"Weibliche Vielfalt für Vielfalt des Lebens"

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Große Fortschritte in der Gentechnik und die Konzentration der Agro-Industrie führen zur weltweiten Vereinheitlichung der Anbau-Methoden. Gegen diese problematische Entwicklung wendet sich eine Inititative von Frauen. Mit deren Gründerin sprach Dolores Bauer.

die furche: Frau von Weizsäcker, Sie haben mit einigen Freundinnen vor Jahren die Bewegung "Divers Women für Diversity" ins Leben gerufen. Was war der Anstoß für diesen Schritt?

Christine von Weizsäcker: Es werden heute laufend schwerwiegende Entscheidungen getroffen, an denen die betroffenen Menschen, die Frauen vor allem, keinen Anteil haben. Das ist auf die Dauer unerträglich und auch gefährlich. Schließlich geht es darum, welche Regeln sich die Staatengemeinschaft geben wird, um den Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit zu gewährleisten. Wir dürfen nicht untätig bleiben anlässlich der ungemein schnellen Durchsetzung der Gentechnik vor allem im landwirtschaftlichen Bereich.

die furche: Wie ist es zu dieser Vernetzung von Frauen gekommen?

Weizsäcker: Es ist eine Geschichte von gewachsenen Freundschaften und intensiver Zusammenarbeit von sehr unterschiedlichen Menschen sehr unterschiedlicher Herkunft. Da sind Frauen, die Bäuerinnen in Bangladesch vertreten, Landlose in Brasilien, Ökobäuerinnen oder Konsumentenschützerinnen in Europa, Juristinnen aus Amerika und viele andere. Die Frauen arbeiten zusammen, weil man lebenswichtige Entscheidungen nicht einfach irgendwelchen Karrierediplomaten und selbsternannten Experten überlassen darf, die von den wahren Problemen keine Ahnung haben.

die furche: "Weibliche Vielfalt für die Vielfalt des Lebens" nennt sich diese Bewegung, die den Kampf gegen die Ausdünnung der Artenvielfalt auf ihre Fahnen geschrieben hat...

Weizsäcker: Der Begriff Artenvielfalt greift hier zu kurz. Es geht um die Vielfalt von Ökosystemen, von gewachsenen Zusammenhängen und dann erst geht es um die Vielfalt der Arten und der Sorten innerhalb der Arten, um die Weite oder Enge des Genpools. Schauen Sie die Menschen an, kein Gesicht ist wie das andere. Es würde also wenig nützen, würde man nur zwei Exemplare retten. Die ganze Bandbreite von Vielfalt zeigt die politische Sprengkraft, die in diesem Thema steckt. Es geht schließlich darum, ob man verschiedene einzelne Gene in der Tiefkühltruhe retten will oder die gewachsenen Zusammenhänge zwischen Natur und Kulturen an den jeweiligen konkreten Orten.

die furche: Gibt es Beispiele, an denen Sie die politische Sprengkraft, von der Sie sprechen, festmachen können?

Weizsäcker: Nehmen Sie nur dies: Es wird heute schon diskutiert, ob Regierungen ihre Kleinbauern überhaupt noch unterstützen dürfen oder ob diese Berufsgruppe als Hindernis für den globalen Handel zu werten ist. Überlegen Sie nur, was das für Österreich bedeuten würde. Und es geht nicht nur um die österreichischen Biobauern, sondern um die Mehrheit der Bauern dieser Welt, die nicht für den Weltmarkt, sondern für den lokalen Markt produzieren. Das ist nicht nur eine existenzielle Frage für die Bauern, sondern für die Gesamtheit der gewachsenen Kulturen und dies verlangt nach politischem Handeln.

die furche: Es gibt schon Leute, die sich beklagen, dass es diese oder jene Apfelsorte nicht mehr gibt. Aber den meisten ist es doch ziemlich egal, ob es zwei oder zehn Erdäpfelsorten gibt, solange diese halbwegs schmecken und zu billigen Preisen zu haben sind.

Weizsäcker: Dass man zu einem bestimmten Zeitpunkt, in einer bestimmten Klimazone, auf einem bestimmten Boden eine bestimmte Sorte anbaut, ist ja in Ordnung. Nicht in Ordnung ist hingegen, wenn auf jedem Erdäpfelfeld der Welt die gleiche Sorte wächst. Das kann gefährlich werden, weil die Zukunft offen ist.

die furche: Gibt es konkrete Beispiele?

Weizsäcker: Zu Hauf. Nehmen wir nur den Mittelwesten der USA. Da versagte vor Jahren die die flächendeckend angebaute Hochleistungs-Weizensorte, weil sie für einen bestimmten Erreger nicht resistent war. Weltweit wurde nach einer noch resistenten Sorte gesucht. Gefunden wurde sie schließlich in einer entlegenen Bergregion Äthiopiens, in der Bauern leben, von denen es hieß, sie seinen zu dumm, um sich den Segnungen des Fortschritts zu öffnen.

Eine andere Geschichte erzählte mir der bekannte Sozialwissenschaftler Gustavo Esteva aus dem Hochland von Mexiko: Eine Entwicklungshilfeorganisation hatte den Bauern Saatgut für eine Hochleistungsmaissorte geschenkt. Fünf Jahre lang brachte die neue Sorte hohe Erträge. Alle waren begeistert. Das ließ allerdings schnell nach. Der Mais wollte nicht mehr so richtig. Dünger, Herbizide, Pestizide wurden notwendig. Die aber konnten die Bauern sich nicht leisten. Dann riet ein Experte, man sollte Bohnen zwischen den Mais pflanzen. Das geschah, aber die Bohne brauchte viel Wasser - und das war nicht vorhanden. Die Alten erinnerten sich, dass man früher eine kleine blaue Bohnensorte zwischen dem Mais hatte, die mit ganz wenig Wasser auskam. Es begann die Suche nach dieser Bohne. Gustavo Esteva besuchte Verwandte in einem entlegenen Tal und berichtete von dem Problem. Zuerst Kopfschütteln, aber dann erzählte einer von einem Verrückten, der irgendwo allein mit seinem Hund in den Bergen lebt. Tatsächlich, er hatte noch ein kleines Feld dieser alten Bohnensorte. Dann funktionierte auch der Mais wieder. Aber man kann doch nicht auf Dauer einem Optimierungsprinzip huldigen, bei dem man von äthiopischen Hinterwäldlern und einem verrückten Mexikaner abhängig ist, die das erhalten, von dem wir meist zu spät merken, dass wir es brauchen.

die furche: Aber hat sich die Politik, haben letztlich wir alle uns nicht längst schon in die Geiselhaft der agroindustriellen Großkonzerne begeben?

Weizsäcker: Bis zu einem gewissen Grad sicher. Daher ist es notwendig, dass wir uns zusammentun und auszubrechen versuchen. Nehmen wir die USA: Da gibt es diese innige und direkte Verzahnung zwischen der Regierung und einigen chemischen Großkonzernen. Offensichtlich denkt man: Wenn wir weiter den Weltpolizisten und eine Führungsrolle in der Machtpolitik spielen wollen, müssen wir es machen wie die Pharaonen: Sie ließen die Ernte, das Saatgut auch nicht bei den kleinen Bauern, sondern lagerten alles in den zentralen Riesenscheunen des Hofes. So konnte sich nicht jeder Bauer einen kleinen Grabstein für den Opa leisten, der Pharao aber konnte die abhängigen Bauern zur Zwangsarbeit missbrauchen und sich eine Pyramide als Grabmal errichten lassen. Das war gut für die Macht. Ähnlich läuft dies heute: Dadurch, dass wir die Vielfalt in den Genbanken gelagert haben, wurden die Äcker der Bauern frei für das Uniforme. Und dazu kommt noch, dass diese in Genbanken eingefrorene Vielfalt keine lebendige, sondern untrainierte, nicht mehr auf die Umwelt abgestimmte Vielfalt ist. Das ist eine Vielfalt, die die Veränderung der Böden, die Weiterentwicklung der Schädlinge nicht mitmachen kann.

die furche: Ist etwa der Mais, der vielleicht eines Tages aufgetaut und ausgebracht wird, denn nicht mehr der, als der er in die Genbank gewandert ist?

Weizsäcker: Der Mais ist nicht mehr derselbe und die Gegend, in die er kommt, ist auch nicht mehr dieselbe, ganz abgesehen vom Klima, das sich geändert hat. Wie ein Mensch, der aus dem Tiefschlaf erwacht, nicht zu Hochleistungen fähig ist, wird auch dieser Mais nicht in bester Verfassung sein. Man wird ihm also auf die Sprünge helfen müssen. Baut man ihn aber ein paar Mal unter optimalen Bedingungen an, so wird er zum zahmen Mais, der auf optimale Bedingungen angewiesen ist. Zu meinen, man könne Saatgut straflos aus dem lebenden Zusammenhang in die Tiefkühltruhe exilieren, ist eine Illusion. Und dazu kommt, dass mit den chemisch oder gentechnisch manipulierten Hochleistungssorten ganz neue Anbaumethoden notwendig geworden sind, die äußerst kapitalintensiv und daher für die Armen unzugänglich sind, weil diese sich weder die Chemie, noch Bewässerungssysteme leisten können.

die furche: Und die Armen - das habe ich in allen Teilen der Welt gesehen - sind mehrheitlich weiblich.

Weizsäcker: Ja, genau. Und das ist auch der Grund, warum die Bäuerinnen weltweit anfangen, ihre Stimme zu erheben. Sie haben begriffen, dass der Hunger gemacht wird, dass da irgendwo Leute sitzen, Konferenzen abhalten und von Armutsbekämpfung reden, in Wahrheit aber nur an die Profite der Großkonzerne denken und weitere Hungersnöte produzieren.

die furche: Welche Argumente stehen da auf der anderen Seite?

Weizsäcker: Es ist ja an sich schon abenteuerlich genug, dass man Saatgut herstellt und absichtlich unfruchtbar macht. Das heißt: Du kannst das Zeug nach der erstmaligen Aussaat zwar noch essen, aber nicht mehr aussäen. Wenn eine Firma, die ein Patent auf eine solche Sorte besitzt, also ein Patent auf den Stopp des Gottesgeschenkes Fruchtbarkeit, dann auch noch erklärt, das sei der eigentliche Innovationsschritt, da es die dummen, fortschrittsfeindlichen Bauern weltweit dazu zwinge, sich jetzt endlich der technologischen Zukunft zu öffnen, dann würde ich sagen, ist das blanker Zynismus. Und wenn die Frauen der Welt anfangen, sich dagegen zu wehren, kann ich nur sagen: endlich!

Das Gespräch führte Dolores Bauer.

Zur Person: Brillante Intelligenz und herber Charme

"Brillante Intelligenz, enormer Einsatz, herber Charme" - diese Begriffe fallen einer alten Freundin spontan zur Person Christine von Weizsäcker ein. Eine interessante Kombination. Noch während ihres Biologie-Studiums in Edinburgh lernt sie den Biologen Ernst Ulrich von Weizsäcker kennen und heiratet in den berühmten deutschen Weizsäcker-Clan ein, der es der ehrgeizigen jungen Dame nicht immer leicht gemacht haben dürfte. Trotz ihrer fünf Kinder gelingt es ihr, sich in Fachkreisen einen Namen zu machen, wenn dieser auch wegen ihres Engagements in Sachen Ökologie nicht immer nur positiv besetzt war und ist.

Sie ist Sprecherin von "Ecoropa" bei allen UNO-Konferenzen, wo es um den Komplex Biodiversität geht. Vor drei Jahren gründete sie gemeinsam mit anderen Frauen die Bewegung "Divers Women für Diversity". Ziel ist eine weltweite Vernetzung von Frauen für die Erhaltung der Vielfalt des Lebens. "Die Biodiversität - Vielfalt des Lebens Erhaltung und Entfaltung" ist auch das Thema der "GLOBArt Academy" (30.8-2.9. in Pernegg, Niederösterreich), an der Frau von Weizsäcker mitwirkt.

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