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Aktiven der Landwirtschaft

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Alle Agrarfragen unterscheiden sich prinzipiell von den Problemen der Industrie und des Gewerbes, weil die Landwirtschaft auch in einer Periode stürmischer technischer Entwicklung an die Natur gebunden bleibt und nach wie vor dem ökonomischen Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag unterliegt. Selbstverständlich ist auch jeder Staat am Gedeihen der Landwirtschaft stärker interessiert als am Schicksal einzelner, spezialisierter Industriezweige; denn die Ernährung bildet die Grundlage des gesamten Wirtschaftslebens. Neben diesen Tatsachen muß Österreich aber auch seine geographische Lage zwischen dem Osten und dem Westen berücksichtigen, da Osteuropa als zuverlässiger Lieferant ausscheidet und die Transportwege nach Übersee ungewöhnlich lang sind, wobei noch erschwerend ins Gewicht fällt, daß die Bundeshauptstadt, deren gesicherte Versorgung unbedingt an erster Stelle steht, nicht im Zentrum, sondern an Peripherie des.l es Ji?gt,s;Auch’ ; Jeidet -die heimische-jLandwirtschaft -gegenwärtig unter der verhängnisvollen „Schere", den Differenzen der Preise zwischen den Industriewaren und den landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die eine Radikalisierung der bäuerlichen Wähler zu begünstigen pflegt. Anderseits verzeichnet die Öffentlichkeit drei bedeutende Aktivposten; den Aufstieg der landwirtschaftlichen Produktion, die Verbesserung des Agrarsektors der Handelsbilanz und den Vorzug, daß die Lebensmittelpreise in Österreich vielfach billiger sind als in anderen europäischen Staaten.

Ansteigen der Produktion

Selbstverständlich endete der zweite Weltkrieg mit einem gefährlichen Tiefstand der landwirtschaftlichen Produktion. Während der Krieg einen fühlbaren Zuwachs an Schafen, Ziegen und Pferden brachte, erlitten die Bestände an Rindern (—13 Prozent), Bienenvölkern (—45 Prozent) und Schweinen (— 48 Prozent) schwere Einbußen. Von 1937 bis 1946 gingen auch die Anbauflächen der Feldfrüchte zurück, besonders eindrucksvoll bei Weiten (—20 Prozent), Gerste (—31 Prozent) und Roggen (—36 Prozent). Infolge des raschen Absinkens der Produktivität und aller Hektarerträge trat dieser Niedergang bei der Ernte noch bedeutend stärker in Erscheinung; denn die Gesamtverluste erreichten bei Weizen 43, Roggen 49, Kartoffeln 58, Körnermais 59, Hafer 60 und Gerste 61 Prozent. Bekanntlich wurden diese Versorgungslücken mit ihren Hungerrationen zuerst durch die UNRRA und später mit Hilfe der Lieferungen des Marshall-Planes geschlossen.

Vor diesem düsteren Hintergrund vollzog sich dann der erstaunliche Aufstieg der Landwirtschaft, deutlich erkennbar an einem Vergleich der Viehbestände und Ernteergebnisse des Jahres 1960 mit der Vorkriegszeit, deren Standard nicht nur erreicht, sondern vielfach sogar bedeutend überholt wurde. Zunächst zeigt sich, daß der Stand der Bienenvölker um 2.4 Prozent, und der Schweine um 4.2 Prozent gestiegen ist. bei gleichzeitigem Übergang von den Fettschweinen zu den Fleischschweinen. Anderseits erlitt der Rinderbestand einen Verlust von

7.4 Prozent, obwohl die jährliche Milchproduktion in der gleichen Periode eine Erhöhung um 43.3 Prozent auf 2.84 Millionen Tonnen erfuhr. Größer und vielleicht sogar wichtiger waren die Erfolge des Ackerbaues; denn Österreich, allgemein als ein klassisches Roggenland bekannt, verwandelte sich in ein Weizenland. Die Anbauflächen hatten sich bei Weizen (+ 10.8 Prozent) und Gerste (+ 25.1 Prozent) vergrößert, bei Hafer, Roggen, Kartoffeln und Körnermais verkleinert. Da jedoch die Hektarerträge wegen des besseren Saatgutes und der verstärkten künstlichen Düngung eine sprunghafte Entwicklung nahmen, zeigte der Gesamtertrag 1960 — gemessen an den Verhältnissen von 1937 — zwar erhebliche Rückgänge bei Roggen (—26 Prozent) und Hafer (—27.8 Prozent), geringfügige Zunahmen bei Körnermais (+3.4 Prozent) und Kartoffeln (+5.5 Prozent), dagegen bedeutende Erhöhungen bei VfęįzeR (+ 75.5 Prozent), und Gerste (+404.5 Prozent).- Angesichts dieser Fortschritte ist die Feststellung gerechtfertigt, daß die Agrarpolitik einen richtigen Kurs steuert, obwoh: in Zukunft die Versorgung bei Mais Obst, Gemüse und Geflügel durch da: Inland allmählich verbessert werdet könnte.

Verbesserung der Handelsbilanz

Die Intensivierung der landwirt schaftlichen Produktion blieb auf di Gestaltung der Handelsbilanz nich ohne Einfluß. Nach den Werten be rechnet, entfielen vom Gesamtimpor auf den Ernährungssektor im Jahr 1937 noch 29.6 Prozent, im Vorjahi 13.2 Prozent, und von Jänner bisjun des laufenden Jahres nur meh: 10.1 Prozent. Dank den ausgezeichne ten Ernten sind die Importe von Wei zen und Gerste in raschem Sinken be griffen, so daß das Bild heute von Mais beherrscht wird. Da sich infolg der schweren Agrarkrise Osteuropa alle Staaten des Ostblocks in dei Maisexport flüchten mußten, sind ii jüngster Zeit auch manche Verschie bungen unter den Ursprungsländer! eingetreten. Rußland und Jugoslawin beanspruchen im Augenblick den Vor rang. Eine ständige Zunahme regi strierte im Widerspruch zum Gesamt bild seit Jahren der Import von Eieri (im 1. Quartal 84.9 Millionen Stück’ An erster Stelle steht zur Zeit Polen gefolgt von Israel, Bulgarien un Holland.

Die günstige Entwicklung ermöglichte natürlich auch eine Steigerung der Agrarexporte. Rückläufig sind Molkereiprodukte, obwohl es angesichts der herrschenden „internationalen Butterschwemme“ erstaunlich ist, daß sich die Einbußen bisher in einem bescheidenen Rahmen halten konnten. Der Butterexport nach Großbritannien ist sogar gestiegen (im Vorjahr 2903 Tonnen, im 1. Quartal 824 Tonnen). Nach den Direktiven des Landwirtschaftsministeriums wird das Schwergewicht künftig auf den Käseexport gelegt, da im Vorjahr 6056 Tonnen exportiert werden konnten, wobei als Hauptabnehmer Italien in Frage kam (4634 Tonnen), während gleichzeitig die Lieferungen nach den Vereinigten Staaten Zunahmen. Der Export von lebenden Tieren (darunter im Vorjahr 87.620, im 1. Quartal 22.963 Rinder) ging bisher ausschließlich nach Italien und Westdeutschland. Damit sind aber auch bereits die Gefahren gekennzeichnet, ,, die den Bemühungen der Agrarier durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft drohen, da sich Frankreich gerade in diesen beiden Staaten weite Absatzmärkte auf lange Frist sichern möchte. Schon jetzt stellt der Agrarsektor den Gemeinsamen Markt vor überaus komplizierte, vielfach geradezu unlösbare Probleme. Diese Verwirrung wird sich anläßlich der bevorstehenden Verhandlungen mit Großbritannien noch steigern, das seine gesamte Agrarwirtschaft einschließlich der Importe aus Übersee nicht kurzerhand revolutionären Reformen unterziehen kann. Im übrigen entsprechen die Sorgen des österreichischen Bauernstandes, wie den drohenden Exportverlusten mit Hilfe einer Assoziierung oder im Wege von Separatabmachungen über einzelne Produkte zu begegnen sei, Punkt für Punkt der analogen Situation in der Schweiz.

Ein schwieriges Problem bleibt auch die Zuckerverwertung. Die Anbauflächen von Zuckerrüben sind während des zweiten Weltkrieges um 60 Prozent gesunken, aber bis zum Vorjahr wiederum um 180 Prozent auf 44.835 Hektar gestiegen. Gleichzeitig hat sich der Hektarertrag von 25 Tonnen auf 42.5 Tonnen erhöht, so daß die Zuckerrübenernte 1.9 Millionen Tonnen erreichte gegen eine Million in der Vorkriegszeit. Die bisher verfügten Einschränkungen der Anbauflächen erwiesen sich als durchaus unzureichend, um die Überschußwirtschaft einzudämmen. Der Zuckerexport stößt außerdem auf ungewöhnliche Schwierigkeiten, obwohl in den Vereinigten Staaten, sichtlich eine Folge des Besetzungsregimes, neuerdings ein bescheidener Absatzmarkt für österreichische Zuckerwaren entstanden ist. Anderseits liegt unmittelbar vor der Grenze ein Zuckermarkt, um dessen Eigenart sich noch niemand kümmerte. Die Schweiz stieß nämlich bei Gründung ihrer zweiten Zuckerfabrik auf anscheinend unüberwindliche Hindernisse, so daß die meisten Kantone auf den Import von Zucker aus Frankreich angewiesen bleiben. In einer Zeit, in der vielfach von einer Annäherung zwischen Österreich, Schweden und der Schweiz gesprochen wird, erscheint es naheliegend, daß die heimische Zuckerindustrie einmal die Aussichten im westlichen Nachbarland prüft.

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