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Nützlich, aber bedrohlich

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Für den Normalbürger sind die Fragen schwer zu durchschauen. Dabei spricht fraglos einiges für die Gentechnik: Sie vermag Stoffe (etwa Insulin), die bisher nur mit großem Aufwand in kleinen Mengen hergestellt wurden, ausreichend und relativ billig zu produzieren. Pflanzen lassen sich lagerund transportfähiger oder resistent gegen Frost, Schädlinge und Pestizide machen. Bei Tieren hofft man, ein rascheres Wachstum, eine größere Leistungsfähigkeit und Immunität gegen Krankheiten erzielen zu können (Seite 15). Beim Menschen schließlich zielen die Bemühungen auf die Früherkennung schwerer Krankheiten, die Behebung von Erbdefekten, die Bekämpfung von Aids und Krebs ab.

Außerdem haben biotechnische Verfahren den Vorteil, bei normalem Druck und niedrigen Temperaturen abzulaufen, was Energie spart und den Einsatz aggressiver Chemikalien vermeidet. I Jnd noch ein Argument wird oft für die Gentechnik ins Treffen geführt: Ihr Einsatz lasse sich ohnedies nicht verhindern. In den Labors seien die Verfahren für morgen und übermorgen längst entwickelt, auf den Feldern in Ubersee wachse gentechnisch verändertes Soja und Mais. Allein in Kanada wurde Gentech-Raps der Sorte „Innovator" auf 140.000 Hektar geerntet.

Auch in Europa mehren sich die An-i I träge auf Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen: Ris Ende 1995 waren es in der EU 512. Aber allein im ersten Halbjahr 1996 kamen weitere 200 dazu. Führend ist Frankreich mit 228 Anträgen, gefolgt von Italien. In den allermeisten Fällen (nämlich 705) ging es um die Freisetzung von Pflanzen. Nur 27 Anträge gab es für Mikroorganismen.

Die Gentechnik

bewegt die Gemüter. Darf man in die Steuerung von Leben eingreifen? Welche Gefahren drohen? Ist der Mensch wenigstens tabu?

Im ersten Halbjahr 1996 hat die EU in drei Fällen gestattet, gentechnisch veränderte Organismen in den Verkehr zu bringen: herbizidresistenten Raps, eine teilweise herbizidresistente Chicoree-Pflanze und herbizidresistente Sojabohnen des US-Multi „Monsanto" (nur zur Einfuhr und Weiterverarbeitung).

Derzeit verfolgen vor allem internationale Chemiekonzerne die Strategie, ein Gift und genau auf dieses Pro dukt abgestimmte Ertragspflanzen anzubieten. Patente für gentechnische Veränderungen sollen die Rendite der hohen Investitionen sichern und große Weltmarktanteile bringen. „Nach der Jahrtausendwende, davon gehen die Experten aus, soll es weltweit nur noch acht große Chemiekonzerne geben, die den Pflanzenschutzmittelmarkt unter sich aufteilen werden," kennzeichnet „Rlick ins Land" die Entwicklung.

Wirtschaft und Politik setzen auf die Gentechnik, die sich bis zur Jahrtausendwende zu einem 500 Milliarden-Schilling-Markt entwickeln soll: „Der Gentechnik gehört die Zukunft, ob es uns gefällt oder nicht," erklärte EU-Kommissar Martin Rangemann. Er werde dafür sorgen, daß sie nicht aus Europa auswandert.

So gerät die Gentechnik in die Rolle eines Heilsbringers, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet, aber nicht nur da, wie eine Äußerung von Hubert Markl, dem Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, zeigt: „Ich bin absolut überzeugt davon, daß wir künftig gezwungen sein werden, auch mit den Methoden gentechnischer Sortenveränderung dafür zu sorgen, daß die Menschheit genügend nutzbare und schädlingsresistente Organismen verfügbar hat ... Daß dabei die Schöpfung manipuliert wird, ist richtig. Daß dies notwendig und sittlich geradezu geboten ist, um eben diese Schöpfung vor völliger Zerstörung zu retten, ist jedoch ebenfalls richtig."

An diesem Punkt setzen die Einwände der Gentechnik-Gegner an: Die Schöpfung sei so unfaßbar vielfältig, daß alle Versuche, sie dem Menschen zu unterwerfen, scheitern müssen - das gilt auch für die Gentechnik, die nur Bruchstücke der Vererbungsmechanismen durchschaut (Seite 14). Dieses blinde Hantieren werde spätestens in Jahrzehnten, wahrscheinlich viel früher, enorme, negative Nebenwirkungen erzeugen.

Die Analyse heutiger Umweltprobleme lehrt eindeutig: Keine massiven Eingriffe mit Instrumenten, deren Nebenwirkungen nicht durchschaut sind; keine kurzfristigen Vorteile, zu Lasten langfristiger Bedrohungen; keine Eingriffe mit Folgen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Die Welt ist schon jetzt mit Gefahren konfrontiert, für die es keine Lösungen gibt: Ozonverdünnung, Bodenver-sauerurig, Klimaerwärmung ...

Es ist unverantwortlich, sich in dieser Situation neue Probleme aufzuhalsen. Sie treten mit Sicherheit ein, auch wenn man sie heute im einzelnen nicht klar vorhersagen kann.

Und um welcher Vorteile willen werden diese Bisken eingegangen? Die Genmanipulation bei Tieren und Pflanzen beschert uns Produktionssteigerungen auf Überschußmärkten für Nahrungsmitteln, sie werden Millionen Bauern arbeitslos machen und eine Industrialisierung der Ländwirtschaft hervorrufen, die sich schon jetzt als Irrweg erweist.

Wenn schon das unbedachte Hantieren mit unbelebten Stoffen (Hauptgrund heutiger Umweltschäden) so problematisch ist, um wieviel schwerer werden die Folgen des Freisetzens

von Lebewesen sein, umso mehr als sie vom Konkurrenzdruck angetrieben überhastet erfolgen! Lebewesen sind vermehrungs- und unbegrenzt ver breitungsfähig. Einmal freigesetzt bekommen sie eine Eigendynamik (wie auch herkömmliche Pflanzen in fremden Milieus, Seite 16) und sind nur schwer oder gar nicht rückholbar. Man kann die I Ierstellung schädlicher Chemikalien stoppen und so den von ihnen erzeugten Schaden wenigstens begrenzen. Mit freigesetzten Bakterien geht das nicht.

Die Gegenüberstellung der Motive von Befürwortern und Gegnern sind wohl am sprechendsten: Auf der einen Seite geht es um rentablere Produktion, wirksamere Eingriffe zur Behebung von Krankheiten, Perfektionierung von Pflanzen, Menschen und Tieren, also um gezielte Steuerung von Leben ohne zwingende Notwendigkeit. Auf der anderen steht die Sorge um den Fortbestand der Schöpfung und die Erhaltung der Humanität des Menschen, der zum Spielball genetischer Manipulation zu werden droht.

Realistisch gesehen, wird man die Gentechnik nicht ganz abstellen können. Ihre Anwendung sollte aber extrem behutsam vorangetrieben und möglichst auf Verfahren in abgeschlossenen Räumen beschränkt werden. Vor allem gilt es aber, den Menschen vor der genetischen Inbesitznahme zu bewahren. Was hätten Hitler und Stalin alles mit dem heute angepeilten Wissen über die Erbstruktur des Menschen anzufangen gewußt!

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