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Wem gehoren die Pflanzen dieser Welt?

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Der Hauptanteil der Welternährung besteht nur mehr aus rund 30 Pflanzenarten. Sogenannte Gen-Banken sind zu einem weltweiten Machtfaktor beim Verteilen von Saatgut geworden.

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Der Hauptanteil der Welternährung besteht nur mehr aus rund 30 Pflanzenarten. Sogenannte Gen-Banken sind zu einem weltweiten Machtfaktor beim Verteilen von Saatgut geworden.

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Speckig oder mehlig? Mehr will der Verkäufer am Markt nicht wissen, denn mehr hätte er auch nicht anzubieten. Wer heute Erdäpfel verlangt, kauft meistens Bintje. Dabei gab es schon im 17. Jahrhundert, als die Kartoffel aus Lateinamerika nach Europa eingeführt wurde, höchst unterschiedliche Sorten: gelbe und schwarze, mit dünner oder mit dicker Schale, Kartoffeln zum Braten oder zum Backen. In einem französischen Dorf differenzierte man sogar nach Religionszugehörigkeit: die Protestanten bauten rote Kartoffeln an, die Katholiken gelbe.

Heute beherrschen drei Sorten das Gros der europäischen Felder und auch bei anderen Gemüse-, Obst- und Getreidesorten hat sich die'Vielfalt der Arten drastisch reduziert.

Wir gehen mit dem genetischen Erbe unserer Nahrungspflanzen so sorglos um, als befände sich tatsächlich eine zweite Welt in unserem Kofferraum. Was wir stattdessen haben, ist eine sogenannte Dritte Welt arm an Geld aber reich an genetischer Vielfalt. Um diese genetische Vielfalt ist zwischen Nord und Süd ein alter Konflikt neu entbrannt, der sich in der Frage zuspitzt: Wem gehören die genetischen Ressourcen, die Pflanzen dieser Erde? Wahrscheinlich eine der entscheidendsten Fragen für die Menschheit, behauptet die Biologin Christine von Weizsäcker. Ihr Argument: „Das Geben und Entziehen von Nahrung ist das wirkungsvollste Machtmittel der Welt.”

Noch im Mai dieses Jahres sah Jacques Diouf, Chef der UN Ernährungsund Landwirtschaftsorganisation

(FAO), die Welt am Bande einer „Katastrophe”, denn die Getreidevorräte sinken und das bedeutet, die Preise für Weizen, Reis, Mais steigen. Mindestens bis zum Jahr 2000 geht die OECD von hohen Weizenpreisen aus. Aber heute schon sind 80Ö Millionen Menschen chronisch unterernährt und 200 Millionen Kinder unter fünf Jahren leiden an Protein- und Energiemangel. Diese Zahlen wurden bei der FAO-Tagung über pflanzengenetische Ressourcen Mitte Juni in Leipzig präsentiert, eines der Vorbereitungstreffen für den Welternährungsgipfel vom 13. bis 17. November in Rom. Schon dort hatte die Frage, wem die Pflanzen dieser Erde gehören und wie die „Rechte der Bauern” zu finanzieren-seien, die

Konferenz entzweit. Die „Rechte der Bauern” wurden schon vor Jahren als Gegengewicht zu den anerkannten Pflanzenzüchter- und Patentrechten eingeführt. Viele Entwicklungsländer fordern Schutz vor der sogenannten Gen-Piraterie. Dabei benutzen Saatgutfirmen aus dem Norden den Süden als kostenlosen Lieferanten von genetischem Material, mit dem sie neues Saatgut herstellen, das sie sich patentieren lassen. Diejenigen, die die Pflanzen jahrhundertelang gepflegt und erhalten haben, gehen leer aus, ja sie müssen sogar noch für das neue Saatgut zahlen.

„Die Frauen erhalten in Wirklichkeit die Artenvielfalt”, davon ist Jacqueline Nkoyok, Direktorin des Center of Indigenous Knowledge in Kamerun überzeugt: „Die heutigen, modernen Wissenschafter bauen auf dem Wissen dieser Menschen auf”.

Während Cary Fowler von der FAO die Bedeutung der Bauern anerkennt und meint, „sie machten aus den lokalen Sorten Kulturpflanzen und lieferten uns jene Vielfalt, die wir heute haben”, steht die Internationale Vereinigung von Pflanzenzüchtern den „Bechten der Bauern” skeptisch gegenüber. Ihr, Vertreter Bernard Le Buanec wischt die Forderung nach Entschädigung vom Tisch: „Niemand war bis jetzt in der Lage zu definieren, was die Rechte der Bauern überhaupt sind.”

Internationale NGOS (non governmental organizations) verweisen wiederum auf die Bestrebungen der Biotechnologieindustrie, gentechnisch veränderte Pflanzen und Pflanzenteile als Patent anzumelden. So sieht die indische Physikerin und Ökologin Vandana Shiva den AViderstand gegen die Patentierungsbestrebungen der Industrie als einen Anti-Sklavenkampf unserer Zeit und vergleicht manche Unternehmen mit den früheren Kolonialherren: „Die Kolonialherren nahmen sich das Recht heraus, Sklaven zu besitzen und die Biotechnologen meinen heute, Eigentümer von Leben zu sein.” Die Firmen, so Vandana Shiva, gehen einfach in die Botanischen Gärten oder in die Genbanken und holen sich dort jenes genetische Material, das ihnen in Wirklichkeit nicht gehört.

Und tatsächlich befinden sich die „wohlhabendsten” Genbanken in den Industrieländern, zum Beispiel in Deutschland. Die Genbank von Ga-tersleben (Sachsen-Anhalt) zählt zu den größten „Saatgutmuseen” Europas, sie verfügt über die weltgrößte Sammlung von Wildarten, untergebracht in einem Kühlhaus. Die meisten Pflanzen werden nicht mehr angebaut, sondern nur mehr gelagert, als letzte Rettung vor dem Aussterben. „Leichenschauhaus” bezeichnen Kritiker diese Art der Artenrettung. „Als riesige Bibliothek mit 100.000 Einmachgläsern” will Karl Hammer, Leiter der Genbank von Gatersleben, sein Institut verstanden wissen.

Die Frage, wem die Pflanzen dieser Erde gehören, bringt Karl Hammer nicht in Verlegenheit. „Allen”, meint er, denn die Pflanzen sind das Erbe der Menschheit.

Eine ganz andere Antwort bekommt Christine von Weizsäcker zu hören, wenn sie Kindern dieselbe Frage stellt. Viele von ihnen meinen: „Die Pflanzen gehören sich selbst.”

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