Auf dem Weg zur Optimierung des Menschen - © iStock / Just_Super

Der Tod des alten Adam

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Transhumanisten wollen Mensch und Maschine verschmelzen, Alter und Tod überwinden oder andere Planeten kolonialisieren. Warum all das zum Albtraum gereicht.

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Transhumanisten wollen Mensch und Maschine verschmelzen, Alter und Tod überwinden oder andere Planeten kolonialisieren. Warum all das zum Albtraum gereicht.

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Der Begriff „Transhumanismus“ ist heute zu einem Modewort geworden, dessen sich alle möglichen Disziplinen, aber auch zusehends die Kunst und die Elektronik bedienen. Dementsprechend viele Hoffnungen mehr oder minder utopischer Art versammeln sich unter transhumanistischer Flagge.

Eine dieser Hoffnungen ist die Unsterblichkeit. Um ihr näherzukommen, bedienen sich Wagemutige der Technik des Tiefkühlens ihres Körpers, bisweilen nur ihres Kopfes. „Kryonik“ nennt sich das Verfahren, es wird bereits in den USA, in Russland und vermutlich auch anderswo angeboten. Der kryonisierte Mensch hofft, eines Tages wieder aufgetaut und zum Leben erweckt zu werden. Dabei bildet die „Lagerung“ des Bewusstseins das größte Problem. In Richard Morgans Utopie „Altered Carbon“ aus dem Jahre 2002 – deutsch: „Das Unsterblichkeitsprogramm“ – steht eine Technologie zur Verfügung, um das Bewusstsein eines Menschen, nach Abspeicherung auf einem künstlichen Datenträger, in das Gehirn eines wiederbelebten Körpers, möglicherweise eines Klons, zu reimplantieren.

Bleibt die Frage, wie die Menschheit als Ganzes auf unserem Planeten überleben könnte. Die Antwort: gar nicht! Schon nach etwa 700 Millionen Jahren wird aufgrund veränderter Sonnenaktivität kein Leben auf Erden mehr möglich sein. Was tun? In einigen renommierten „Think-Tanks“ der Welt soll bereits über Szenarien eines „Exodus“ der Menschheit ins All nachgedacht werden – das heißt, realistisch gesprochen: der kosmischen Aussiedelung einer winzigen, höchstprivilegierten Teilmenge unserer Spezies.

Programmierte Kreaturen

Nichts von all dem kann beanspruchen, in die Nähe heute möglicher Technologien zu kommen. Dass der Mensch auf dem Weg zum optimierten Mensch-Maschine-Konglomerat, dem „Cyborg“, ist, scheint freilich unbestreitbar. Gerade deshalb wird heute wieder viel über „Natürlichkeit“ geredet. Aber was ist „natürlich“? Die transhumanistische Erwiderung lautet: Nichts, das uns binden dürfte! Eltern sollten demnach, exemplarisch gesprochen, nicht daran gehindert werden, die bestmöglichen genetischen Voraussetzungen für eine glanzvolle Karriere ihrer Kinder zu schaffen. Dem ist entgegenzuhalten: Wenn wir erst zu genetisch manipulierten Mensch-Maschine-Wesen nach den Maximalvorstellungen unserer biologischen Erzeuger geworden sind, dann verlieren unsere Unternehmungen auf einer existenziellen Ebene rasch an Wert. Wir schreiben vielleicht die besten Bücher, malen die schönsten Bilder, bauen die perfektesten Städte, aber wir tun dies alles nach Programmen und mittels Technologien, die ebenso hochleistungsfähigen Robotern hätten implantiert und zugeschaltet werden können.

Der einzige Unterschied besteht darin – obwohl manche Vertreter der künstlichen Intelligenz anderer Meinung sind –, dass Roboter kein Bewusstsein haben und daher die Bedeutung dessen, was sie tun und lassen, nicht verstehen. Wir hingegen verstehen. Und wir wissen daher, dass nichts, was wir als schöpferische Wesen an Bedeutsamem vielleicht hätten schaffen können, noch eine Bedeutung hat, sofern wir es als programmierte Cyborgs hervorbringen. Wir verstehen, dass wir biorobotermäßig nichts weiter tun als dasjenige, was jede außengelenkte Kreatur desselben Typs auch zu leisten imstande wäre. Der Transhumanismus, zu Ende gedacht, ist ein Albtraum, geeignet, die verstiegenen Hoffnungen einiger Menschenzüchter und Digital-Avantgardisten zu befriedigen. Es sind Hoffnungen, die heute so mancher Traktat nährt, dessen Untertitel proklamiert: „Nach dem Tod des Humanismus“. Dabei werden die politischen Folgen des radikalisierten Posthumanismus in aller Regel entweder bewusst verschwiegen oder mit rhetorischen Pauken und Trompeten der Leserschaft eingehämmert. In Wahrheit geht es um die totale Macht, die mit dem „Menschenpark“ (Peter Sloterdijk) – dank der Möglichkeit einer totalen Kontrolle über die Gen-Cyborgs – endlich dauerhafte Realität werden könnte.

Wenn wir zu genetisch manipulierten Wesen geworden sind, dann verlieren unsere Unternehmungen auf existenzieller Ebene rasch an Wert.

Eine Schlüsselrolle würden jedenfalls Experten zur Formung des neuen Menschenmaterials spielen. Die Realität lehrt, dass Expertenmacht degeneriert; sie funktioniert dann unter dem profitablen Druck von mächtigen Lobbys und politischen Machiavellisten, die das vorhandene „Know-how“ nützen, um dem Volk eine Plutokratie zu oktroyieren. Diese setzt sich, holzschnittartig gesprochen, aus Drohnen und Arbeitern zusammen – aus solchen, welche an den Privilegien der Herrschenden teilhaben dürfen, und solchen, die zu niederen Diensten fernab der Futtertröge gebraucht werden.

Und nun stelle man sich einmal eine transhumanistische Version dieser historisch manifesten Herrschaft der Starken, Schlauen, Skrupellosen über die Schwachen und Gutgläubigen vor. Hier eine Sekundenskizze des Schreckens angesichts der dann vorhandenen Möglichkeiten, mithin einer Gesellschaft, in der das Versprechen auf Unsterblichkeit bereits eingelöst ist:

Erstens, die Menschheit zerfällt in Klassen, die einander ständig belauern. An den Extremen gibt es einerseits die Klasse der Habenichtse, denen kein ewiges Leben gewährt wird, weil es andererseits die Profiteure des Systems gibt, die Besser- und Bestgestellten, denen ständig Langlebigkeitsressourcen bereitgestellt werden – bis hin zur
obersten Klasse, deren Mitglieder alle Mittel, ob human oder inhuman, ausschöpfen, um dem Tod für immer zu entfliehen.

Zweitens, aus Nietzsches Pathos im Nachtwandler-Lied: „denn alle Lust will Ewigkeit –, – will tiefe, tiefe Ewigkeit“, ist ein Existenzprogramm geworden, worin die Lust am Leben auf die Gier, nicht sterben zu müssen, verschoben wurde.

Drittens, weil letzten Endes ein Mindestmaß an Lust erforderlich ist, damit den relativ Freien und Wohlbestallten ihr Leben als sinnvoll erscheint, sorgen synthetisierte Drogen dafür, dass jeder/jede/jedes, jeder Cyborg, jedes Mensch-Maschine-Geschöpf, sein hinreichendes Quäntchen designter Lebendigkeit erhält. An die Stelle authentischen Lebens ist ein künstlich stimuliertes, chemisch induziertes Wohlbehagen getreten, dessen Gewährung in der Regel vom systemischen Wohlverhalten des Einzelnen abhängt.

Künstlich stimuliertes Wohlbehagen

Aus all dem geht hervor, dass der abendländische Humanismus, der ein Produkt aus griechisch-römischer Antike, Christentum und Aufklärung darstellt, keineswegs zu jenen Idealen zählt, die bereits weit in die Geschichte zurückgesunken sind. Man ist nicht inaktuell, reaktionär oder nostalgisch, wenn man darauf beharrt, dass heute, wo wir an der Schwelle zu „unendlicher Perfektibilität“ und – gleichzeitig – zur Menschheitsapokalypse stehen, der Humanismus eine neue Sprengkraft entfaltet. In ihm überdauert, was uns als Menschen erst vor uns selbst sichtbar macht. Und unser Konzept der Natürlichkeit spielt dabei eine maßgebliche Rolle.

Wir wissen, dass gewisse Dinge gut und andere schlecht sind. Das ist Teil unserer Natur, die sich keinesfalls auf reine Biologie reduzieren lässt, solange wir denken, wir seien autonome Wesen mit einer unabdingbaren Würde. Sollten wir jenes Wissen erst einmal verloren haben, dann – und nur dann – hätte die Stunde des transhumanistischen Menschenparks geschlagen. Dieser könnte allerdings, angesichts der „Overkill“-Kapazitäten in den Waffenarsenalen rund um den Erdball, bald schon leer stehen. Denn es wäre immer noch der alte Adam, der, sich als Übermensch gebärdend, über den „Park“ herrschen und ihn verwüsten würde, nach dem schier zeitlosen Motto des Oswald Spengler: „Menschengeschichte ist Kriegsgeschichte.“

Der Autor lehrt Philosophie an der Universität Graz.

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