Ilona Otto: „Wir könnten Vorreiter sein“
Sozialforscherin Ilona Otto über Risiko-Kaskaden, neue Ansatzpunkte im Klimaschutz und Österreichs Rolle beim geplanten Kohlenstoff-Siegel.
Sozialforscherin Ilona Otto über Risiko-Kaskaden, neue Ansatzpunkte im Klimaschutz und Österreichs Rolle beim geplanten Kohlenstoff-Siegel.
Die Anzahl der Hitzetage hat in den letzten zwei Jahrzehnten stark zugenommen. Der Grund: die menschengemachte Klimakrise. Am 11. Mai 2022 wurde heuer erstmals die 30-Grad-Marke in Österreich erreicht. An diesem Tag führte die FURCHE ein Interview mit Ilona M. Otto, Professorin am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel an der Universität Graz. Dort forscht sie zu den gesellschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels. Zudem ist sie am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung tätig. Das ganze Gespräch ist im FURCHE-Podcast nachzuhören.
DIE FURCHE: Aus der Klimaforschung kennt man komplexe Risiko-Kaskaden. Welche Auswirkungen hat nun der Ukrainekrieg?
Otto: Wir sehen bereits, dass die Energie- und Lebensmittelpreise steigen. Die Preishöhepunkte entstehen vor allem durch die erschwerte Getreideproduktion in der Ukraine, aber auch durch Spekulationen von Finanzinvestoren. Diese wissen, dass in naher Zukunft auf dem Weltmarkt weniger Getreide zur Verfügung stehen wird. Daher kaufen sie mehr als normalerweise ein, was zu einer Knappheit führt. Auch in den Supermärkten fehlen einige Produkte bzw. ist die Auswahl eingeschränkt. Das kommt daher, dass die Menschen mehr kaufen als sie benötigen, weil sie eine Preissteigerung erwarten.
DIE FURCHE: Es gibt die Hoffnung, dass dieser Krieg in Europa die Maßnahmen für den Klimaschutz beschleunigen wird...
Otto: Tatsächlich könnten Krieg und steigende Energiepreise zu einem rascheren Übergang zu erneuerbaren Energiequellen führen. Große finanzielle Umschichtungen im Energiesektor könnten genutzt werden, um die Erneuerbaren zu unterstützen und deren Speicherkapazitäten zu erhöhen. Zum Teil passiert das in der EU bereits. Zugleich aber reisen westliche Politiker in den Nahen Osten, um Verträge für fossile Brennstoffe auszuhandeln. Wir begeben uns also von einer Abhängigkeit von einer Diktatur, die auf fossile Brennstoffe aufbaut, in die nächste.
DIE FURCHE: Wie weit muss die Klimakrise noch sichtbar werden, um die Gesellschaft endlich wachzurütteln?
Otto: Je länger wir die Maßnahmen aufschieben, desto schwieriger und kostspieliger wird das Erreichen der Klimaziele. Die aktuelle Situation bietet noch Möglichkeiten, einem irreversiblen Szenario entgegenzuwirken. Jeder Tag ist ein guter Tag, um sich für die 1,5 Grad einzusetzen!
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