Kalenderreform?
Die Kluft von Rationalisierern un Ökologen zeigt sich auch hier.
Die Kluft von Rationalisierern un Ökologen zeigt sich auch hier.
Der zur Erheiterung publizierte Beitrag „Kalenderreform" (FURCHE 17/84) löste eine Diskussion aus, die wir mit der heutigen Darstellung der Probleme beenden wollen.
Unser rechtlich verbindlicher Gregorianischer Kalender hat 1582 eine erstaunlich gute Annäherung an die Naturmaße Erdrotation und scheinbarer Sonnen-und Mondlauf mit den Mitteln seiner Zeit erreicht. Jeder Kalender aller Zeiten und Völker ist im Grunde ein Kompromiß zwischen Tradition und Astronomie dieser Zeit. Seine relativ noch nicht großen Schönheitsfehler sind auch mit den Augen von 1984 nicht sehr merkbar, und so kam es, daß er ab dem letzten Jahrhundert sogar von Staaten, die den Christen fern standen, neu eingeführt wurde (z. B. Japan, China, Sowjetunion, Türkei u. a.).
Die Hauptpunkte der Kritik am Kalender kann man aus den Protokollen des Völkerbundes und der UNO entnehmen; sie sind der Öffentlichkeit naturgemäß kaum bekannt und mögen hier angeführt werden: Die Unregelmäßigkeit der Monats- und Quartallängen steht an erster Stelle, gefolgt von den unterschiedlichen Osterterminen der christlichen Konfessionen und den Osterparadoxien (Ostersonntag nicht am ersten Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond wegen der Ungenauigkeit im jetzigen Mondzyklus). Die Ungleichheit der Wochentage und die Beweglichkeit des Osterfestkreises in den verschiedenen Jahren werden nur teilweise kritisiert.
Die Frage, wer für eine Kalenderreform zuständig sei, erscheint bei Betrachtung der Geschichte der Reformbemühungen seit 1900 sehr kompliziert. Handels- und Verkehrsvertreter und die Internationale Astronomische Union hatten beim Völkerbund einen Kalenderausschuß gegründet, die Reformvorschläge gesammelt und alle Religionsgemeinschaften und Regierungen befragt. Sie sahen keine klaren Mehrheiten und beschlossen, eine Entscheidung der großen christlichen Konfessionen abzuwarten. 1937 wurde das Thema abgesetzt,nach 1945 wieder aufgegriffen, diesmal vom Wirtschafts- und Sozialrat der UNO. Wieder gab es keine Einigung, 1956 wurde die Frage terminlos vertagt. Rom hatte als einer der Entscheidungsträger erstmals beim Konzil 1963 die Möglichkeit einer Zustimmung zu einer Reform erklärt, die von den getrennten Christen und einer deutlichen Weltmehrheit verlangt würde.
Fragen wir uns nun, ob oder wo eine solche Mehrheit in der Weltmeinung in den 21 Jahren seit 1963 sichtbar wurde und wie es weitergehen könnte! Verständlicherweise wurde das Kalenderthema in dieser turbulenten Zeit von den Sorgen um die Kriege und Nöte verdrängt. Es fehlten eine von den Medien angeregte Meinungsbildung und die nötige Wechselwirkung zwischen den Wissenschaften, dem Volk und denen, die zu entscheiden haben. Einsame Beschlüsse hinter verschlossenen Türen sind in unserer Zeit der Medien nicht mehr gefragt. Ein gutes Beispiel durchdachter Entscheidungsvorbereitung geben uns die vorkonziliaren panorthodoxen Konferenzen, bei denen u. a. auch der Kalender zur Sprache kommt.
Welche Disziplinen werden mitzuwirken haben? Astronomie, Chronologie, Religionswissenschaft, Rechtslehre, Geschichte, Medienwesen, Psychologie, Wirtschaftswissenschaft sind hier die maßgebenden. Auf die Mithilfe von Einzelpersonen mit viel interdisziplinärem Fachwissen und viel Idealismus wird man nicht verzichten können.
Zur Frage, wie man die Vielfalt der Meinungen über Kalenderreform (es gibt an die 200 offizielle Reformvorschläge zu neun Gruppen) gliedern und interpretieren kann, seien hier drei Gruppen zusammengefaßt:
a) die Radikalen (nach Ausscheidung der phantastischen und unrealistischen): Jahre mit 13 Monaten zu je 4 Wochen; Jahre mit Wochengleichheit durch Einschaltung eines achten Wochentages (im Schaltjahr zwei) mit Osterfixierung auf den 8. April. Drei Viertel aller Jahre würden so völlig uniformiert. Dieser sogenannte „World-Calendar" wird von fast allen Religionen abgelehnt, besonders von den Orthodoxen Christen, ohne die aber Rom nicht zustimmt.
b) die Gemäßigten: Eine Abänderung der Jahrhundert-Schaltregel von 400 auf 500 Jahre, womit die Stabilisierung der Jahreszeiten auf die jetzige Lage für 5000 Jahre erreicht wäre. Bereinigung der paradoxen Ostern durch astronomisch korrekte Daten statt der alten Zyklen. Beseitigung der unregelmäßigen Monatslängen durch gleiche Quartale zu je 31-, 30-, 30tägigen Monaten, das vierte immer und das zweite im Schaltjahr zu 31-, 30-, 31tägigen Monaten. Nahtlose Einführung mit 1.1.200L Eine Aussicht auf Erfolg wäre nach gezielten Informations- und Befragungsaktionen in Gruppe b) eher denkbar als in Gruppe a).
c) Die totalen Traditionalisten, die den jetzigen Kalender beibehalten wollen. Ihre Begründung lautet: Absolute Kontinuität ist nötig, die mathematisch eleganten Mondzyklen gelten noch für Jahrhunderte, die Unregelmäßigkeit der Monate ist reizvoll u. a. Man findet große Wissenschaftler in dieser Gruppe. Sie beachten aber nicht, daß später durch die Erdrotationsbremsung die alten Formeln nicht mehr stimmen können. So könnte eine Mehrheit für die Gruppe c) fraglich sein, zumal ein Vorschlag der Gruppe b) neue exakte Zyklen für viele Jahrtausende bringt.
Die jüngst sichtbar gewordene Polarisierung aller Menschen in zwei Gruppen, die Automatisierer und Rationalisierer auf der einen Seite und die Ökologen und Freunde der Naturvielfalt und Naturrythmen auf der anderen, schlägt sich nun auch in der Beurteilung der Zeitrechnung nieder.
Die Erstgenannten kann man zur Gruppe a), die Ökologen zu b) und c) zählen. Die radikalen Vereinfacher hatten ihre große Zeit noch bis in die sechziger Jahre, jetzt nehmen die Freunde der Vielfalt ständig zu. Sie können neue Argumente für die Beweglichkeit anführen: Späteren Historikern erschiene ein uniformierter Kalender wie eine Kulturverarmung, und die letzte Gemeinsamkeit mit dem Mondkalender der anderen Religionen wäre verloren.
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