Ein Nachruf.

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Joseph Aloisius Ratzinger, in Marktl/Inn 1927 geboren, war ein Bayer. Das bedeutet nicht nur, dass er seiner Heimat innig verbunden blieb, sondern dass ihn ein spätbarocker katholischer Symbolkosmos prägte, den neben seiner Homogenität auch eine spezifische Liberalität auszeichnete. Weder in Bonn, wo er seine außerordentliche theologische Karriere 1958 begann, noch in Münster (1963) oder Tübingen (1966-1969) fühlte er sich wirklich wohl. Selbst in Rom war ihm „little Bavaria“ ein notwendiges Refugium. Doch schon früh erfuhr er die Zerstörung aller Selbstverständlichkeiten durch das NS-Regime und das mögliche Ende aller Humanität.

Der kleine Kreis der Familie, der ein Leben lang gepflegt wurde, und seine Kirche wurden zur Insel des Überlebens. Im vertrauten Rahmen blühte er auf. Sein Schülerkreis weiß, welche Pluralität auch in der Theologie hier möglich war. Tief geprägt von Horkheimer/Adornos Dialektik der Aufklärung analysierte er scharf die Abgründe unserer Gegenwart und beurteilte Entwicklung von ihren möglichen Konsequenzen her.

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Dass er auch als filigraner Intellektueller die „Hoheit über die Stammtische“ erringen konnte, zeigt ebenso seine begriffliche Schärfe wie Lust am öffentlichen Streitgespräch. „Entweltlichung der Kirche“, „Diktatur des Relativismus“ oder „die Verteidigung des Glaubens der einfachen Menschen“ gehören zu seine provokantesten Sprachschöpfungen. Die Regensburger Rede 2006, die in der muslimischen Welt stark kritisiert wurde, scheiterte aber auch daran, dass ein Papst, zumal in Weiß und auf hohem Stuhl, nicht mehr wie ein Professor debattieren kann. Dass er noch im hohen Alter gegen ehemalige Kollegen öffentlich polemisierte, hätte nicht sein müssen. Mehr Entweltlichung wäre ihm da zu wünschen gewesen.

Joseph Ratzinger bleibt ein systematischer Theologe von epochaler Bedeutung.

Joseph Ratzinger bleibt ein systematischer Theologe von epochaler Bedeutung. Er durchlief nicht die neuscholastische Schule, arbeitete sich nicht an Thomas von Aquin ab und die neuzeitliche Philosophie streifte er nur. Er qualifizierte sich mit Arbeiten zu Augustinus und Bonaventura, hob den reichen Schatz der Kirchenväter und bemühte sich von Anfang an um eine bibeltheologische und vernunftgemäße Grundlegung der Theologie. Dass sein Habilitationsverfahren fast scheiterte, ließ ihn wohl immer mit Skepsis auf den theologischen Betrieb mit seinen Moden blicken. Vielleicht suchte er auch deshalb die Nähe zum großen nicht-akademischen Theologen nach dem Konzil: Hans Urs von Balthasar.

Dass er von Kardinal Josef Frings als theologischer Berater zum Konzil eingeladen wurde, war ein Glücksfall. Seine Berichte vom Konzil und seine Kommentare zu seinen Texten werden immer neu mit Gewinn gelesen werden. Die vieldiskutierte Frage einer theologischen Kehre verweist auf die Grundgestalt seines Denkens. Gern beschrieb er sich als christlicher Platoniker. Dieser Strömung ist es eigen, eine transgeschichtliche Gestalt erkennen zu können, die allen Veränderungen voraus- und zugrunde liegen würde. Seine „Einführung ins Christentum“ und seine erste Enzyklika als Papst (Deus caritas est) werden die Zeiten überdauern. Um diese universale Gestalt des christlichen Glaubens zu bewahren, der aus jüdischer Glaubensüberlieferung, griechischer Philosophie und römischem Ordnungsdenken im Ursprung geformt wurde, warnte er nach dem Konzil vor billiger Anpassung - vor allem in der Liturgie. Die Feiergestalt des Glaubens entziehe sich ebenso dem rituellen Experiment wie der lehramtlichen Willkür. Hier zog selbst er die Grenzen päpstlicher Vollmacht.

Theologisch dürfte die entscheidende Differenz wohl darin zu suchen sein, dass er die Methode der Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“, die Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums zu deuten, um so das Aggiornamento zu leben, um 1980 verabschiedete. Nur so lassen sich der „Katechismus der Katholischen Kirche“ und seine Differenzen zu Johannes Paul II. verstehen. Nach dem Friedensgebet der Religionsführer von Assisi 1986 fuhr er mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, 2002 war er beim Nachfolgetreffen in Assisis nicht dabei und das Schuldbekenntnis der Kirche aus dem Jahre 2000 fand nie sein Gefallen. Doch 2011 erweiterte er das Modell Assisi um den Dialog mit den Nicht-Glaubenden.

Während Johannes Paul II. die Lehre von der Universalität des Heiligen Geistes, die allen Menschen eine Beziehung zum Tod und der Auferstehung Jesus ermöglicht (Gaudium et spes, 22), offensiv in den Dialog nach außen einbrachte, erwähnt Benedikt XVI. die Pastoralkonstitution kaum. In seinem christlichen Platonismus ist allen Menschen eine Gottesbeziehung vorgängig zu Geschichte und Kultur eingestiftet.

Dem interreligiösen Dialog zog er einen Dialog der Kulturen vor, ohne mit hinreichender Klarheit die Schatten der christlichen Missionsgeschichte immer zu thematisieren. Dabei wusste er sehr wohl um diese, denn nach ihm müsse die Beziehung der Kirche nach außen immer vorgängig von einer Erneuerung nach innen getragen werden. Dieser Erneuerung der bleibenden Gestalt des Glaubens zu dienen, motivierte ihn in seinen kirchlichen Ämtern und erklärt seine Unterstützung für bestimmte kirchliche Gruppen.

Kein politischer Mensch

Joseph Ratzinger war kein politischer Mensch. Sein frei gewählter Name als Papst drückt seine ihn prägende Sehnsucht aus: Zelle, liturgisch geformtes Gebet, Studium und natürlich: „Kammermusik“. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb wurde er nicht nur Erzbischof von München (1977), Präfekt der Glaubenskongregation (1982), sondern auch Papst (2005-2013). Weil auch ein Amt in der Kirche notwendigerweise mit Macht und Entscheidungen verbunden ist, die niemals auf göttlicher Inspiration beruhen, sind Entscheidungen immer auch von Beratungen abhängig.

Dass während seiner Zeit als Erzbischof in München Vorfälle von Missbrauch auftraten, wird noch länger diskutiert werden. Auch wenn die Glaubenskongregation synodal organisiert ist, fällt auf, dass er 1988 Lefebvre fast bis zur Selbstaufgabe entgegen ging, aber die liberale Richtung katholischer Theologie („Hans Küng“), die befreiungstheologische (Leonardo Boff und Jon Sobrino) und auch religionstheologische Pioniere (Jacques Dupuy) maßregelte oder nachdrücklich ermahnte. Auch wenn unter seiner Verantwortung die Archive der Indexkongregation und des Heiligen Officiums geöffnet wurden (1998), war es ihm z.B. vor der Seligsprechung Antonio Rosminis (1797-1855; selig gesprochen 2007) nicht möglich, die Verurteilung durch das Heilige Officium (1887) zurückzunehmen, oder auch nur zu bedauern.

Seine Politik der Kontinuität konnte Irrwege des Lehramtes der Kirche nicht öffentlich eingestehen. Die Rücknahme des sogenannten „Limbus“ (2007) ist typisch für eine solche Vorgehensweise.

Ratzinger - © Foto: CLAUDIO ONORATI/ANSA/EPA
© Foto: CLAUDIO ONORATI/ANSA/EPA

Davon ist auch seine Amtszeit als Papst bestimmt. Gegen Bruch und bloße Kontinuität plädiert er für eine Hermeneutik der Reform, ohne jene Themen und Bruchlinien jetzt klar anzusprechen, die er noch in seinen Beiträgen zum Konzil nannte. Sein Schritt auf die Gemeinschaft von Lefebvre zu ging ins Leere und verschärfte die innerkirchlichen Spannungen. Auch wenn er wichtige Schritte im Missbrauchsskandal setzte, blieben seine Maßnahmen nicht entschieden genug.

Eine spätere Generation wird erforschen müssen, welche Entwicklungen ihn wirklich zum Rücktritt veranlassten. Dieser Schritt aber entmythologisierte jene Amtsaura, die der späte Johannes Paul II. noch verstärkte, weil Benedikt XVI. dadurch dieses Amt als Dienst für die Kirche definiert hat. Er war wohl nie wirklich mit diesem Amt eins. Als erster Papst veröffentlichte er ein Buch („Jesus von Nazareth“) unter einem Doppelnamen. Vielleicht wusste er es selber am besten, dass für dieses Amt seine Gutgläubigkeit und seine letzten Endes unpolitische Seele kein Vorteil war.

Mehr als Folklore?

Sein künftiges Bild wird sich meiner Ansicht nach an folgenden Fragen maßgeblich entscheiden. Ist der ihn prägende katholische Symbolkosmos, den er noch als Papst mit seinen Gewändern erneuern wollte, im Pluralismus der Gegenwart nicht letzten Endes vergehende Folklore, die ohne fundamentalistische Abschottung nicht zu haben ist?

Lässt sich das Zweite Vatikanische Konzil in den Kategorien von Reform und Kontinuität beschreiben, oder stellt es nicht eine jener epochalen Metamorphosen des Christentums dar, die als neues Pfingsten der Kirche die Gestalt des Glaubens in der Pluralität der Kulturen neu entwickelt und vermisst und in der auch die erste Inkulturation des Evangeliums im antiken Mittelmeerraum nur eine erste, wenn auch bleibend gewichtige Epoche darstellt?

Müssen wir dann nicht das Evangelium ganz neu in den Zeichen der Zeit lernen, und zwar in gleicher Weise im Dialog nach innen ebenso wie im Dialog mit allen Menschen guten Willens? Dann aber werden wohl jene Markierungen des ordentlichen Lehramtes, die Benedikt XVI. festzurren wollte, auf den Prüfstand stehen; - z.B. die Ausgestaltung des kirchlichen Amtes und die bislang prägende europäische Grammatik des Christentums. Wie sollte sonst katholische Kirche wirklich Weltkirche werden?

Gerade aber in einem solchen Prozess wird seine platonische Tradition des Christentums neu an Bedeutung gewinnen. Denn auch in diesem Prozess wird nach der bleibenden Gestalt des christlichen Glaubens gefragt werden; - wenn auch unter den nie aufhebbaren geschichtlichen und kulturellen Bedingungen einer bestimmten Zeit. Wie gesagt, noch ist es zu früh, diese Fragen zu beantworten. Wir müssen sie aber stellen, damit wir uns vor ihm verneigen können, ohne uns krümmen zu müssen: Requiescat in pace!

Der Autor ist em. Professor für Dogmatik an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Innsbruck.

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