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„Rationelle“ Landwirtschaft

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Zwei Drittel der Weltbevölkerung sind ungenügend ernährt. In den industrialisierten Ländern aber bereiten die immer mehr anwachsenden Vorräte an landwirtschaftlichen Produkten schon ernste Sorgen. Dem einzelnen Landwirt bereitet zur Zeit der Absatz noch weniger Sorgen als die ständig wachsende Minderung seines Einkommens. Dies zeigen die Diskussionen in Österreich ebenso wie in Deutschland und Italien. Zu welchen widersinnigen Maßnahmen es heute kommt, zeigen zum Beispiel die jüngsten Butterexporte der Niederlande nach Italien — zu 13 S pro Kilogramm! Auch Österreich liefert nach Großbritannien Butter um etwa den halben österreichischen Preis. Die USA liefern Getreide, besonders Mais, nach Europa um 30 Prozent billiger, als ihn der Farmer bezahlt erhält. So ist es kein Wunder, wenn Konsumenten auf den Gedanken kommen, es sei besser,-die Nahrungsmittel zu kaufen, als sie selbst zu erzeugen.

Obwohl seit Jahren, zum Teil schon seit Jahrzehnten gewisse Regelungen für die Erzeugung, den Handel, für Import und Export usw. bestehen, viele Preise vom Staat festgesetzt sind und fast in allen Industrieländern mehr oder weniger umfangreiche Gesetze der Landwirtschaft helfen sollen, beweisen die Landwirte aller Industrieländer mit einwandfreien Unterlagen, daß sie weniger als die Angehörigen anderer Berufe verdienen.

Tut Landflucht not?

Diese Unterbewertung der Landarbeit beschäftigt schon lange die Wissenschaftler. Wohl die gründlichste Untersuchung verdanken wir einem Österreicher, Dr. W. Kahler, mit seiner Studie: Das Agrarproblem in den Industrieländern (Verlag Vanden- hoeck und Ruprecht, Göttingen). Er kommt auf Grund seiner Untersuchungen zu dem Schluß, es gebe keine natürlichen Ursachen für diesen Zustand in den Industrieländern. Allein die Unordnung im Industriezeitalter, in der es die Industriegesellschaft besser verstanden habe, sich ihre Einkommen zu sichern, sei die Ursache.

Auch Prof. E. K. Winter hat sich in seinen letzten Lebensjahren viel mit landwirtschaftlichen Problemen befaßt und einmal gesagt: Die Landwirtschaft stammt aus der vorkapitalistischen Zeit und wird sich im kapitalistischen Zeitalter nie ohne Hilfe zurechtfinden.

Diesen Ansichten, die annehmen, daß die Landwirtschaft an sich in Ordnung ist und nur die Übergriffe der anderen Stände und Berufe die Schuld an diesem unbefriedigenden Zustand tragen, treten jene Agrarexperten gegenüber, die auf Erörterungen über die Ursachen verzichten und der Landwirtschaft den Weg weisen, den sie selbst (mit einiger Staatshilfe) gehen könne, um zu einem entsprechenden Einkommen zu gelangen. Die Landflucht (der Göttinger Professor Seedorf sagte, es müsse richtiger Landvertreibung heißen) wird nun zur Hilfe, und der aus den USA zurückgekehrte Prof. Brandt formulierte: Landflucht tut not. Die vereinfachte Formel heißt: Wenn die Ar

beitsleistung von zwei Männern ein Mann erbringt, so kann dieser eine Mann doppelt soviel verdienen. Gleichzeitig werden für andere Arbeiten eine Menge Menschen frei. Prof. Mansholt sprach von acht Millionen Bauern, die in Europa zuviel seien, Prof. Baade (Welternährungslage) schätzt die Zahl der bis zum Jahre 1975 aus der Landwirtschaft abwandernden Menschen auf 20 Millionen, und Greiling schätzt in seinem Buch „Wie werden wir leben?“ den Anteil der im Jahre 2050 in der Landwirtschaft Tätigen auf nur ein Promille der gesamten Bevölkerung der Erde.

Die Landwirtschaft hat im Verlauf von gut 100 Jahren ihre Produktivität gewaltig gesteigert. War vor dieser Zeit das Verhältnis landwirtschaftliche Bevölkerung zu nichtlandwirtschaftlicher 80:20, so ist es jetzt schon ■20 zu 80 und sogar darunter. Es gibt viele Berufe, die keine ähnliche Produktionssteigerung äufweisen können, zum Teil weil es eben nicht möglich ist, und sie sind doch nicht zurückgeblieben: in der Urerzeugung zum Beispiel der Kohlenbergbau.

Die Landwirtschaft steht deshalb überall diesen Lösungsversuchen besorgt gegenüber. Aber auch andere Gründe mahnen zu Vorsicht.

Da die Landwirtschaft ein Arbeiten mit und an der Natur ist, können landwirtschaftliche Maßnahmen nicht ohne Rücksicht auf Boden, Pflanzen,

Tiere und letzten Endes auf den Menschen erfolgen. Sie wirken deshalb immer langsam und sind nicht so leicht zu technisieren. Schon um die Jahrhundertwende galt der volkswirtschaftliche Lehrsatz, daß mit zunehmender Technik die Gewerbeprodukte billiger, die Agrarprodukte aber teurer werden. Gustav Schmollet sagte: Der Nahrungsmittelerzeugung steht eine Größe entgegen, welche die Technik nicht überwinden kann. Man kann froh sein, wenn die Verbilligung der Maschinenprodukte die Verteuerung der Lebensmittel ausgleicht oder ermäßigt.

Steigerung und Abfall

Es zeigte sich auch immer wieder, daß Maßnahmen, die zu großen Produktivitätssteigerungen führten, sehr bald gegenteilige Wirkungen hatten. Die USA arbeiten heute noch an der Beseitigung der Schäden, die durch das Umpflügen der Prärien und das Bebauen mit Weizen, ohne Rücksicht auf den Boden, entstanden. Die Auswirkung des Abholzens ganzer Wälder in den verschiedensten Teilen der Welt ist ausreichend bekannt.

Obwohl wir heute ein größeres Wissen haben und besonders die Ursachen der Erosion bekannt sind, sind wir doch noch weit entfernt, die Fol

gen abschätzen zu können, die eine so rationell geführte Landwirtschaft mit sich bringen kann. Die Landwirtschaft mit wenigen Menschen wird immer eine, nur etwas mehr oder weniger gemilderte Monokultur sein. Monokulturen aber sind in der Natur nur dort, wo sie ganz arm ist. Sie sind unnatürlich, und die Natur selbst arbeitet immer wieder daran, sie zu beseitigen. So ist der Schädlingsbefall nur in Monokulturen eine ständige Erscheinung, und die Schädlingsbekämpfung mit Gift deshalb unbedingt und, wie die Erfahrung zeigt, immer häufiger notwendig. Nun zeigen sich bei Pflanzen und Tieren immer häufiger Schäden, deren Ursachen nicht so ohne weiteres zu erkennen sind. Die Niederländer sind in der ganzen Welt als Kartoffelzüchter bekannt. Trotz ihrer langen Erfahrung und des günstigen Klimas wachsen die Schwierigkeiten bet der Erzeugung guten Saatgutes. So wurden 1960 rund 40 Prozent als viruskrank und zum Verkauf als Saatgut als ungeeignet erklärt. Auch die Gesundheit der Kühe in den Niederlanden läßt in manchen Gegenden nach. Bei Untersuchungen in 450 Betrieben wurden nur fünf Prozent der Tiere gesund befunden. Ähnlich schlecht ist auch der Gesundheitszustand in großen Milchfarmen in den USA. Besonders die Fruchtbarkeitsstörungen machen dort große Sorgen. Da die Kühe oft keine Anzeichen irgendeiner Krankheit zeigen, spricht man schon von der „hysterischen" Kuh. Kann nun eine kranke Kuh gesunde Milch bringen? Ein deutscher, in den USA lebender Wissenschaftler sagte, er könne den Beweis liefern, daß Milch von einer gar nicht einmal sehr gut genährten Kuh mit 2000 Liter Jahresleistung wertvoller sei als die Milch einer sehr gut genährten 6000-Liter-Kuh.

Prof. Winter, Bonn, hat vor einiger Zeit in einem Vortrag berichtet, daß Pflanzen, die in humushältigen Böden wachsen, gewisse Stoffe enthalten, die zur Gesundung unbedingt nötig sind. Diese Stoffe bewirken im kranken Körper die notwendige Umstellung. Pflanzen, die in humusfreiem Substrat wachsen, enthalten diese Stoffe nicht. Wie sind in dieser Hinsicht die Produkte der viehlosen Wirtschaften zu bewerten?

Schließt sich hier nicht ein Kreis?

Weil die Industriewelt der Landwirtschaft den gerechten Lohn nicht geben will, rächt sich diese unbewußt, indem sie ihr immer weniger wertvolle Produkte liefert. Es sind keine „Lebens"-, sondern nur noch „Nahrungs"- mittel (Kollath), allerdings, den Voraussagen der Optimisten zufolge, in ungeheuren Mengen. Es ist wohl kein Zufall, daß das Wort „Mangel im Überfluß“ aus den USA kommt, wo die nun auch für Europa als Rettung geforderte Art der Landbewirtschaftung am meisten verbreitet und am stärksten entwickelt ist.

Österreich steht noch am Scheideweg. Um so leichter sollte es sein, den rechten Weg zu finden. Den Weg wiesen sollten die Wissenschaftler und Politiker, den Weg bauen müssen die Konsumenten mit ihrer Einsicht.

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